Wilhelmsburg bekommt seinen ersten Bioladen

© Maria Anna Schwarzberg

Kathrin, Merle und Kassandra sind drei junge Frauen, die alle selbst seit einiger Zeit in Wilhelmsburg wohnen. Was ihnen aufgefallen ist? Hier fehlt ein Biosupermarkt! Also haben sie sich zusammen getan und dieses Projekt mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne in Angriff genommen. Am 3. November eröffnen sie "Deichgrün", wie der erste Bioladen in Wilhelmsburg heißen wird. Für vier Monate sind sie zum Testen und Üben in der Veringstraße 155 beim Eisdealer zu finden, ab März dann an der S-Bahn Wilhelmsburg mit 200 Quadratmetern Fläche so richtig am Start. Dort wird es auch eine Kaffeeecke und einen wechselnden Mittagstisch geben.

"So muss man das machen, wenn man in Wilhelmsburg auch einen Bioladen haben will."

Kathrin saß kurz vor Weihnachten zum Tee bei ihren Nachbarn, die ihr von der Warenwirtschaft in Ottensen erzählt haben. Der Ottensener Bioladen ist eine spezielle Form eines Bio-Supermarktes, der auf dem Prinzip der Mitgliedschaft basiert und Kathrin dachte sich: "So muss man das machen, wenn man in Wilhelmsburg auch einen Bioladen haben will. Eine Alnatura-Filiale wollen wir jetzt eigentlich nicht so richtig haben." und berichtete davon in der Krabbeltochter ihrer kleinen Tochter.

Auch Merles Tochter ist in dieser Krabbelgruppe und so waren sie schnell zu zweit mit der Idee Wilhelmsburgs ersten Biosupermarkt aufzumachen. Denn auch Merle fehlte ein Bioladen in Wilhelmsburg: "Das einzige was es hier gibt, sind Edeka und Budni mit ein paar Bioprodukten und auf dem Wochenmarkt einen Marktstand mit Bio-Obst und -Gemüse, aber auch immer nur samstags.", erzählt sie.

Deichgrün Hamburg Wilhelmsburg Bioladen
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Kassandra hörte über den Inselfunk von der Idee. Sie hatte schon länger darüber nachgedacht, in Wilhelmsburg einen Bioladen zu eröffnen, hatte aber weder Lust noch Geld, das Projekt allein zu realisieren. "Ich kam frisch aus dem Studium, da hätte mir sowieso keine Bank einen Kredit gegeben. Es war halt ein Traum, aber ich dachte: Das wird eh nichts. Dann habe ich von Kathrins und Merles Idee gehört und gedacht: Okay, entweder mit mir oder ich bin weg von der Insel.", sagt sie.

Am 4. Januar diesen Jahres haben sich die drei dann zum ersten Mal in großer Runde getroffen. Merle berichtete damals, dass der Bio-Stand auf dem Wochenmarkt aufhören will, den die drei dann in einer Hauruckaktion innerhalb einer Woche übernommen haben. Seit dem sind sie immer samstags, im Sommer auch mittwochs, auf dem Markt anzutreffen.

"Okay, es wird schwierig genug, eine Bank zu finden, die das finanziert, wir müssen das beweisen, dass es läuft, dass es Leute gibt, die bereit sind, das mitzutragen, die da einkaufen gehen."

Die Crowdfunding-Kampagne der drei startete im Mai. Gleich der erste Tag war rein von den Einnahmen her der erfolgreichste. "Wir haben auch total viel auf Präsenz gesetzt. Wir haben Veranstaltungen gemacht, waren zum Beispiel bei den Konzerten im Inselpark und haben Getränke verkauft und sind auf dem Deich spazieren gefahren und haben Kuchen verkauft.", erzählt Kathrin. Der Aufwand hat sich gelohnt, die gewünschte Summe haben die drei zusammen bekommen.

Deichgrün Hamburg Wilhelmsburg Bioladen
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Jetzt ziehen sie ab dem 3. November in den Laden des Eisdealers. Merle erzählt: "Im August haben wir unseren ersten Kreditabsagen bekommen und konnten nachts nicht schlafen." "Ich hatte dann eine Idee. Die fiel mir irgendwie im Schlaf ein: Boa, wenn wir einfach mal beim Eisdealer einziehen? Dann können wir ja nochmal beweisen: Wir können das.", berichtet Kathrin.

Mittlerweile haben die drei ihre Kreditzusage, die Idee einer Testphase beim Eisdealer ist trotzdem geblieben. "So können wir im kleineren Rahmen üben - mit begrenzteren Öffnungszeiten und mit nur einer Kasse statt zwei.", sagt Kathrin. "Ja, und auch mit kleinerem Sortiment und kleinerer Kaffeeecke. So können wir üben, bevor wir ab März die 200 Quadratmeter bespaßen müssen.", führt Kassandra weiter aus.

"Wir dachten schon, wir machen nie auf, weil wir einfach keine Fläche finden."

Die richtige, große Filiale wird dann am Inselpark sein, direkt an der S-Bahn Wilhelmsburg. Kathrin erzählt: "Wir haben uns mit der Lage am Anfang schwer getan, weil das Herz von Wilhelmsburg schon hier oben das Reiherstiegviertel ist. Aber es ist schwer, hier etwas zu finden. Die Flächen snd oft nicht barrierefrei, müssen saniert werden. Es war ein elendiges Thema. Wir dachten schon, wir machen nie auf, weil wir einfach keine Fläche finden."

Der ausschlaggebende Tipp kam dann vom Großhändler, der selbst in Wilhelmsburg wohnt. Die drei haben dann überlegt, dass ein Laden an der S-Bahn Wilhelmsburg eigentlich viel zentraler wäre, wenn man die ganze Insel betrachtet. Außerdem wäre der Laden dort verkehrstechnisch sehr gut angeschlossen. Nachdem Kathrin, Merle und Kassandra sich vor die zu vermietende Fläche gestellt und Leute gezählt haben, ist ihnen außerdem aufgefallen, wie viele Menschen täglich dort vorbei kommen. Sie sind mit den Vermietern in Kontakt getreten, die sie bei ihrem Projekt unterstützen wollten.

Deichgrün Hamburg Wilhelmsburg Bioladen
© Maria Anna Schwarzberg

"Mit dieser Fläche ist im Vergleich zu den älteren Gebäuden auch viel weniger zu machen. Wir müssen die Wände rausreißen und den Boden verlegen. Und natürlich die Kassen, Regale und Waren einräumen. Das wird viel Arbeit, aber es wird auch entspannter, weil wir uns endlich dem Projekt widmen können.", sagt Kassandra. "Weil jetzt auch der Druck weg ist, dass es mal in die Gänge kommen muss. Weil wir jetzt auch das Geld haben und machen können.", ergänzt Kathrin. Neben der Testphase in der Veringstraße 155 werden die drei also fleißig ihre endgültige Filiale umbauen.

"Wir wollen versuchen, uns über die Kommunikation von einem herkömmlichen Supermarkt zu unterscheiden."

Gleich ab dem 3. November wird Deichgrün mit dem geplanten Konzept der Mitgliedsbeiträge starten: Ein Singlehaushalt zahlt 4,50 Euro, ein Paarhaushalt 8 Euro in der Woche, für alle schulpflichtigen Kinder kommt jeweils 1 Euro dazu. Im Laden werden dann zwei Preise ausgeschildert sein - einer für Mitglieder, einer für Nichtmitglieder.

"Wir wollen versuchen, uns über die Kommunikation von einem herkömmlichen Supermarkt zu unterscheiden, also dass wir zu Beispiel versuchen, sehr klar auszuschildern, was vegan ist und was glutenfrei. Damit man eben nicht alle Rückseiten lesen muss. Auch sonst versuchen wir, sehr offen zu kommunizieren: Was tun wir? Warum tun wir das? Warum verkaufen wir diese Eier und nicht jene? Warum haben wir kein Fleisch in der Theke liegen, sondern nur auf Bestellung?", erzählt Kathrin.

Deichgrün Hamburg Wilhelmsburg Bioladen
© Maria Anna Schwarzberg

Kassandra erzählt weiter: "Wo kommt das Fleisch her? Von welchem Bauernhof kommt das Gemüse? Das ist einfach wichtig, weil die Leute das sehr oft nicht wissen und dann den Unterschied gar nicht kennen und nur im Preis sehen würden.“ Auf dem Markt führen sie ganz strikt nur regionale Produkte, in dem Bioladen dann soweit es sich umsetzen lässt.

„Es wird hier nie Erdbeeren im Februar geben und auch keinen Spargel aus Peru. Dass wir aber auch im Winter Gurken und Tomaten haben werden, ist eine andere Geschichte. Wir fahren auch tatsächlich los und besuchen unsere Höfe. Gucken uns alles selbst an, damit wir das, was wir verkaufen, auch guten Gewissens verkaufen können.", erklärt Kathrin.

Deichgrün Wilhelmsburg | Veringstraße 155 (3. November bis Ende Februar 2017) | Montag - Dienstag: 08-12 Uhr und 15-19 Uhr, Mittwoch: 08-12 Uhr, Donnerstag - Freitag: 08-12 Uhr und 15-19 Uhr, Samstag: 08-14 Uhr | mehr Infos

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