Nie wieder Festival, nur noch Spielplatz? Wie sich Freundschaften nach der Geburt eines Kindes verändern
Es ist August 2019 und ich stehe mit einem köstlichen Handbrot, aus dem der Käse nur so trieft, auf dem Dockville in Hamburg. Die Sonne knallt vom Himmel, die Musik aus den Boxen, das Leben ist leicht. Ich bin umringt von guten Freund*innen und frage mich, wie viele von diesen Freundschaften wohl übrig bleiben werden. Denn was die feiernde Meute um mich herum zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist: Ich bin schwanger.
Mein Bruder, selbst bereits Vater, hatte mich gewarnt: "Du wirst einige gute und vielleicht auch ein paar sehr gute Freundschaften verlieren." Damals habe ich wahrscheinlich irgendetwas geantwortet wie "aha", insgeheim die Augen verdreht und der Bemerkung keine weitere Bedeutung beigemessen. Heute, drei Jahre später, frage ich mich: Hatte er recht?
Vielleicht sollte ich gleich zu Beginn Entwarnung geben: Keine*r meine*r sehr guten Freund*innen hat mir den Rücken zugekehrt, nur weil ich Mutter geworden bin. Das wäre ja auch völlig plemplem und hätte mich schwer an der Qualität der Freundschaft zweifeln lassen. Aber es ist schon so, dass sich Beziehungen durch die Geburt eines Kindes verändern. Ich würde nicht behaupten, dass die verfügbare Zeit an sich knapper wird. Aber man ist gerade in der Anfangsphase alles andere als spontan oder flexibel. Alles dreht sich um die Essens- und Schlafenszeiten des Babys, Verabredungen müssen zum neuen Tagesablauf passen, Festivals rücken in weite Ferne.
Irgendwann taucht man dann langsam wieder aus der Baby-Bubble auf und findet heraus, wer noch Interesse an der Freundschaft hat und wer weitergezogen ist.
Zwischenmenschliche Beziehungen werden oftmals bis auf Weiteres über FaceTime und WhatsApp gepflegt. Von sich hören lassen, nach dem Befinden erkundigen, Baby- Updates geben, Fotos schicken, auch mal die gute alte Postkarte. Zeit und Energie, die man als frisch gebackene Mutter vielleicht nicht immer aufbringen kann. Oder möchte, denn man weiß nie, wie die nächste Nacht wird, wann der nächste Schub oder der nächste Zahn kommen. Sprich: Ob man diese Zeit und Energie gerade abknapsen kann. Socializing, besonders wenn es sich nur elektronisch abspielt, kann ziemlich anstrengend sein. Vor allem ohne Schlaf. Irgendwann taucht man dann langsam wieder aus der Baby-Bubble auf und findet heraus, wer noch Interesse an der Freundschaft hat und wer weitergezogen ist.
Auch zwei Jahre später ist es nicht anders: Zeit ist rar, die meisten Menschen sind berufstätig und haben vielleicht auch keine große Lust, ihre begrenzte Freizeit inmitten einer lärmenden Horde Kinder zu verbringen. Profi-Tipp: Wer eine Freundschaft ohne viel Aufwand beenden möchte, lade die Person zu ein paar schönen Stunden im Indoor- Spielplatz ein. Diese heillos überfüllten, lärmigen Vorhöfe der Hölle schlagen jede*n noch so hartnäckige*n Sympathisant*in in die Flucht. Läuse und Hand-Fuß-Mund-Erreger inklusive.
Als mein Baby noch mehrfach am Tag im Kinderwagen um den Pudding geschoben werden musste, hat mich ab und an eine Freundin begleitet. Ich konnte mich aber erst entspannen, wenn mein Sohn eingeschlafen war. Vorher stand ich total unter Storm, habe aber versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Was, wenn er jetzt nicht einschläft? Was, wenn er einen Schreikrampf kriegt? Wann wird er wieder Hunger bekommen? Sollten wir vielleicht noch einen Still-Stopp einlegen? Schließlich will man nicht wie die total überforderte Anfängerin rüberkommen, die man natürlich ist, sondern als würde man das alles easy wuppen.
Wer eine Freundschaft ohne viel Aufwand beenden möchte, lade die Person zu ein paar schönen Stunden im Indoor-Spielplatz ein.
Als er schon größer war, habe ich dann ab und an mal jemanden auf den Spielplatz locken können. Auch so ein zweifelhafter Vergnügungsort. Und wer nonstop einem Kleinkind hinterher hetzt, es fortlaufend davon abhalten muss, sich von diversen Gerätschaften zu stürzen oder anderen kleinen Menschen mit der Schaufel die Köppe einzuschlagen, kann nicht gerade entspannte, geistreiche Konversation betreiben und nebenher Latte Macchiato schlürfen.
Also verlegt man sich auf neue Freundschaften: Mütter und Väter, die ebenfalls Kinder haben. Die das ewige Multi-Tasking kennen, die Verständnis haben, wenn eine Nachricht länger nicht beantwortet wird oder eine Verabredung mal wieder kurz vor knapp abgesagt werden muss, weil das Kind bockt, heult, bricht, fiebert, schnieft, nicht geschlafen hat oder alles gleichzeitig. Sowas möchte man den kinderlosen Menschen dann irgendwie doch nicht zumuten. Also ab jetzt nur noch Freund*innen mit Kindern? Nur noch Mutti-Themen und brisante Fragen à la "Wann ist es Zeit für den Obst-Getreide-Brei? oder "Was tun bei Milchstau?" Wenn man Glück mit den neuen Bekanntschaften hat, hält sich sogar das ewige Vergleichen der Nachkommen in Grenzen und es wird kein Wettlauf daraus gemacht, welcher Knirps zuerst krabbelt, sich irgendwo hochzieht oder das erste "Da-Da" verlauten lässt. Gähn.
Rückblickend ist es sicher von Vorteil, eine gute Balance zu finden. Eine Balance zwischen Verabredungen mit Menschen, die selbst Kinder haben, und mit jenen, die eben keine haben. Denn ich habe festgestellt: Beide Welten lassen sich doch erstaunlich gut vermischen. So hat schon so manche*r Freund*in begeistert mit meinem Sohn in der Sandkiste gebuddelt. Und bei einem Abendessen mit meinen Nachbarinnen ging es neulich auch mal (fast) ohne Kinderthemen. Dafür mit Cocktails. Ob ich sie dieses Jahr wohl fürs Dockville begeistern kann?