Hamburg hakt nach: Wieso ändert sich die Fahrtrichtung der Sierichstraße mitten am Tag?
"Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!": Die Sesamstraßen-Fans unter uns haben diese lebenswichtige Weisheit natürlich längst verinnerlicht. Trotzdem traut man sich bei der ein oder anderen Frage dann doch nicht, sie zu stellen. Weil sie zu banal erscheint – oder man schlichtweg nicht weiß, wer die Antwort kennen könnte. Hier kommen wir ins Spiel! Wir haken für euch nach. Denn wir finden: Fragen – seien sie noch so simpel – sind nicht nur was für Kinder. Schließlich begegnen wir in Hamburg immer wieder kuriosen Dingen, die uns staunend oder fragend zurücklassen. Geht euch genauso? Dann schickt uns eure Fragen – wir beantworten sie oder suchen jemanden, der*die das kann.
Umschaltbare Verkehrsschilder, absolute Verwirrung und der Verdacht, Hamburgs Unfallstraße Nummer Eins zu sein: Die Sierichstraße in Winterhude raubt vielen Autofahrer*innen den letzten Nerv. Sie ist nämlich die einzige Einbahnstraße Europas, die mitten am Tag von jetzt auf gleich ihre Fahrtrichtung wechselt. Und alle so whaaat? In Hamburg gibt es eine Uno-Reverse-Street? Jawoll! Von 4 bis 12 Uhr geht der Verkehr auf der zweispurigen Straße nur stadteinwärts, von 12 bis 4 Uhr nachts wird ausschließlich stadtauswärts gefahren. Und jetzt stellt euch mal vor, ihr kämet von außerhalb, fahrt zum ersten Mal in unserer schönen Hansestadt Auto und nachmittags geht der Verkehr einfach in die komplett andere Richtung, als noch am Morgen. Absolute Verwirrung? Absolut!
Wieso wird die Sierichstraße nicht einfach verbreitert?
Wer denkt "Oh, offensichtlich ist das Verkehrsaufkommen auf der Sierichstraße ja so groß, dass es sich stadtplanungtechnisch sicher lohnen würde, sie um ein paar Spuren zu verbreitern", liegt daneben. Das stand fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auch mal zur Debatte, stieß bei den Bürger*innen aber laut des Baudirektors, weil die umliegenden Bäume hätten gefällt werden müssen, auf so viel Kritik, dass er kurzerhand die bis heute praktizierte, wechselnde Einbahnstraßentaktik vorschlug. Und so passt sich die Verkehrsregelung der Sierichstraße bis heute den Kfz-Verkehrsströmen des Berufsverkehrs an – morgens rein, abends wieder raus aus Hamburg. Logisch? Ja! Aber ist das nicht viel zu gefährlich? Passieren in der Sierichstraße deswegen nicht viel mehr Verkehrsunfälle? Wie ist das dort mit dem Parken und was gilt für Fahrräder? All das sind alles berechtigte Fragen.
Wie sicher sind Hamburgs Straßen?
Dass die Sierichstraße wegen ihrer Kuriosität Hamburgs unfallreichste Straße sei, stimmt jedenfalls nicht. Trotz komplexer Verkehrsführung – so darf man beispielsweise gegen die Fahrtrichtung ausparken und bis zur nächsten Ampel fahren – und dem daraus resultierendem Rechtsfahrgebot, passieren hier statistisch gesehen genauso viele Unfälle, wie im Rest Hamburgs, so der Verkehrsreport 2020. Wo es in unserer schönen Stadt aber wirklich am gefährlichsten ist, am Straßenverkehr teilzunehmen, geht aus den Geo-Daten der Polizei hervor. So befanden sich im Jahr 2019 in der Willy-Brand-Straße gleich zwei Unfallschwerpunkte. In Harburg ist die Moorstraße mit extra Obacht zu überqueren, besonders als Radfahrer*in und Fußgänger*in. Die Hudtwacklerstraße sowie der Bereich Steintordamm/Adenauerallee werden ebenfalls genannt. Von der Verkehrtherum-Sierichstraße keine Spur in den Daten, die vom Abendblatt zusammengefasst wurden. Ahaaa!
Wir sind irgendwie stolz darauf, dass dieses kuriose und vorerst chaotisch scheinende System der Straße, die um 12.01 Uhr und um 3.55 Uhr ihre Fahrtrichtung wechselt, bei uns in Hamburg funktioniert und entschuldigen uns dennoch bei allen Touris für Hamburgs bekannteste Einbahnstraße. Übrigens gelten die Verkehrsregeln der Autos selbstverständlich auch für alle Radfahrer*innen, die auf der Straße radeln. Und das müssen hier alle, denn für Drahteselbefahrungen sind die umliegenden Gehwege erstens nicht vorgesehen und zweitens nicht breit genug. In diesem Sinne: Fahrt vorsichtig!