Pride was a Riot: Ist der Christopher Street Day jetzt Protest oder fette Party?
Allein beim Gedanken an die diesjährige Pride Parade durch Hamburg kribbelt mein ganzer Körper. Am 5. August ist es endlich wieder soweit: Die Lange Reihe wird in Glitzer und Licht erstrahlen und Tausenden Queers und ihren Unterstützer*innen Raum bieten, für die Rechte von LGBTQIA* Menschen einzustehen. Sehr laut, sehr bunt, mit guter Musik. Das wunderbare Motto dieses Jahr: "Selbstbestimmung jetzt! Verbündet gegen Trans* Feindlichkeit". Und nicht zum ersten Mal stelle ich mir die Frage, was der CSD heute eigentlich noch ist oder sein möchte?
Kink meets Regenbogen
Ich sehe Regenbögen und Hundemasken, ich sehe nackte Brüste und Kleidung, die längst keine Geschlechter mehr kennt. Ich sehe Fetisch und Vanilla.
Wenn ich an vergangenen Sommer denke und den CSD-Umzug durch Hamburg, dann habe ich eigentlich nur einen Satz im Kopf: DAS WAR WILD! Die Großbuchstaben braucht es, um zu sagen: Mit wild meine ich halt wirklich wild. So viel überschäumende Freude, wundgetanzte Füße, Free Hugs, Küsse mit Fremden und solche mit Freund*innen, geteilte Liebe und bei egal was: Consens. Zum ersten Mal gehe ich in meinem most kinky Outfit auf die Straße, kehre einen Teil meiner Identität nach außen. Ich will das, ich möchte mich selbst herausfordern und etwas Neues wagen. All black, viel Haut und bis in den letzten Winkel selbstbestimmt. Eine meiner Freundinnen hält die Leine zu dem Halsband, das ich angelegt habe, in ihren Händen. Und ich bin ganz in mir. Ich spüre meinen Körper und mich selbst, weil ich hier und heute nichts verstecken möchte. Weil ich an diesem Tag merke, wie es sich anfühlen kann, wenn das Zeigen von Haut nicht auch mit Ängsten verbunden ist. Nicht mit Sorgen, die jede weiblich gelesene Person nur zu gut kennt.
Ich bin queer.
Ich bin pansexuell.
Ich bin polyamor.
Ich bin manchmal auf der Suche nach meiner Geschlechtsidentität. Aber an diesem Ort hier darf ich sein und einfach atmen. Mir fällt kein anderer ein, an dem eine so natürliche Co-Existenz verschiedener Lebensrealitäten besteht. Ich sehe Regenbögen und Hundemasken, ich sehe nackte Brüste und Kleidung, die längst keine Geschlechter mehr kennt. Ich sehe Fetisch und Vanilla. Eine Frau mit Halsband läuft an mir vorbei und lächelt mich an, und ich spüre Verbundenheit. Nicht nur mit ihr, sondern der ganzen Menge um mich herum, in der alles so fluide ist. Vielleicht will ich sie küssen, vielleicht tue ich es auch.
Erster CSD im Schanzenpark
Es ist nicht selbstverständlich, dass ich mich so zeigen kann. Und noch weniger, dass ich übers Knutschen nachdenken kann, ohne mich um das Geschlecht meines Gegenübers zu scheren. Es gab queere Menschen vor mir, die diesen Weg geebnet haben. Es brauchte so viel Hass und Gewalt. So viel mehr Mut. Es brauchte die Stonewall-Aufstände Ende der 60er-Jahre in der New Yorker Christopher Street. Es brauchte die queeren BIPoC und trans Menschen, die sich dort zum ersten Mal gegen Polizeigewalt und grundlose Festnahmen wehrten. Schnell entwickelte sich die Razzia im Stonewall Inn zu einer Straßenschlacht, und dieser wiederum zum Wendepunkt der LGBTQIA*- Geschichte. In Anlehnung an dieses großes Ereignis fand am 28. Juni 1980 die erste Stonewall-Demonstration in unserem wunderschönen Hamburg statt (Vorläufer des heutigen CSD). Natürlich war das kein Vergleich zu den Paraden, die wir heute kennen. Nicht einmal 2000 Demonstrierende kamen damals zusammen, und auch sonst blieb es deutlich ernster, weniger laut und fröhlich.
Es gab queere Menschen vor mir, die diesen Weg geebnet haben. Es brauchte so viel Hass und Gewalt. So viel mehr Mut. Es brauchte die Stonewall-Aufstände Ende der 60er Jahre in der New Yorker Christopher Street. Es brauchte die queeren BIPoC und trans Menschen, die sich dort zum ersten Mal gegen Polizeigewalt und grundlose Festnahmen wehrten.
Aber es war das erste verdammte Mal, dass queere Hamburger*innen mit ihren Forderungen auf die Straße gingen. Und ganz ehrlich: Wenn ich mir das vorstelle, dann habe ich echt richtig Gänsehaut. Die Aktivist*innen marschierten friedlich durch die Innenstadt bis in die Schanze, wobei die ganze Zeit ein Polizeiauto bei ihnen fuhr, von dem aus einige Beamten fotografierten. Wofür die Aufnahmen waren? Für sogenannte "Rosa Listen", die es in Deutschland zu diesem Zeitpunkt eigentlich gar nicht mehr geben sollte. Denn auf ihnen sammelten Behörden die Namen mutmaßlicher Homosexueller und deren Treffpunkte – alles zum Schutz der leicht zu verwirrenden Jugend natürlich. Schließlich waren ja alle queeren Menschen Triebtäter!
Als die Demonstrierenden die Polizist*innen nun aufforderten, die Filme mit den Bildern herauszugeben, eskalierte die Situation innerhalb kürzester Zeit. So sehr, dass Reizgas und Schlagstöcke zum Einsatz kamen. So sehr, dass Menschen verletzt wurden, die nur hatten sie selbst sein wollen. Damals, im Schanzenpark.
Pride was a Riot – Und jetzt?
Pride was a Riot, und das ist sie immer noch! Wir kämpfen an gleichen und an anderen Fronten. Solange es Hass gibt, müssen wir lauter sein als die Anfeindungen. Solange Menschen sterben, weil sie ihrem Herzen folgen, müssen wir kämpfen. Und ich sage: Ja, wir haben in diesen letzten fünfzig Jahren echt scheißviel erreicht, aber sollten wir nicht weiter sein? Weiter als der Versuch, Lesungen von Drag Queens zu verbieten? Weiter, als Menschen auf Pride Demonstrationen zusammenzuschlagen? Weiter als Anschlagspläne, wie es bei der Wiener Pride der Fall gewesen ist? Auch mein CSD vergangenes Jahr, an den ich mit so viel Wärme zurückdenke, hat am Ende einen seltsamen Beigeschmack. Es ist schon spät, vielleicht halb zwölf oder zwölf. Die Musik rund um den Jungfernstieg ist vor einiger Zeit ausgegangen, aber es sind immer noch viele Menschen da, die weitertrinken und nicht wollen, dass der Tag endet. Diese Männer mit ihren unangenehmen, bohrenden Blicken stehen schon seit einiger Zeit am Rand der Party, aber jetzt werden sie mutiger und mischen sich unter die Grüppchen. Es kommen die ersten Sprüche unter der Gürtellinie, Anfeindungen und das obligatorische: "Du brauchst doch nur mal einen richtigen Schwanz." Egal, was ich trage: Es ist keine scheiß Einladung, mich anzufassen. Nichts an mir ist das. Und während dieser bunten Demonstration wurde genau das akzeptiert. Das ist verdammt nochmal die Welt, die ich mir wünsche: in der einfach jede*r seine Mitmenschen tun lässt, was auch immer sie wollen. Freiheit endet erst da, wo sie die anderer Leute beschneidet. Zumindest in meiner Utopie.
Dabei wünsche ich mir nur, dass mensch die Geschichte des Christopher Street Days vor dem ersten Drink im Kopf hat.
Nur gemeinsam sind wir stark
Für mich ist der CSD beides: ein wichtiger Protest und eine riesige Party. Wieso sollten wir denn nicht Fortschritte queerer Rechte feiern und zeitgleich auf Missstände aufmerksam machen? Wieso keine Co-Existenz von Emotionen und Bedürfnissen? Dabei wünsche ich mir nur, dass mensch die Geschichte des Christopher Street Days vor dem ersten Drink im Kopf hat. Dass uns allen klar ist, dass queere BIPoC einen festen Platz in dieser Gemeinschaft haben, denn ihnen verdanken wir jeden Anfang. Dass Sexarbeiter*innen ein Teil von uns sind. Dass Unterstützer*innen diese Paraden besuchen dürfen, ja, sogar sollen. Dass dazu gehört, wer auch immer aus dem Raster fällt, welches uns vormacht, es gäbe in unserer Welt ein Richtig oder Falsch. Und wer weiß. Vielleicht nutze ich den diesjährigen CSD dazu, wieder ein Stück mutig zu sein und über mich hinauszuwachsen. Vielleicht werde ich zeigen, dass Nonbinarität plötzlich ein Ding für mich ist. Vielleicht trage ich dieses Mal nur einen Body, weil ich das immer schon einmal machen wollte. Vielleicht besteht mein Oberteil bloß aus Nippel Pads, weil mich diese krasse Sexualisierung weiblicher Brüste nervt. So oder so: Ich werde in Liebe baden.