Es ist 2023, warum ist Verhütung immer noch Frauensache?

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Ich habe einen Uterus. Ausgesucht hab ich mir das nicht, aber es ist so. Denn auch wenn ich diesen nicht alleine und ohne das Zutun einer anderen Person mit einem Penis und gesundem Sperma befruchten kann, wird von mir und allen anderen Frauen mit weiblichen Geschlechtsorganen im Jahr 2022 immer noch erwartet, fast ausschließlich die Verhütung zu übernehmen. Zwar sehe ich bei TikTok mittlerweile ab und zu "mein Freund lässt sich sterilisieren"-Videos, aber das ist nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Was sich seit dem gescheiterten Versuch, eine Pille für den Mann auf den Markt zu bringen noch so geändert hat und was sich seit meinem ersten Rezept vor mehr als 16 Jahren getan hat in Sachen Verhütungs-Equality? Leider nicht viel.

Wer ist in einer heterosexuellen Beziehung für die Verhütung zuständig?

Die Antwort ist: Die Frau. In meinem Freundeskreis genau wie in eurem, lügt doch nicht. Das belegt auch ein Bericht des ZDF aus dem Jahr 2021. Daraus geht hervor, dass die Techniker Krankenkasse einen "Negativtrend" beobachtet, der zeigt: Immer weniger junge Frauen nehmen die Anti-Baby-Pille. Das finde ich erstmal gar nicht so negativ wie die Krankenkasse, die dadurch selbsterklärend leider weniger Kohle scheffelt, frage mich aber gleichzeitig, ob das im Umkehrschluss bedeutet, dass junge Mädchen heutzutage stattdessen auf andere Verhütungsmethoden wie das Kondom oder die Spirale zurückgreifen. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ja – zumindest auf ersteres. In einer Untersuchung des Verhütungsverhaltens junger Erwachsener aus dem Jahr 2018 "sind Pille und Kondom nach wie vor die wichtigsten Verhütungsmittel in Deutschland. 47 Prozent der erwachsenen, sexuell aktiven Frauen und Männer benennen die Pille als Verhütungsmethode, 46 Prozent nutzen das Kondom."

Pille und Kondom sind nach wie vor die wichtigsten Verhütungsmittel in Deutschland. 47 Prozent der erwachsenen, sexuell aktiven Frauen und Männer benennen die Pille als Verhütungsmethode, 46 Prozent nutzen das Kondom.

Die Methoden liegen in ihrer Nutzung nur einen Prozentpunkt auseinander, zwischen den Nebenwirkungen liegen jedoch Welten. Das haben mittlerweile doch auch die jungen Männer mitbekommen, oder? Im ZDF-Bericht heißt es weiter, "nur noch jede zweite 18-Jährige" ließe sich die Pille verschreiben. "2015 waren es noch 65 Prozent." Nur noch? Ich lese daraus, dass immer noch (!) die Hälfte aller jungen Frauen – und wir sprechen hier von der von Gleichberechtigung manchmal fast schon besessenen Gen-Z, die es eigentlich besser wissen sollte – von jung auf an der Hormonkeule hängen. Viele davon sicherlich aus anderen Gründen als nur zur Verhütung. Zum Beispiel wegen starker Regelschmerzen oder gar, weil sie an einer nicht-diagnostizierten Endometriose leiden, oder an Akne, oder einfach aus sozialem Druck. Patriarchat kickt rein, wa?

Die Pille für den Mann war ein Reinfall

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Ich erinnere mich ehrlich gesagt gar nicht mehr an den Grund, warum mir damals im viel zu jungen Alter von zarten 15 Jahren die Pille verschrieben wurde. Wahrscheinlich aus einer Kombination aller. Was ich meinem Körper und Geist jedoch damit angetan habe, über 15 Jahre lang, täglich und Migräne-bedingt ohne Pause für meine Menstruation, diese kleine Pille in mich reinzustopfen, weiß niemand so genau. Was man jedoch weiß, ist, dass Hormone unheimlich viele Nebenwirkungen haben. Fragt nur mal die Gruppe männlicher Probanden, die vor einigen Jahren die "Pille für den Mann" testeten und die Studie schnurstracks wegen "zu vieler negativer Nebenwirkungen" wieder abbrechen ließen. Sorry, aber ich bekomme gerade entweder einen Tobsucht- oder Lachanfall...

Jungen Mädchen wird dieses Privileg nicht zuteil. Sobald geschlechtsreif, muss die Pille her. "Werd bloß nicht schwanger", heißt es zuhause, wenn wir zum ersten Mal bluten – was schon traumatisch genug sein kann. Dabei hatten wir mit zarten 15 Jahren noch nicht einmal die Chance, uns ohne den Einfluss von Östrogen und Co. kennenzulernen. Aber wieso ist die Pille trotz ihres schlechten Rufs immer noch die Nummer Eins? Ergo: Wieso müssen wir Frauen uns immer noch alleine darum kümmern, dass aus einem Akt zwischen zwei (oder mehreren Menschen) kein ungewollter Nachwuchs entsteht?

Pille nehmen müssen, aber nicht abtreiben dürfen: Ist das die Zukunft?

Ich muss ehrlich sein, als ich Single war und in Berlin lebte, kam mir die Sicherheit der Pille ganz gelegen. Schwanger zu werden von einem One-Night-Stand oder einer Affäre hört sich nach einem absoluten Horrorszenario an. Und leider Gottes (oder wem auch immer) habe ich zu dieser Zeit und in dieser Stadt immer wieder von angeblichen Kautschukallergien gehört, jene Personen anscheinend aber noch nie von alternativen Materialien, geschweige denn dem Fakt, dass eine Sterilisation tatsächlich reversibel ist. "Mit Kondom bockt nicht, nimmst du nicht die Pille, Baby?"

Mit Kondom bockt nicht, nimmst du nicht die Pille, Baby?

Puh, ist dieser Satz problematisch, schon alleine wegen all der möglichen Geschlechtskrankheiten. Das mit dem Kondom und dem Gefühl sehe ich nicht unähnlich, aber deswegen habe ich mich irgendwann – zum Horror aller bindungsängstlichen Millennials – auf einen Mann festgelegt, dessen Penis ich genauso lieb habe, wie dessen Charakter. In einer festen Partnerschaft können wir demnach hormonfrei verhüten oder eben auch nicht, wenn uns die Lust danach steht. Vielleicht ist das die absolut nicht ernst gemeinte Antwort auf meine Ursprungsfrage: Wer 2022 immer noch keinen Bock drauf hat, sich ein Gummi überzuziehen, könnte sich zum Beispiel auf die Suche nach einer Beziehung machen, aber ganz sicher nicht von uns Frauen voraussetzen, dass wir die Pille nehmen während uns immer wieder damit gedroht wird, sichere Abtreibungen zu verbieten.

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