11 großartige Bücher von und über Frauen, die ihr lesen solltet
Frauenliteratur. Was schwebt euch bei dem Wort vor Augen? Auf dem Cover: Schnörkelschnickschnack und Pastelltralala? Im Buchinneren: Kitschkanonenfeuer und Klischeedröhnung? Mann, mann, mann. Frauenliteratur, das ist mehr. Die Beweise reihen sich in den Buchhandlungen unseres Vertrauens. Dort wimmelt es vor Frauenstimmen, die pures, anregendes Lesevergnügen versprechen. Diese Stimmen erzählen uns Geschichten, mal leise, mal laut, teils rebellisch, dann wieder ganz zurückhaltend oder zutiefst humorvoll. Also ran an die Seiten, heute servieren wir euch elf Kostproben. Unser Tipp für alle, die nach diesem Mini-Papier-Aperitif nach mehr Frauenliteratur lechzen: Schließt euch der #wirlesenfrauen und #frauenlesen Challenge an und begebt euch selbst auf Entdeckungstour nach tollem Autorinnen – und das nicht nur am Weltfrauentag!
1. „Unerhörte Stimmen“ von Elif Shafak
Zehn Minuten und 38 Sekunden sendet das Gehirn nach dem Tod eines Menschen noch Delta-Wellen aus. Ähnlich, wie es das auch tut, wenn wir schlafen. Genau diese Zeit – jeder Minute ist ein Kapitel gewidmet – lässt Autorin Elif Shafak ihrer Heldin Leila, um sich zu erinnern. Leila erinnert sich an die Gerüche ihrer Kindheit, an ihr Leben, an Istanbul, an ihre fünf Freunde. Das sind Nostalgie Nalan, Sabotage Sinan, Hollywood Humeyra, Jamila und Zaynab122. Ob transsexuell, kleinwüchsig oder auf der Flucht – allesamt sind sie Menschen am Rande der Gesellschaft. So lesen wir in Elif Shafaks Roman über diejenigen, die zu oft im Dunkeln bleiben. Ein unerhört stimmvolles Plädoyer für die Vielfalt.
Das Buch: Elif Shafak: „Unerhörte Stimmen“ | Kein & Aber Verlag | Mai 2019
2. Leise Stimme: „Was helfen könnte“ von Mona Høvring
Die edition fünf hat sich ganz der (Wieder-)Entdeckung von Autorinnen verschrieben. Der Verlag veröffentlicht Bücher, die zu schnell vom Markt verschwunden sind oder nie ins Deutsche übersetzt wurden. So zum Beispiel „Was helfen könnte“ von Mona Høvring, ein Roman, der bereits 2004 in Norwegen gefeiert wurde. Wir lernen darin Laura kennen, ein norwegisches Mädchen, das mit sechs Jahren ihre Mutter verliert. Sie hat sich umgebracht. Da der Vater kaum anwesend und der Bruder nur bedingt Halt gibt, ist das Mädchen sehr einsam und phantasiert viel vor sich hin. Einzig die Nachbarn Andreas und Johanna vermitteln Laura Frieden und Zugehörigkeit. Trotz ihrer Trauer berichtet Laura schlicht und leise davon, wie sie ihr Leben weiterlebt und einfach abwartet, was als Nächstes kommt. Mit dieser stoischen Haltung und einem Hauch von Optimismus macht die junge Protagonistin Mut – auch wenn es seinen Grund hat, dass das Buch nicht „Was hilft“ heißt, sondern eben „Was helfen könnte“.
Das Buch: Mona Høvring | „Was helfen könnte“ | Verlag Edition fünf | Februar 2019
3. Humorvolle Stimme: „Rückwärtswalzer“ von Vea Kaiser
Man nehme eine generationsübergreifende Familiengeschichte, ein abenteuerliches Roadmovie, ein bisschen Bildung, viel Unterhaltung. Heraus kommt „Rückwärtswalzer“ von Vea Kaiser. Darin geht es um drei Tanten (Hedi, Wetti und Mirl, aus dem niederösterreichischen Waldviertel), einen arbeitslosen Schauspielerneffen (Lorenz, von der Freundin sitzengelassen), einen toten Onkel (Willi, tiefgefroren) und eine tragikomische Reise im Fiat Panda durch die Jahrzehnte, von Wien bis Montenegro. Kurzum: ein bittersüßer Roadtrip mit Leiche.
Das Buch: Vea Kaiser | „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ | Kiepenheuer&Witsch Verlag| März 2019
4. Ernste Stimmen : „Die Aussprache“ von Miriam Toews
Über Jahre betäuben und vergewaltigen Männer einer mennonitischen Gemeinde nachts „ihre“ Frauen und Mädchen. Die Täter sind Brüder, Ehemänner, Väter, Nachbarn. Jetzt stehen sie vor Gericht – und acht misshandelte Frauen debattieren, wie sie handeln sollen. Nichts tun? Bleiben und verzeihen? Kämpfen? Oder die Gemeinschaft verlassen und in einer ihnen vollkommen fremden Welt den Neuanfang wagen? Die Frauen haben 48 Stunden Zeit, ihre eigene Geschichte umzuschreiben. In dem eindrucksvollen Roman erzählt die Kanadierin Miriam Toews, selbst ehemals Mennonitin, von Identität und Verlust. Die Geschichte beruht auf einem wahren Fall, der sich in einer Mennoniten-Gemeinde in Bolivien zugetragen hat.
Das Buch: Miriam Toews |„Die Aussprache“ | Hoffmann und Campe Verlag | März 2019
5. Fragende Stimme: „Sheroes“ von Jagoda Marinić
Wann hattest du das Gefühl, der Haushalt sei deine Aufgabe? Wer in der Familie weiß, wo der Impfpass der Kinder ist? Wann bedroht dich Stärke? In einer Frau? In einem Mann? Und sind die Kardashians eigentlich auch Sheroes? Nur 125 Seiten benötigt Autorin Jagoda Marinić, um ein Feuerwerk an Fragen zu zünden – und sicherlich auch wilde Diskussion im WG-Wohnzimmer, in der Büro-Küche oder im Ehebett. Dem Feminismus in Deutschland fehle die Wucht, sagt Jagoda Marinić. #Metoo biete die historische Chance, um gemeinschaftlich über neue Rollenbilder zu diskutieren. Doch in Deutschland werde die Debatte schlichtweg verschlafen. Marinićs Buch füttert uns daher nicht nur mit Anregungen, wie sich Frauen in Deutschland neu positionieren sollten. Es bietet darüber hinaus einen Fragebogen für den Alltag, die Berufswelt und „für das Nachtgespräch“. Also ein Buch zum Lesen (what else!?) und – vor allem – Reden.
Das Buch: Jagoda Marinić |„Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land“ | S. Fisher Verlag | März 2019
6. Befreundete Stimmen: „Die Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien
Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Ein Kapitel für jede Frau. Autorin Daniela Krien lugt in die alleräußersten Winkel ihrer Protagonistinnen-Seelen und entdeckt dort verschiedenste Lebens- und Partnerschaftsmodelle. Wir lernen fünf Menschen kennen, die in ihrem Leben Schönes, aber auch Verletzungen und Brüche erfahren haben. Paula zum Beispiel, die nach dem Tod ihrer Tochter in ein Loch fällt und ihr Leben komplett verändert, bis sie auf dem Friedhof Wenzel trifft. Oder Judith, beruflich erfolgreich, unabhängig, allein lebend. Die rauchende Ärztin wünscht sich einen Mann wie Christian Grey, mag Bindungen aber ebenso wenig wie Kinder. Außerdem: Brida, die Schriftstellerin, mit dem schönen Namen Lichtblau, die ihren Götz mit einer anderen teilen muss und sich daher in ihre Bücher flüchtet. Und dann wären da noch Jorinde und Malika, die beiden unterschiedlichen Schwestern schillernder Eltern aus der Musikszene. Ein detailreicher, moderner 5-er Reigen.
Das Buch: Daniela Krien | „Die Liebe im Ernstfall“ | Diogenes Verlag | März 2019
7. Rebellische Stimmen: „Rebellische Frauen“ von Marta Breen und Jenny Jordahl
Die Graphic Novel „Rebellische Frauen“ erzählt die Geschichten all der (un)bekannten und furchtlosen Frauen, die seit über 150 Jahren und bis heute für die Rechte der Frauen kämpfen. Für das Recht, zu wählen. Für das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen. Für das Recht, zu leben und lieben, wen und wie man will. Für wirtschaftliche Unabhängigkeit. Für Bildung und Beruf. Die Autorin Marta Breen und die Illustratorin Jenny Jordahl geben mit humorvollen und klugen Illustrationen einen neuen Blick auf Frauen wie Rosa Luxemburg, Emmeline Pankhurst oder Malala Yousafzai. In Deutschland ist das Buch im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen, dessen Programm unter dem Motto „Schöne Bücher für kluge Frauen“ steht. Inzwischen wurde „Woman in Battle“ bereits in 22 Sprachen übersetzt. In manchen Ländern wird die Graphic Novel mit den konservativen Wertesystemen und/oder patriarchalen Strukturen konfrontiert und darf nur unter Auflagen veröffentlicht werden. So zum Beispiel in Russland, wo es ausschließlich unter Vorzeigen der ID verkauft werden darf.
Das Buch: Marta Breen (Text) und Jenny Jordahl (Illustration) | „Rebellische Frauen. Woman in Battle. 150 Jahre Kampf für Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit“ | Elisabeth Sandmann Verlag | Februar 2019
8. „Teenager Stimmen: Beyond Magenta: Transgender teens speak out“ von Susan Kuklin
Die Autorin und Fotografin Susan Kuklin traf und interviewte sechs transsexuelle oder geschlechtsneutrale junge Erwachsene in den USA und nutzte ihre beträchtlichen Fähigkeiten, um sie vor, während und nach ihrem persönlichen Bekenntnis zur Geschlechtszugehörigkeit, nachdenklich und respektvoll darzustellen. Sehr bewegend ist diese Sammlung, denn darin erzählen unterschiedliche Protagonist*innen ihre ganz eigene Geschichten und machen damit anderen Betroffenen Mut. Dieses Buch ist nicht nur für junge Menschen geschrieben, die transsexuell aufwachsen und nach einer Stimme oder einer Geschichte suchen, mit der sie sich identifizieren können. Vor allem ist diese Sammlung auch wichtig für alle, die sich als cisgender identifizieren, denn sie bekommen beim Lesen einen detaillierten Einblick, wie es ist, als Transmensch aufzuwachsen.
Das Buch: Susan Kuklin | „Teenager Stimmen: Beyond Magenta: Transgender teens speak out“ | Candlewick Press | Februar 2014
9. Wissenschaftliche Stimme: „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“ von Siri Hustvedt
Nein, Siri Hustvedt ist nicht die „Frau von“ (Paul Auster). Siri Hustvedt ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der USA. Ihr neues Buch ist eine Analyse des männlichen Blickes auf die Frau. In ihrem Essayband untersucht die Wahrnehmungspsychologin, wie Männer auf Frauen und ihre Körper blicken, sie malen, beschreiben, repräsentieren oder als Hysterikerinnen diffamieren. Sie analysiert unter anderem Gemälde von Pablo Picasso und Romane von Karl Ove Knausgård und erklärt in Essays und neurobiologischen Analysen, woher jener abschätzige Blick der Männer kommt.
Das Buch: Siri Hustvedt |„Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“ | Rowohlt Verlag | März 2019
10. Resignierte Stimme: „Jesolo“ von Tanja Raich
Urlaub in Jesolo. Gleich zu Beginn des gleichnamigen Romans von Tanja Raich liest es sich wie das Ende. Zumindest das Ende der Beziehung der zwei Protagonisten Andrea und Georg. Urlaub an der Adria. Mal wieder. Gleiches Hotel, gleiches Essen, gleiche Gespräche. Gleich, gleich, gleich. Die Liebe siecht dahin. Bis zum großen Wendepunkt. Zurück im (noch) getrennten Heim erhält Andrea die Nachricht: „Wir sind schwanger“. In zehn Kapiteln widmet sich „Jesolo“ den Monaten der Schwangerschaft. Im Mittelpunkt steht dabei weniger die körperliche als vielmehr die psychische Veränderung von Andrea. Diese kehrt zu Georg zurück, der glücklich ist, dass sich seine Träume nun erfüllen. Denn die zwei sind jetzt ein „Paar, das funktioniert“. Entgegen Andreas Wünsche ziehen sie aufs Land ins Haus seiner Eltern, die sich wohlmeinend überall einmischen. Andrea flüchtet sich in die Resignation und lässt trotz innerer Zerrissenheit all das zu, was sie eigentlich nie wollte. Während bei der Arbeit ihre Projekte an andere verteilt werden, versucht sie sich an das Wort „Mutter“ zu gewöhnen: „Aber mich sehe ich nicht in diesem Wort. Wenn ich es oft hintereinander ausspreche, klingt es wie ein Motor, der nicht anspringt.“
Das Buch: Tanja Raich | „Jesolo“ | Blessing Verlag | März 2019
11. Wiederentdeckte Stimme: „Welcome Home“ von Lucia Berlin
„Lucia Berlin may just be the best writer you've never heard of“, hieß es 2015 im „Publishers Weekly“, als ihre Short Stories in den USA wiederentdeckt wurden und in den Bestseller-Listen triumphierten. Ein Jahr später lernten auch Leser/innen aus dem deutschsprachigen Raum die Meistererzählerin kennen. Mit „Welcome Home“ kommt Nachschub. Das Buch sammelt sehr persönliche Texte, Briefe, Fotografien der bereits verstorbenen Autorin. Es ist der Einblick in das Leben einer Frau, die 18 Mal umzog, drei Scheidungen durchlebte, alleine vier Söhne großzog. Eine, die als Putzfrau arbeitete, Telefonistin, Aushilfslehrerin, Sekretärin, Krankenpflegerin. Eine, die dem Alkohol verfiel, ihre Sucht besiegte und ihr erneut erlag. Vor allem aber eine Frau, die grandios wüste Geschichten schrieb. Die Wiederentdeckung der Lucia Berlin lässt hoffen, dass da mehr aufgespürt wird. Noch mehr intensive (Frauen-) Stimmen.
Das Buch: Lucia Berlin | „Welcome Home: Erinnerungen, Bilder und Briefe“ | Kampa Verlag | Mai 2019