Hamburg hakt nach: Warum wird das Bismarckdenkmal neu eröffnet?

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"Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!": Die Sesamstraßen-Fans unter uns haben diese lebenswichtige Weisheit natürlich längst verinnerlicht. Trotzdem traut man sich bei der ein oder anderen Frage dann doch nicht, sie zu stellen. Weil sie zu banal erscheint – oder man schlichtweg nicht weiß, wer die Antwort kennen könnte. Hier kommen wir ins Spiel! Wir haken für euch nach. Denn wir finden: Fragen – seien sie noch so simpel – sind nicht nur was für Kinder. Schließlich begegnen wir in Hamburg immer wieder kuriosen Dingen, die uns staunend oder fragend zurücklassen. Geht euch genauso? Dann schickt uns eure Fragen – wir beantworten sie oder suchen jemanden, der das kann.

Kai fragt: Warum wird das Bismarckdenkmal neu eröffnet?

Hamburg hat viele Denkmäler. Das seit Jahren in der Kritik stehende Bismarckdenkmal soll bis Ende Juli, pünktlich zum 125. Todestag des Reichskanzlers, "in neuem Glanz erstrahlen", heißt es beispielsweise im Abendblatt. Und das ganz ohne, wie es lange geplant war, umgebaut, rekontextualisiert oder gar abgerissen zu werden. Zu der umstrittenen Neueröffnung erreichte uns auch eine Frage aus der Community und deswegen sind wir der News und ihren Beweggründen mal auf den Grund gegangen.

...fällt uns 2023 wirklich nichts Besseres ein, als einen Kolonialpolitiker mit Schwert auf einem übriggebliebenen NS-Luftschutzbunker in Richtung Meer schauend zu positionieren?

Das Bismarckdenkmal und seine problematische Geschichte

Otto von Bismarck ist den meisten wahrscheinlich als Reichskanzler bekannt. Dem ist so, weil er als preußischer Ministerpräsident im Jahre 1871 dafür verantwortlich war, 25 eigenständig geführte Staaten zum Deutschen Reich zu vereinen. Dass das nicht ohne Kriege und Opfer ging, ist logisch. Für diesen "Erfolg" und seine historische Rolle als erster deutscher Kanzler wird er bis heute vielerorts durch Statuen, Monumente oder auf Gemälden verewigt. Doch von Bismarck ist im gleichen Zuge auch der Wegbereiter des deutschen Militarismus, denn erst durch die Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich, die er politisch vorbereitete und in Auftrag gab, wurde der Weg zur Reichsgründung geebnet.

Der Befehlshaber mit der ikonischen Pickelhaube verfolgte zudem systematisch Sozialist*innen und steht für die Errichtung deutscher Kolonien in Afrika und Asien. Wollen wir Hamburger*innen wirklich, dass ein Monument dieses Mannes mitunter das Erste ist, was Besucher*innen und Zugezogene sehen, wenn sie in die Hansestadt kommen? Wir sind zwar nicht New York und brauchen auch keine Freiheitsstatue, aber fällt uns 2023 wirklich nichts Besseres ein, als einen Kolonialpolitiker mit Schwert auf einem übriggebliebenen NS-Luftschutzbunker in Richtung Meer schauend zu positionieren?

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Sollten wir das Bismarckdenkmal abreißen, oder es zur Aufklärung nutzen?

In den USA werden Denkmäler von Sklavenhändlern aktuell besonders an Universitäten im großen Stile abgerissen und mit Bildnissen jener historischer Persönlichkeiten ersetzt, die für die Befreiung und Gleichstellung von Afroamerikaner*innen kämpften. Und das in einem Land, das sich mit der ehrlichen Aufarbeitung seiner Geschichte eher schwertut. Denn immer noch wird dortzulande Material, das die Entstehungsgeschichte der Staaten nicht verherrlicht, sondern faktisch aufarbeitet, von rechts blockiert. Columbus entdeckte ganz ohne Blutvergießen das Land und alle lebten glücklich und zufrieden, hört man Lehrkräfte im ganzen Land sagen. Die sogenannte "Critital Race Theory", die sich mit der Sklaverei und systematischer Ausrottung und Vertreibung der Ureinwohner*innen beschäftigt, soll an Schulen nicht mehr gelehrt werden – so zumindest die aktuelle Debatte in den USA.

An deutschen Schulen sieht das zum Glück anders aus. Die deutsche Kolonialgeschichte, sowie die Nazi-Vergangenheit (und -Gegenwart) ist auch bei uns in Hamburg fester Bestandteil des Lehrplans. Dass ein Denkmal wie das von Otto von Bismarck ohne maßgebliche Änderungen nun "in neuem Glanz" erstrahlen soll, ohne vorherige Aufarbeitung, sehen viele Kritiker*innen als bedenklich an. In einem Kommentar zum Thema äußert sich der Autor Arno Luik im Hamburger Abendblatt wie folgt: "Damals hätte ich gesagt, wie so viele sich darüber ärgernde Bürger: Jagt dieses Ding, dieses Symbol für eine undemokratisch-imperial-brutale Politik (Sozialistengesetze! Kriege! Kolonien!) in die Luft! Aber heute sage ich, wie Gott sei Dank so viele in der Stadt, gerade heute, wo es en vogue ist, Denkmäler zu schleifen: Lasst das Ding stehen. Nutzt es zur Erklärung der Geschichte! Nutzt es so, wie das Kriegs- und Antikriegsdenkmal am Dammtor-Bahnhof." Nur muss das dann auch wirklich passieren, lieber Hamburger Senat…

Dass ein Denkmal wie das von Otto von Bismarck ohne maßgebliche Änderungen nun "in neuem Glanz" erstrahlen soll, sehen viele Kritiker*innen als bedenklich an.

Bis zur Neueröffnung Ende Juli hat der Senat noch ein wenig Zeit, sich für eine Lösung zu entscheiden, die in unsere moderne und sich kritisch mit der Geschichte Hamburgs auseinandersetzende Zeit passt. Produktiven Input aus der Bevölkerung gibt es durchaus, sogar eine Ideenwerkstatt zum Thema hat es mal gegeben. Der Künstler Volker Lang sagt im Interview mit dem NDR zum Beispiel folgendes: Man solle "etwas daneben stellen, das aufklärt, was in dieser Zeit alles zu Unrecht entstanden ist, was unter Bismarck eben nicht gut und richtig lief und was durch ihn, durch seine Macht angerichtet wurde. Vielleicht kann man da entweder eine Architektur rumbauen oder man kann mit einem Akzent diese Figur einhüllen, sodass sie natürlich noch sichtbar ist." Kurz: Kontext schaffen!

Immerhin gibt es in Hamburg nun eine App, die koloniale Orte der Stadt zeigt und erklärt. Und auch hier wird die Statue als eine der bedenklichsten bezeichnet. Ganz zu schweigen, was es mit Menschen mit BIPoC- oder Migrationshintergrund macht, dieses Monstrum im Alten Elbpark, vom Hafen und fast dem ganzen Rest Hamburg aus anschauen zu müssen. Wir sind gespannt, und haken für euch wieder nach, wenn der Streit um das Bismarckdenkmal in die nächste Runde geht.

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