Was wir Frauen wirklich brauchen, damit unser Leben 2023 erträglich wird

çRoya Ann Miller | Unsplash

Vor einiger Zeit postete das Vice Magazin etwas auf Instagram, das viral ging. "20 einfache Möglichkeiten, das Leben von Frauen erträglicher zu machen". Und ich dachte mir direkt so: Was für ein schlimmer, schlimmer Titel, was für ein unfassbar trauriger Zustand, einer, dem Zehntausende Deutsche scheinbar zustimmen. So schreibt eine Bonnie Strange beispielsweise darunter: "Sowas von Amen!" Weiß ja nicht, wie unerträglich ihr Life so ist. 

Empfohlener redaktioneller inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, mit dem wir den Artikel bereichern.
Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden.
Beim Laden des Inhalts akzeptierst du die Datenschutzerklärung.

Denn ich dachte beim Lesen als erstes: "Wieso müssen die Möglichkeiten, Frauen zu helfen, verdammt noch mal so einfach sein?!" Für uns ist das Leben laut des Posts ja auch nicht einfach. Nein, es sei sogar unerträglich. Aber ist meins das denn überhaupt? "Unerträglich"? Und ganz ehrlich: Nö! Ich, 32 Jahre, wohnhaft in einer deutschen Großstadt, mag mein Leben nämlich voll. Meistens, also im Alltag, ist alles chico. Ich habe eine bezahlbare Wohnung, in der ich mich sicher und wohlfühle, arbeite endlich bei Mit Vergnügen Hamburg (ein jahrelanger Traum von mir), habe echt ziemlich freshe Freunde, einen respekt- und liebevollen Partner, eine Familie, die hinter mir steht und die ich liebe und schätze, ein Bankkonto, auf das nur ich zugreifen kann und ich lebe dazu noch in einem Land, in dem in der Verfassung festgeschrieben steht, dass ich (größtenteils) meine eigenen Entscheidungen treffen darf. Puh, ganz schön erträglich, wenn ihr mich fragt. Fast schon privilegiert oder nicht?

Ist das Leben als Frau wirklich so unerträglich?

Natürlich weiß ich, was der Post seiner überproportional männlichen* Leserschaft sagen wollte und selbstverständlich habe ich auch keinen Bock mehr darauf, mir Dinge, die ich viel besser weiß, mansplainen zu lassen oder dass mich jemand nur aufgrund meines biologischen Geschlechtes als schwächer, dümmer und unfähiger einschätzt als einen Mann*, bevor ich mich überhaupt vorgestellt habe. Bock auf Bodyshaming hab ich genauso viel, wie automatisch mehr im Haushalt machen zu müssen oder aufgrund meiner Herkunft mit noch nie wahr gewesenen Stereotypen gegenüber meiner Heimat Polen konfrontiert zu werden. Ich bin stinksauer, dass ich jeden Monat scheißteure Tampons kaufen muss – wenn ich nicht gerade Free Bleeding betreibe, was viele "voll eklig" finden und mir das auch bei Facebook unter meinen Artikel kommentieren – und und und. Richtig sauer, vertraut mir!

Meiner Meinung nach haben wir Frauen* haben gerade größere Probleme, als von unserem Boomer Chef einen eklig sexistischen Kommentar zu hören.

Die Intention hinter dem Vice-Post sehe ich und kann man ruhig mal posten. Ich dachte bloß, wir wären schon einen Schritt weiter. Machen eure Männer* echt immer noch nichts im Haushalt? Meiner Meinung nach haben wir Frauen* gerade größere Probleme, als von unserem Boomer Chef einen eklig sexistischen Kommentar zu hören. Klar ist das dumm und rückschrittlich und löst Aggressionen aus, aber Girls*, und ich meine es so, wie ich das sage: Wir haben echt gerade größere Probleme! Den Pay-Gap zum Beispiel. Um diesen loszuwerden, braucht es starke Neven und Alliierte anderer Geschlechter. Jene, an die sich dieser Post zu wenden schien. Aber wenn wir schon zu ihnen sprechen, ihnen Tipps geben, sollten wir diese Chance dann nicht ergreifen und uns mit weniger banalen Dingen aufhalten, wie Männern* zu erklären, dass das Wort bossy ein Reclaiming erleben muss? Ich glaube schon! 

© Gayatri Malhotra | Unsplash

Was das Leben von Frauen* in Deutschland im Jahr 2022 wirklich erträglicher machen würde, wäre gleiches Geld für gleiche Arbeit und die Sicherheit, dass nicht auch wir bald um unsere reproduktiven Rechte Sorgen machen müssen. So wie das aktuell jene in vielen anderen Ländern müssen. Vom afrikanischen und asiatischen Kontinent mal abgesehen (obwohl das schon viel zu oft getan wird), in den USA steht der Präzedenzfall ("Roe vs. Wade") zum Abtreibungsrecht kurz davor, gekippt zu werden. Und leider, liebe Leserschaft, schippen so manche Trends aus den USA ja bekanntlich irgendwann zu uns nach Europa. So wie Fried Chicken oder Rap, nur in diesem Fall ist es halt viel, viel, viel schlimmer, weil wir dann bald wieder die Kleiderbügel biegen müssen. Herrgott noch mal, hat denn davor keine*r deutlich mehr Schiss als davor, zum Tausendsten Mal etwas mansplained zu bekommen? Ich schon! 

Lösungsvorschläge

Was Frauen wirklich brauchen, um unser Leben erträglich zu machen, oder sagen wir lieber, um uns als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft zu fühlen, sind zum einen Gesetze, die uns und unsere reproduktiven Rechte schützen, wozu das Recht auf eine legale und sichere Abtreibung zählt. Zum anderen sind das Gesetze, die sexuelle Gewalt härter bestrafen. Weil Vergewaltiger sowas von selten wirklich im Knast landen und wenn, für eine viel zu kurze Zeit. Zwei bis zehn Jahre stehen im Gesetzbuch. Ekelhaft ist das! Aber ich bin noch nicht fertig: Denn dann brauchen wir auch noch Gesetze, die Mütter finanziell entlasten, damit wir den Pay-Gap, der im Übrigen viel weniger mit dem Gender zu tun hat, sondern damit, ob eine Person ein Kind austrägt und zu welchem Grad er oder sie dieses großzieht, tatsächlich mal schließen können. Also, liebe Männer: Was ich mir von euch wünschen würde, ist nicht, dass ihr lernt, wie man "richtig" ein Kompliment macht. Ich wünsche mir von euch, die nun einmal zum Großteil diejenigen sind, die momentan die Macht haben, Gesetze zu ändern, dass ihr das auch tut – zu unseren Gunsten. Ja, das ist die momentane Realität: Null Prozent der Truppenrichter sind Frauen. Jo, beim Militär wäre das schon echt ganz nice, sollte man meinen. Deutschland kommt auf nur 32 Prozent Bundesstaatsanwältinnen, aber von den etwa 1200, die laut der Richterstatistik 2016 jetzt nachziehen dürften, war fast die Hälfte weiblich*. Es gibt also Lichtblicke, wir holen auf. Ihr müsst uns aber bitte die Zeit geben, die Startlinie zu erreichen. Und bis dahin könnten Männer* Frauen* das Leben wirklich erträglicher machen, wenn eben jene Richter, Politiker, Anwälte, Journalisten und andere Machthabende in deutlich männlicher* Überzahl, sich einen Pussyhat stricken und mit anpacken würden. Das wäre doch echt mal was! 

Noch mehr Meinungen

Liebe nach Corona: Wie mir mein Vibrator den Orgasmus versaut hat
Unsere Autorin sucht nach einer Vibratorsucht ihren Orgasmus und beschreibt, ehrlich wie immer, wie es dazu kommen konnte und was seitdem passiert ist.
Weiterlesen
Wie man Free Bleeding betreibt und damit besseren Sex hat
Hier geht es um einen Menstruationstrend, bei dem komplett auf Tampons und andere Produkte verzichtet wird. Interessant ist auch, was das mit dem Sex macht.
Weiterlesen
Zurück zur Startseite