Was es mit meinem Sexleben gemacht hat, ein Jahr lang keine Pornos zu schauen
Pornos gucken ist wegen des Internets schon lange nicht mehr so ein großes Tabu, wie es in Zeiten meiner Jugend war. In den 80er-Jahren ein Schmutzblatt beim Bruder unterm Bett zu finden, habe ich mir erzählen lassen, war der gesamten Familie peinlich. Heute gucken wir alle Pornos, ob wir es zugeben wollen oder nicht. Fast alle Internetnutzer*innen sehen frei- oder unfreiwillig nackte Menschen und laut einer Studie sind zwölf Prozent aller Websites Pornoseiten und über 42 Prozent der Menschen auf der Welt geben an, Pornos zu schauen. Wir tun das, obwohl es schädlich für unser Sexualleben, Selbstbewusstsein sowie unser Frauen*- und Männer*bild ist. So sagen die meisten Expert*innen, es sei gerade für junge Menschen und vor allem wenn sie im Netz ständig davon bombardiert werden, ein riesiges Problem. Vor allem, wenn man typische Pornos schaut, die keinerlei progressive Sichtweise auf Lust, Weiblich- und Männlichkeit und Lust porträtieren.
Mit Pornos bombardiert wurde ich nicht. Geboren 1990 im erzkatholischen Polen, hatte ich meinen ersten Berührungspunkt mit Sex im Allgemeinen mit wahrscheinlich zehn Jahren bei meiner damaligen BFF während eines Sleepovers. Sie hatte 2000 einen eigenen Fernseher im Zimmer (und ich war gaaar nicht neidisch, nö!) und das hieß natürlich, dass wir beiden Youngsters bis spät in die Nacht vor der alten Flimmerkiste saßen und die Werbeinhalte immer weniger bekleidet daherkamen. Schon komisch, seine eigene Sexualität so jung und ohne wirkliche Aufklärung zu entdecken. Masturbiert hatte ich bis dahin noch nicht und das würde auch noch etwa drei Jahre dauern. Erregt war ich dennoch. Aber das war nicht die dominierende Emotion. Es war Scham. Scham, hier so dreckig im Dunkeln zu sitzen und sexy Sportclips zu gucken.
Meinen ersten Berührungspunkt mit Sex im Allgemeinen hatte ich mit wahrscheinlich zehn Jahren bei meiner damaligen BFF während eines Sleepovers.
Dreckig, weil jemand anderes dabei war, als ich das erste Mal Lust empfand. Dreckig, weil es sich so verboten anfühlte. Dreckig, weil wir nie drüber sprachen, es aber beim nächsten Sleepover wieder taten. Dreckig, weil die Frauen in den Sexhotline-Webespots so extrem waren – und das sicher nicht nur in den Augen einer Zehnjährigen, die extrem religiös erzogen wurde und nie wirklich aufklärenden Sexualunterricht genossen hatte.
Der lief in der 4. Klasse nämlich wie folgt ab, ich erinner' mich dran, als wäre es gestern gewesen: Ich (schon immer die Vorlaute, die für jeden Lehrer*innenjoke zu haben war) musste natürlich nach vorne kommen und meine Klassenlehrerin begann erst auf meinen Po, dann auf meine bis dato nonexistenten Brüste zu zeigen und die Klasse zu fragen, was das denn sei: "Hier ist dein Po, hier deine Brust, das ist dein Bein und im Intimbereich sehen wir alle anders aus. Martyna hat eine Vagina (HILFE!? Was hab ich da??) und wenn sie mal älter ist und einen Mann hat, der sie ganz doll lieb hat, steckt er seinen Penis bei ihr rein und macht ein Baby." WHAT THE FUDGE IS HAPPPENINGGGG, dachte ich damals und heute. Das war retrospektiv wahrscheinlich der genaue Zeitpunkt, an dem ich entschied, weder einen Mann zu wollen, "der mich ganz doll lieb hat" (brech!) noch Nachkommen. Vor allem hat mich diese "Aufklärung" traumatisiert. Kein Wort zur weiblichen Lust, kein Erwähnen, dass auch ich einen Orgasmus bekommen dürfte – und nicht nur ein Baby.
Pornos gucken kann man auch einfach lassen
Was macht man also, wenn man keinen Plan hat, worauf man steht? Richtig, man holt sich Inspiration. Und genau das tat ich irgendwann auch. Regelmäßig. Pornos gehörten fortan einfach dazu, wenn ich es mir selbst machte. Jedoch nur jene, die für die klassisch männliche Perspektive produziert wurden. Aber das kannte ich durch meine frühe Prägung der sexy Sportclips ja bereits. Degradierend Frauen* gegenüber waren die Filmchen und wie das eben so ist, wurden die Videos immer krasser. Denn ähnlich wie bei der Zuckersucht wird beim Anschauen von Pornos Dopamin in unserem Gehirn freigesetzt, das ein Gefühl der Lust erzeugt. Aber ich konnte nicht mehr ohne. Also habe ich mir vor ein paar Jahren die Challenge gestellt, komplett aufzuhören und meine Sexualität neu zu entdecken. Ich wollte ohne Einflüsse von außen Sex erleben. Frei bestimmt kommen. Nicht aus der cis-männlichen oder kirchlichen Sicht. Aus meiner Sicht.
Und ja, auch meine Orgasmen sind um ein Vielfaches intensiver, länger und komplett ohne Scham behaftet.
Das Entdecken von natürlichem Sex ohne Pornos war für mich extrem lehrreich. Mein Kopfkino hat sich mit der Zeit immer mehr wegentwickelt von den Erinnerungen an übersexualisierte Frauen*, die jene hinter dem Bildschirm anflehen, sie doch bitte hart durchzunehmen. Ich meditiere jetzt sogar manchmal vor der Selbstbefriedigung, mache es mir gemütlich mit Kerzenlicht oder lasse mir eine Badewanne ein und lerne meinen gesamten Körper neu kennen. Sanfte Berührungen und die Vorstellung eines respektvollen Aktes – mit Harry Styles oder meinem Freund, je nach Laune – machen mich heute richtig scharf. Und ja, auch meine Orgasmen sind um ein Vielfaches intensiver, länger und komplett ohne Scham behaftet. Mein 10-jähriges Ich bedankt sich – 21 Jahre später.