"Die Reeperbahn ist auch nur mehr ein Disneyland für Erwachsene" - Katja Ruge über Hamburg
Etwas Neues zu schaffen, heißt die Stadt zu verändern: Im Rahmen der Heineken Shape Your City Kampagne treffen wir drei Menschen, die das Gesicht der Stadt prägen und verändern. Übrigens: Die Jury hat zur „Shape your Bar“ Aktion bereits einen Gewinner bestimmt! Wer wissen möchte wer es ist kann das jetzt hier rausfinden.
Im zweiten Teil der Shape Your City-Reihe haben wir uns mit Katja Ruge auf Kaffee, Schnack und Synthesizer getroffen. Die aus dem Hamburger Umland stammende Fotografin und Musikerin steht für 23 Jahre voller großer Kunst.
Portraits von M.I.A, Soap & Skin, DJ Koze, Milky Chance oder Helena Hauff - Ruge hat ein so buntes wie beeindruckendes Portfolio. Seit kurzem ist eine rein weibliche Auswahl ihrer einzigartigen Künstlerporträts an den Wänden der Kulturreich-Galerie in Neustadt. Die Ausstellung namens „Ladyflash“ läuft noch bis zum 26. Oktober. Unsere Autorin Hannah traf die Musikfotografin, um mit ihr über ihre Arbeit, ihre Stadt und ihre Geschichte zu sprechen.
Wenn du damit beauftragt werden würdest, Hamburg zu portraitieren, was würdest du fotografieren?
Ich wohne am Stadtpark – der gehört eigentlich auch mir. Wenn dort richtig viel los ist, bin ich eigentlich total entsetzt und flüchte aufs Land oder fahre an die Ostsee. Dann liebe ich nach wie vor den Balkon vom Übel & Gefährlich. Die Palmen, der Blick – das ist legendär. Ich bin mit dem Bunker ganz stark verknüpft, weil ich dort bereits 1988 meine Fotolaboranten gemacht habe und die Leute gut kenne, öfters fotografiere und Sunny & Frank auch das Synthesizer Studio dort haben in dem ich auch musiziere.
Aber auch meine Hood, sprich Barmbek, erfindet sich gerade komplett neu. Mittlerweile kann man dort nicht nur Döner oder Jim Block – nach wie vor der beste Burger Hamburgs – essen. Ich bin auch oft am Wochenmarkt beim Museum der Arbeit, um meinen Bruder zu sehen, der dort einen Käsestand betreibt.
Meine zweite Mama hat zudem einen Blumenstand. Ein weiterer absoluter Lieblingsort ist Lühmanns Teestube in Blankenese, wo man in der Wochenmitte stundenlang sitzen und lesen kann. Sobald Massenaufläufe sind, bin ich generell raus. Beim Hafengeburtstag würdest du mich nie finden. Christopher Street Day ist eine Ausnahme. Das Feiern habe ich ja bei und mit den Schwulen gelernt.
Ist Fotografieren für dich Handwerk oder Kunst?
Fotografieren lernt man nur, indem man selber fotografiert. Leute, die jahrelang Assistent bei einem Fotografen waren, fotografieren oft wie eben dieser Fotograf. Durch Fehler, die du beim Fotografieren machst, entwickelt man seinen eigenen Stil. Ich habe früher in Fotoagenturen gearbeitet und die ganz großen amerikanischen Fotografen vor der Nase gehabt. Alle ikonischen Bilder der 90er sind über meinen Schreibtisch gewandert. Die ersten Claudia Schiffer Bilder, die ikonischen Madonna-Fotos usw. Ich habe wahnsinnig viel Fotografie gesehen.
Man stellt sich vor ein Foto eines anderen und fragt sich, was einen dort jetzt anmacht. Diese Analysen helfen, besser zu sehen und zu verstehen. Viele Praktikanten glaubten, sie gucken mir über die Schulter und lernen daraus. Das ist aber für mich der falsche Ansatz. Man muss seine Kamera nehmen und von den Dingen, die dir durch das Fotografieren widerfahren, entwickelst du deinen eigenen Stil und lernst den Umgang mit Menschen.
Manchmal ist es aber schon stressig, oder?
Ich rede nicht gerne vom Phänomen Stress – ich empfinde die Dinge nicht als stressig. Ich habe vor Jahren viele Reisereportagen gemacht und fand es ganz toll, aber irgendwann war ein Moment gekommen, an dem ich innerlich total unruhig und wirr war. Mein Seelchen ist nicht mehr mitgereist. Ich bin nur mehr durch die Gegend geflirrt und so ist das noch immer, wenn ich viele Termine habe. Da spüre ich mich nicht mehr. Less ist more. Manchmal geht das natürlich nicht. Man muss die Feste auch feiern, wie sie fallen. Ich hatte vor drei Monaten eine sehr große OP und dadurch war alles noch ein bisschen anstrengender als sonst. Das ist auch das Jahr 2016. Man muss versuchen, sich mit guten Menschen und Begegnungen aufzutanken.
Als Treffpunkt hast du die Kulturreich-Galerie vorgeschlagen, deren Verein sich etwa um lebendige Stadtteile und gesellschaftsbezogene Ausstellungen bemüht. Wie geht es der Neustadt in deinen Augen?
Ich habe 2010 schon einmal eine Ausstellung gemacht und fand es toll, aber ansonsten habe ich keine Berührung. Die Roots von Barmbek entsprechen mir mehr. Das ist Arbeiterviertel, erdig, normal. Ich habe schon an vielen Orten in Hamburg gewohnt, in Eppendorf, im Karoviertel. Die Schanze Ende der 1990er-Jahre war mir echt zu hip. In Barmbek bin ich nicht immer available. Dadurch, dass es immer so ein Oldtimer-Stadtteil war, hatte ich meine Ruhe. Aber die Hipster haben bereits Einzug gehalten, das ist der Lauf der Dinge.
Aber es ist furchtbar, was an dem ehemaligen Bahngelände zwischen Saarlandstraße und Rübenkamp passiert ist. Dieser Stadtteilneubau ist ein reiches Ghetto. So etwas Hässliches habe ich mein Leben lang noch nicht gesehen. Liebe Hamburger Architekten, baut doch mal wieder schön! Ich kann verstehen, dass es kostengünstig sein muss, aber es gibt wirklich innovativere Sachen.
Ein befreundeter Architekt aus London war kürzlich zu Besuch und wirklich entsetzt. Jetzt will man dort ein Café neben einem Kindergarten machen, aber keiner will dort einziehen, weil die Kinder laut sind. Da hat niemand nachgedacht und das sieht man auch. Die Reeperbahn ist auch nur mehr ein Disneyland für Erwachsene. Mir fehlt das Hamburgische.
Was ist das, das Hamburgische?
Hamburgisch ist für mich Understatement. Ein bisschen spießig. Hier wird eben auch wirklich gearbeitet – das war immer mein Eindruck. Wir Hamburger sind total offen, nur die Außenwelt nimmt uns manchmal als verschlossen war. Das stimmt für mich nicht. Die Hamburger pflegen gute Umgangsformen.
Deine Ausstellung LADYFLASH findet noch bis 26. Oktober in der Kulturreich-Galerie statt. Wieso zeigst du über 100 Portraits verschiedener Musikerinnen?
Ich wollte diese tollen Frauen endlich einmal vereint an der Wand sehen. Natürlich kennt man eine Joss Stone oder Beth Ditto, aber bei M.I.A, da wird’s schon wieder nerdig. Es geht auch um musikalische Entdeckungen. Für mich beginnt meine Zeitrechnung in der Ausstellung ab Björk 1993. Das war mein erstes Portrait mit einer Frau. Sie hat damals ein neues kreatives Fass aufgemacht und immer wieder Ihre Rollen gewechselt. Das machen viele Künstlerinnen, die hier gezeigt werden.
Wie wichtig ist ein attraktives Äußeres, um erfolgreich Musik zu machen? In den Nullerjahren haben wir ja optisch und musikalisch viel Einheitsbrei im Mainstream gehabt. Heute sieht das diversifizierter aus. Wie betrachtet man als Fotografin so eine Beobachtung?
Ich glaube, es gibt immer Parallelwelten. In einer Welt geht es mehr um Ausdruck und in der anderen gibt es Castingshows und Manager. Für mich ist Zweiteres langweilig. Wir können letzten Endes jeder so aussehen wie ein Popstar. Das ist eine Frage von Make-Up, Haaren und Styling. Es gibt so oft Verwandlungen, bei denen man eine junge Künstlerin ein bisschen aufpeppen will. Dann steht sie dort in ihren tollen Klamotten und sieht gut aus. Aber sie bringt es nicht rüber. Und das stimmt für mich einfach nicht.
Die Künstlerin Peaches ist für mich ein Paradebeispiel für selbstbewussten Umgang mit Körper und Sexualität. Sie ist mit mir beim Shooting in Unterwäsche durch die Hotellobby gegangen und hat sich vor den Ford Mustang, den ich mitgebracht hatte, gestellt. Ich finde eine angezogene Frau mit tollem Blick einfach erotischer.
Wie wohnst du in Hamburg?
Ich wohne in einer 3-Zimmer-Wohnung unterm Dach. Weil ich viel unterwegs bin, ist ein Zimmer meist von jemand anderem bewohnt. Das ist natürlich auch praktisch, wegen meiner zwei Katzen.
Dein weiteres Zuhause ist der Golden Pudel Club, der jetzt von einer gemeinnützigen Stiftung gerettet wurde. Warum ist der Pudel für dich so einzigartig?
Dort findet sich immer wieder eine so wunderbare Gruppe von Menschen zusammen. Die Leute, die dort arbeiten oder auflegen, sind etwas Besonderes und das muss erhalten bleiben. Sonst haben wir irgendwann nur mehr Memberclubs wie in London. Früher haben wir immer nach England geguckt, weil dort die Musik hergekommen ist. Mittlerweile ist das vorbei.
Das würde auch in Hamburg passieren. Dadurch dass der Pudel gerade nicht da ist, gibt es für mich momentan eine musikalische Lücke. Ich möchte musikalisch gefordert werden und meine Synapsen da oben neu verstreben – deswegen vermisse ich den Pudel ganz ganz doll.
Würdest du dir generell mehr musikalische Diversität in Hamburg wünschen?
Ich glaube, dass es genug Diversität gibt, aber man muss daran arbeiten, nicht immer die üblichen Verdächtigen dafür zu begeistern. Ich würde mir wünschen, jüngeren Leuten abstraktere Sounds näherzubringen.
Die Kontroverse um den Golden Pudel und den Park Fiction steht aber auch prototypisch für die Diskrepanz zwischen den Stadtentwicklungsplänen des Senats und den Bedürfnissen der Pudel- Menschen, die einen kollektiven Freiraum statt noch mehr Kommerz wollen. Wie bewertest du die Entwicklung in punkto Stadtentwicklung?
Hier geht es eben immer um Kohle. Erst letzte Woche musste der Club „Kraniche bei den Elbbrücken“ schließen. Das war auch so ein Freiraum, wo man sich verwirklichen und lange feiern konnte. Es geht nicht nur ums Besaufen, sondern auch darum, sich auszuprobieren. Geld wird immer in Prestigeobjekte gesteckt und Dinge werden schön gemacht. Es geht aber nicht immer nur um Schönheit. Es geht auch darum, dass es wild ist. Lasst doch die Künstler in die Hafencity. Da sind so viele graue Betonwände und es gibt kaum Berührung bis dato. Ich wünsche mir mehr Kunst im Freiraum. Durch solche kleinen Dinge bewirkt man Großes.
Wo in Hamburg ist es denn noch unangepasst? Oder ist selbst das Nonkonforme bereits ein gut in den Kapitalismus integriertes Lifestyle-Konzept?
Dinge verändern sich. Alles, was nicht echt ist, ist eben nicht echt und das spürt man auch. Das begreift der Tourist vielleicht nicht, aber man sollte nicht nur in Besucherzahlen denken. Man muss sich eben auch bewusst machen, dass dort wirklich Menschen leben. Um die geht es. Wir sind die Stadt. Das darf Hamburg nicht vergessen.
Wo ist die Stadt also noch echt?
Wenn ich durch den Stadtpark laufe. Da grillt die türkische Großfamilie neben dem High-End-gestylten Typen mit seinen Hamburger Jungs – da kommt alles zusammen. Da ist die Stadt für mich mit am authentischsten und am sympathischsten.
Und wann kann man in Hamburg wieder zu deiner Musik feiern?
Danach lege ich am 22. Oktober bei Container Love 4 bei Riverkasematten auf und im Dezember bei meiner eigenen Party „Kann denn Liebe Synthie sein“ im Golem.
Danke, für das tolle Gespräch und viel Glück und Spaß bei allem, was du in dieser Stadt noch bewirken wirst!
Diese Beitrag wurde von Heineken gesponsert