Warum es mir nicht gut geht – auch wenn alles gut ist

© Paola Chaaya | Unsplash

Seit ich denken kann, mache ich mir Sorgen. Und ich weiß einfach nicht, warum und woher das kommt. Ich erinnere mich daran, wie ich schon als kleines Kind hinten im Auto saß und beim Gedanken an das bevorstehende Seepferdchen Panik in mir aufkam. Diese Angst ging soweit, dass ich meine Milchschnitte einfach an den Beckenrand reierte. Ja, der Schwimmlehrer war nicht gerade feinfühlig, aber alle anderen Kinder haben dieses “Kindheits-Ziel” wesentlich leichter genommen. Meine Eltern haben mich wirklich nicht unter Druck gesetzt und waren immer in Sichtweite. Das mag jetzt total banal klingen, aber dieses tiefsitzende Gefühl von Unbehagen und Unruhe, irgendwie eine Art von latenter Panik, zieht sich seit jeher durch mein ganzes Leben und will einfach nicht verschwinden. 

Der Tod und ich

Das nächste, das mich schon als kleines Kind sehr früh umtrieb, war der Gedanke, dass meine Eltern irgendwann nicht mehr da sein werden. Ich meine mich zu erinnern, wie mir am Grab meines sehr früh verstorbenen Opas plötzlich deutlich wurde, dass man irgendwann einfach weg ist. Ich habe schon als Grundschulkind zu meinen Eltern gesagt, dass ich lieber vor ihnen sterben möchte, damit ich das nicht ertragen muss.

Mittlerweile habe ich verstanden, oder eher akzeptiert, dass es für Eltern das Allerschlimmste sein muss, wenn das eigene Kind vor ihnen geht. Das ändert trotzdem nichts daran, dass sich der Gedanke an den möglichen Verlust ständig aufdrängt. Dabei gehöre ich zu den Glücklichen, die noch keinen sehr nahestehenden Menschen verloren haben … weshalb diese Zeilen für diejenigen unter euch, denen das bereits widerfahren ist, vermutlich völlig undankbar oder abstrus erscheinen mögen. 

Ich habe schon als Grundschulkind zu meinen Eltern gesagt, dass ich lieber vor ihnen sterben möchte, damit ich das nicht ertragen muss.

Von der Angst vor dem Ende

Je älter ich wurde, desto bedrückender war es für mich, dass Zeit und Leben voranschreiten – und man nichts dagegen tun kann. Ab der 5. oder 6. Klasse hatte ich immer mehr Schiss vorm Erwachsenwerden und fand es schrecklich in die Pubertät zu kommen. Während sich Schulkameraden über körperliche Entwicklung freuten, bekam ich die Krise. Vor allem abends saß ich heulend zuhause und konnte nicht richtig erklären, was mit mir los ist. Vermutlich war auch hier die Verbindung von dem großen Prozess “Leben” und seinem unabdingbaren Ende der Grund.

Wenn es Abend wurde, bekam ich Angst vorm Schlafengehen, weil man am nächsten Tag nicht mehr aufwachen könnte. Diese tiefsitzende Angst ausgeknipst zu sein und die Kontrolle zu verlieren, ist bis heute geblieben. Was während der schlafenden “Bewusstlosigkeit” schon ein bißchen Sinn macht. Aber aus der Sicht eines Kindes bzw. eines heranwachsenden Menschen ziemlich bekloppt, wenn man bedenkt, dass der (eigene) Tod vor allem in jungen Jahren eine vergleichsweise kleine Rolle spielt. 

Wieso geht es mir nicht gut?

Während ich das hier schreibe, klingen diese seltsamen “Wolken im Kopf” für mich wie eine frühe Art von Depression. Ob es das wirklich war, kann ich nicht beantworten. Ich denke nach wie vor, dass es anderen Menschen sehr sicher wesentlich schlechter geht als mir und ich frage mich selbst, was genau mein Problem ist. Ich bin mit fürsorglichen Eltern großgeworden, die immer das Beste im Sinn hatten. Aber klar, natürlich können Eltern nicht alles richtig machen – wer kann das schon?! Bei uns gab es viele Konflikte innerhalb der Familie.

Dennoch: Mir hat es nie an etwas gefehlt, man hat sich mit Liebe um mich gekümmert, ich bin in einer schönen Siedlung auf dem Land aufgewachsen, Schule war ganz ok, ich habe viel Zeit beim Sport verbracht, hatte lange einen tollen Hund an meiner Seite, wir haben jedes Jahr schöne Urlaube gemacht, ich wurde nicht unter Druck gesetzt, habe keine Gewalt erfahren, ich hatte immer gute Freund*innen und ich würde sogar sagen, dass ich relativ verwöhnt war… also: What the fuck? Kriegen andere doch auch hin.

Der erste echte Verlust

© Louis Galvez | Unsplash

Als ich ca. 18 war, starb unsere Hündin mit stolzen 17 Jahren. Dieser Hund war immer da, saß mit mir auf dem Sessel bei der Sesamstraße, neben mir auf der Treppe, wenn sich meine Eltern untereinander oder mit meinem Bruder in der Wolle hatten…  Als sie starb, brach für die Familie eine Welt zusammen. Wir wussten, dass die Zeit gekommen war; für mich war es aber die erste ernste Erfahrung mit dem Sterben und dass dieses Verschwinden tatsächlich irgendwann passiert. Ich glaube, das hat mir noch so richtig einen mitgegeben.

Das Verrückte an alldem ist, dass nie irgendeiner meiner “Was ist, wenn…”-Gedanken eintraf.

Bis heute sind einige Dinge in meinem Kopf losgewesen, über die ich hier noch sehr viel schreiben könnte. Unter anderem hatte ich Phasen mit großer körperlicher Unzufriedenheit, völlig übertriebener Angst vor Krankheiten und panischer Zukunftsangst. So dachte ich, dass ich unbedingt ein glattes 1er-Diplom hinlegen müsste, man sich bestimmt jahrelang meine Zeugnisse ansehen und ich nur mit kleinsten Unstimmigkeiten never ever einen coolen Job finden würde.

Das Verrückte an alldem ist, dass nie irgendeiner meiner “Was ist, wenn…”-Gedanken eintraf. Abgesehen von dem Tod unseres Hundes, der letztendlich eine Erlösung war. Und ich bin mittlerweile 36 Jahre alt – somit habe ich mir über drei Jahrzehnte mit haufenweise unnötigem Zeugs das Leben schwer gemacht. Übrigens hat mir meine Mutter schon sehr oft gesagt, dass es nichts nützt, wenn man sich die ganze Zeit vor Augen hält, was passieren könnte. Damit würde man sich seine Zeit versauen.

Reden ist Gold, schweigen ist scheiße

Mir ist klar, dass andere viel größere Pakete zu tragen haben – und manchmal fühle ich mich wirklich undankbar in Anbetracht meines vergleichsweise runden Lebens. Aber wie es nun mal mit unserem Inneren ist, kann man nicht einfach einen Schalter umlegen und sich ad hoc von Ängsten befreien. Mir persönlich hat es immer geholfen, über das, was mich beschäftigt, zu sprechen. Ich hatte immer den Drang meine Befürchtungen und Hirngespinste rauszulassen – ob bei Therapeuten, mit meinen Eltern, meinem Partner oder engen Freunden.

Das fällt nicht allen leicht, es bringt aber noch weniger auf Besserung zu warten. Also: Warum sich keine Hilfe holen, wenn doch gerade wir hier das Privileg eines Gesundheitssystems haben? Was soll denn passieren – außer, dass man sich beruhigter und erleichtert fühlt? Es wird einen schon niemand für verrückt erklären. Und selbst wenn – auch egal. Hauptsache, diese schlechten Gefühle vergehen.

Es wird einen schon niemand für verrückt erklären. Und selbst wenn – auch egal. Hauptsache, diese schlechten Gefühle vergehen.

Bevor es mich ärgert, ist es mir lieber egal

Ich versuche meine Sorgen, Wut oder gerne auch mal Unsicherheit in Situationen, in denen ich es leichter haben könnte, zur Seite zu schieben. Oder besser: diesen Gefühlen keine Bedeutung zu geben. Meistens hole ich mein Lieblings-Mantra aus der Tasche und sage mir mehrmals “Bevor es mich ärgert, ist es mir lieber egal.” Mich hat früher vieles geärgert, auch, dass ich mich von "Hätte, Könnte, Sollte" so bestimmen lasse. Ein Therapeut aus meiner Kindheit sagte mir, ich solle gedanklich immer wieder “Es soll ruhig kommen, ich kann es nicht zwingen, es wird schon gehen” wiederholen. Oder ich stelle mir ganz bewusst vor, wie es sein wird, wenn schlimme Befürchtungen eben nicht eintreten. Das klingt fast zu simpel, aber mich hat das wirklich oft beruhigt. Autogenes Training Light quasi. Und je öfter ich mich darin geübt habe, desto besser hat es – natürlich nicht immer – funktioniert. 

Außerdem höre ich beim Laufen Podcasts und lese oft Bücher, die das Leben, die Psyche oder auch Schicksalsschläge thematisieren. Romane, die nicht unbedingt autobiografische Geschichten erzählen, aber total lebensbejahend sind (kennt ihr z. B. “Vom Ende der Einsamkeit”? oder “Das Schicksal ist ein mieser Verräter”?). An sich melancholische und schwere Inhalte, die mir aber immer wieder zeigen, dass man seine Zeit hier bestmöglich nutzen und eben nicht mit mehr oder weniger absurden Eventualitäten trüben sollte. Das heißt jetzt nicht, dass ich mich an traurigen Schicksalen hochziehe. Aber ich weiß sehr wohl, dass wir uns alle miteinander vergleichen. Daher versuche ich mich in solchen Momenten vielmehr darauf zu besinnen, was ich habe, wie privilegiert ich bin, wie gut es meiner Familie, meinen Freunden und mir geht. 

Richtig leben – denn alles andere ist der Tod

Ein allgemeingültiges Rezept habe ich in all den Jahren nicht gefunden. Aber folgendes gelernt, was mir hilft: Gedanken zulassen, die Notwendigkeit der Bedeutung hinterfragen, Mechanismen zur Beruhigung finden (und wenn es Yoga oder ein langer Lauf sind), Reden, Auskotzen, Heulen, Spaß haben, Erleben, viel öfter “fuck it” sagen und nett sein, auch zu sich.

Ich bin hier, und habe trotz meiner immer wieder aufziehenden Wolken eine gute Zeit. Denn: das Gegenteil von Leben ist schließlich der Tod.

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