Kleine, geile Firma: Habrima - Hanseatische Brillenmanufaktur
Nikolai ist 28 Jahre alt und führt seit Dezember 2015 sein eigenes Geschäft am Ballindamm. Auf dieser Seite der Binnenalster herrscht ein anderer Schnack als drüben vorm Apple Store. Keine fünfhundert Meter entfernt lungert da #wegenwlan eine Horde Halbstarker herum und produziert vor lauter Internet offensichtlich so irre viel Speichel, dass permanent jemand auf den Boden spuckt.
Hier wirkt jedoch alles so gediegen, dass vermutlich Julia Roberts selbst sich wie Pretty Woman fühlen würde (als sie in Straßen-Montur aus dem fancy Laden geschmissen wird, ihr wisst schon), weshalb auch ich noch nie den Fuß über eine der schicken Schwellen gesetzt habe.
Bis heute. Denn heute besuchen wir ein Geschäft, vor dem sich ganz sicher kein Normalsterblicher fürchten muss. Im Gegenteil: Die Hanseatische Brillenmanufaktur, also quasi Nikolai, macht Brillen für wirklich jeden Kopf – super schön, super einzigartig und angepasst an die individuellen Merkmale des Gesichts. Gucken wir also mal rein.
Hi Nikolai! Wie kommt man denn mit 28 zu einem so wahnsinnig schönen Laden in dieser Lage?
Das war auf jeden Fall ein großer Schritt – oder Sprung, besser gesagt. Ich habe ursprünglich Schifffahrtskaufmann gelernt, dann noch ein BWL-Studium drangehängt, das auch schifffahrtsbezogen war. Und nach dem Studium habe ich dann 2011 / 2012 mit drei Freunden das Holzbrillen-Label Karmawood gegründet. Zu dem Zeitpunkt gab es das am Markt noch nicht in der Ausprägung wie heute - vor allem nicht in bezahlbarer Form.
Diese Lücke haben wir dann gefüllt, haben in Deutschland designt und im Ausland produzieren lassen und die Holzbrillen über Optiker und unseren Online-Shop vertrieben. So bin ich bei der Brille gelandet, obwohl ich ja eigentlich was ganz anderes gelernt habe. Von uns vieren war ich dann derjenige, der gesagt hat: Brillen sind mein Ding, das möchte ich auch in der Zukunft machen.
Und dann dachtest du: Ich bau die Brillen einfach selbst?
Letztlich ja, weil es nur wenige deutsche Produzenten gibt. Und die lassen im Monat meist zigtausend Brillen vom Band. Da hat man es als kleines Label mit geringen Stückzahlen natürlich schwer, außerdem gab es da auch keine Kapazitäten. Dann habe ich mich schlau gemacht und in Süddeutschland Firmen gefunden, die heute noch Brillen produzieren. Dort habe ich mir angeschaut, wie genau die das machen.
Als ich dann wusste, wie man Brillen herstellt, habe ich mir alte Maschinen besorgt und selbst losgelegt. Ich fand’s einfach cool, so auch das Handwerk mit reinzubringen und nicht nur alles vom Computer aus zu steuern. Verrückterweise bin ich so dazu gekommen, wirklich selbst Brillen zu bauen.
Bei dir bekomme ich also keine Brille von der Stange?
Nein, dadurch, dass ich ja von keinem großen Lieferanten abhängig bin, kann ich die Brillen für jeden Kunden so individuell fertigen, wie er sie haben möchte. Ich hab eine Standardkollektion mit knapp fünfundzwanzig Designs, die es jeweils in sechzig verschiedenen Farben gibt. Ich kann also jede Form in jeder Farbe bauen, als Sonnenbrille, mit oder ohne Stärke. Wenn Kunde XY seine Brille dann zum Beispiel gern etwas oversized hätte, eine besondere Stegweite oder angepasste Bügel braucht, dann bekommt er das genauso. Und diese Brille gibt’s dann so eben nur einmal – das finden die Kunden schon ziemlich cool. So ist aus Habrima dann die einzige Brillenmanufaktur in Hamburg geworden.
Du fertigst aber auch komplett nach Wunsch?
Ja, ich habe auch Kunden, die sagen: Mensch, ich hatte mal ‘ne Brille vor 30 Jahren, die ist kaputtgegangen, oder eine von meinem Opa, kannst du die nochmal rekonstruieren? Oder jemand kommt mit einer ganz eigenen Idee. Das geht natürlich auch, sogar in der jeweiligen Wunschfarbe. Das ist dann aber ein bisschen teurer als die Modelle, die ich gezeichnet habe, die also schon im System programmiert sind. Wenn ich eine ganz individuelle Brille baue, fang ich ja bei null an. Also zeichnen, Maße nehmen usw. - dieser Aufwand kostet selbstverständlich extra.
Machst du das also alles komplett allein?
Mittlerweile habe ich auch Unterstützung, aber das meiste mache ich, ja. Ich arbeite außerdem mit einem Augenoptikermeister zusammen, der sich um die Gläser kümmert, wenn der Kunde welche möchte. Die meisten wollen das, weil sie dann eben alles aus einer Hand haben. Aber auch so, also ohne die Gläser, sind es etwa fünfzig verschiedene Arbeitsschritte bis zur Fertigstellung einer Brille.
Welche Arbeitsschritte sind das dann?
Zum Beispiel das Einschießen der Bügel, also die Metalleinlage in den Kunststoff, damit der Stabilität bekommt. Dafür braucht man dann eine Bügeleinschussmaschine, die muss man erstmal finden, denn meistens gibt es nur noch Vollautomaten, die in der Stunde um die 1000 Bügel schaffen. Das wäre natürlich überdimensioniert gewesen, deshalb musste ich mir eine aus der ersten Stunde organisieren. Die ist zwar alt, aber voll funktionstüchtig – damit produziert man zwar weniger Stückzahlen dafür aber individueller. Ich habe auch eine alte Graviermaschine, mit der kann man zum Beispiel den Namen des Kunden oder die Telefonnummer in den Bügel gravieren, falls die Brille mal verloren geht.
Und diese bunten Platten hier sind dein Ausgangsmaterial?
Genau, der Grundstoff sind Platten aus Baumwoll-Acetat. Die kommen von einem Hersteller aus Italien. Den Betrieb gibt es schon seit vielen Jahrzehnten – die sitzen in der Nähe von Mailand und sind auf diese Platten spezialisiert. Im Gegensatz zur industriellen Massenproduktion von Brillen mit Hilfe des Spritzgussverfahrens fräsen wir die Brillen aus den hochwertigen Platten einzeln aus.
Was kostet mich denn so eine handgefertigte Brille?
Die Gestelle liegen bei 350 Euro inklusive Wunschfarbe und Größenanpassung wie Stegweite, Glasgröße, Bügellänge. Dazu kommen dann gegebenenfalls noch die Korrekturgläser. Es geht aber auch noch individueller, wenn wir eine Brille für einen Kunden nachbauen oder uns an einer Zeichnung orientieren müssen. In so einem Fall liegt der Preis dann bei 580 Euro.
Wie sieht dein typischer Kunde aus – und wie findet er zu dir?
Jeder, der Wert auf ein authentisches und individuelles Produkt legt. Von der Studentin bis zum Reeder war schon alles dabei. Ich hab hier natürlich viel Laufkundschaft, viele Touristen, die hier entlang in die Innenstadt gehen.
Die andere Sache ist, dass ich auch für Optiker produziere und meine Habrima-Kollektion an sie verkaufe, damit sie sie in ihrem Laden anbieten können. Außerdem entsteht gerade auch ein eigener Online-Shop mit Gestell-Konfigurator.
Und welche Pläne schmiedest du mit Habrima sonst für die Zukunft?
Ich freue mich erstmal darauf, dass der Shop online geht. Bald kommen noch Kooperationen mit dem einen oder anderen Promi dazu. Ich verrate noch keine Namen, aber als Erstes gibt‘s auf jeden Fall ein Retro-Modell, das eine Berühmtheit früher getragen hat. Das wird ‘ne coole Brille! Auch limitierte Editionen wird’s zukünftig geben. Weil ich auch noch einzelne Vintage-Platten aus den 70er und 80er Jahren habe, zum Beispiel eine alte Chanel-Platte. Ich hatte es sogar schon, dass Kunden reinkamen und sagten: Hey, die Platte kenn ich – daraus hatte ich vor Ewigkeiten mal eine Brille.