Clubculture 2.0: So verändert sich die Szene in Hamburg
Postpandemisch fragen wir uns: Wie werden wir leben, feiern und zusammenkommen? Denn nach dem Tanz-Verbot, Clubsterben und den Schließungen vieler eingeschworener Places-to-be, befindet sich die Ausgeh-Szene in einer wechselhaften Veränderungs- und Neufindungsphase. Strukturell. Aber auch auf der Suche nach ihrem Pathos. Und so kam es, wie es kommen musste. Der Raum Club veränderte sich als solcher – angetrieben von neuen Musikrichtungen und Bedürfnissen des Publikums. Nun ist er nicht mehr statisch, sondern zum flexiblen Pop-up-Space geworden, der veranstaltet, wo es ihn hintreibt. Wo man früher feste Räume hatte, in die man stammtischmäßig ging, gibt es auf plötzlich neue Mechanismen. Angetrieben wird diese Revolution der Szene von einer Riege an Künstler*innen und Kollektiven – nach deren Schedules wir tanzen.
You can’t find me in the Club
Eingeschworenen Party-Connaisseusen wird aufgefallen sein: Wenn man sich mit seinen Freund*innen zum dancen verabredet, besucht man mittlerweile ganz gezielt eine Veranstaltung. Wie bei einem Konzert wird nichts dem Zufall überlassen: VVK-Ticket, Pre-Game-Pläne oder gleich vor Ort treffen? Der kann wie bei einer Schnitzeljagd immer wieder woanders sein. Ganz flexibel. Heute hier, nächstes Wochenende da. In dunklen Kellern oder Bars, in denen man vorher noch nie war. Via Social Media sucht man sich in dem vielfältigen Angebots-Pool eine Special-Interest-Veranstaltung, von der man sich abgeholt fühlt. Heute eher Lust auf House, Hip-Hop, Techno, Amapiano oder doch lieber percussionlastige Klänge? Choose your Fighter!
Das Potpourri der hiesigen Veranstalter*innen bietet ein buntes Aufgebot und nutzt Social Media als Kommunikationsplattform der Wahl. Wer hier nicht folgt, gehört nicht zum Kreis der Eingeweihten, die wissen, wo heute Abend was geht. Eingeladen von Fremden oder bekannten Gesichtern, die wir fast freundschaftlich aus unseren Feeds kennen und jüngerhaft in jede Venue folgen. Ohja, Club is a Religion: Für einige besondere Acts werden sogar lange Anfahrten in Kauf genommen. So stark ist die Loyalität. Und das alles nur für ein ultimatives Ziel: Das optimale Partyerlebnis, aus dem mittlerweile mehr als nur Club X am Wochenende geworden ist. Stattdessen muss alles stimmen: Vibe, Crowd, Sound. Erst dann ist Ekstase garantiert.
Find your Tribe!
In dieser streng kuratierten Clubkultur ist vor allem die Gesamtheit des Publikums entscheidend. Sie kann einer Party zu Höhenflügen verhelfen, aber auch dafür sorgen, dass die Stimmung im Keller bleibt. Das liegt nicht unbedingt an der Größe, eher an den Intensionen, die jede*r Einzeln*e mitbringt. Kommst du für Enjoyment oder nur für die Instagram-Story? Doch vor allem geht es darum, mit den richtigen Leuten am richtigen Ort zu sein. Nicht gerade einfach, wenn bestimmte Communitys sich im Mainstream-Club nicht repräsentiert oder erwünscht fühlen. Etwas, das das Kollektiv "Out Of Order", kurz OOO, bestehend aus DJs, Journalist*innen und Tänzer*innen seit 2021 ändern möchte.
"Wir veranstalten Events, die außerhalb der gängigen Club-Norm stattfinden. Wer den Abend mit uns verbringt, begibt sich auf eine Reise, bei der wir alles kuratieren. Wir sehen uns als mehr: eine Community, die marginalisierten Menschen eine Plattform bietet. Eine, auf der sie sich ausleben und moderne afrikanische Sounds wie Amapiano, Afro House oder Gqom entdecken können. Dass Musik "identitätsstiftend" ist, weiß OOO genau: "Sie schafft eine Bindung zwischen uns, egal welcher Diaspora man angehört. Die Stimmung und Energy bei uns ist einzigartig — wenn man sich darauf einlässt, ohne sich "zu cool" zu sein.", beschreibt Nigel aka Eros, DJ und Mitbegründer den Approach. Denn der "Sense of Belonging", der mit Fremden auf dem Dance-Floor entsteht, ist eben nur dann einzigartig, wenn sich alle willkommen fühlen!
Die Suche nach dem richtigen Vibe
Diese kulturelle Macht und treibende Anziehung der Musik darf man nicht unterschätzen. Weiß auch das Kollektiv "Hayat.Sounds", was sich bewusst nicht als solches versteht. Stattdessen wollen sie als innovative Initiator*innen wahrgenommen werden. 2023 von Shari, Mansor und Deniz gegründet, möchte das Trio "ein Gefühl – eine emotionale Erfahrung – erschaffen, die in die Vielschichtigkeit der Diaspora eintaucht. Das, was die neuen Generationen als Kultur definieren, wollen wir für alle sichtbar machen. Unser Format mischt gekonnt verschiedene Genres wie Middle Eastern, Hip-Hop, RnB, Funk, Afrobeats, Dance, House und mehr" beschreiben sie ihren uniquen Sound, der sich als alternatives Klangangebot "organisch in die (Club-)Szene von Hamburg integrieren" soll.
Dabei setzen wir auf Musik und vieles mehr, um Menschen jeglicher Nationalität, sexueller Orientierung oder Religion zusammenzubringen.Hayat Sounds
Die Idee dahinter ist simpel, doch komplex: "Anstatt einfach nur herauszustechen, streben wir danach, mit unseren Visionen und Inhalten eine Veränderung herbeizuführen, die mit der Zeit als selbstverständlich betrachtet wird. Durch das Aufbrechen festgefahrener Denkmuster schaffen wir neue Safer Spaces. Dabei setzen wir auf Musik und vieles mehr, um Menschen jeglicher Nationalität, sexueller Orientierung oder Religion zusammenzubringen. Unser Fokus liegt darauf, eine Plattform zu schaffen, auf der sich alle gegenseitig inspirieren und dadurch gleichzeitig eine Atmosphäre der Akzeptanz und Offenheit fördern." Etwas, dass viele Menschen in Clubs vermissen. Dort sind K.O.-Tropfen-Vorfälle oder Belästigungen oft Teil der Experience. Von der Viele also ganz absehen. Ergo nachts lieber Pennen gehen, statt Party zu machen.
Das New-Age-Nighlife zwischen Clubsterben und Partymuffel-sein
Aber woran liegt es, dass Clubs wie nostalgische Überbleibsel einer damaligen Feierkultur scheinen. Mit legendären Namen wie "Star Club", "Die Insel" oder "Trinity". Das war, bevor das Clubsterben einsetzte. Heute scheinen die noch aktiv leuchtenden Etablissements eher zufällig Anziehend. Bewusst besucht man sie nur für gezielte Veranstaltungen oder als nachthungriger Newbie im Going-out-Game. Wer kennt sie nicht, die wilden Eskapaden aus dem bedeutungsschwangeren früher?! Dröhnende Bässe, klingelnde Ohren, kurze Nächte und Augenringe. Damals ging von Discotheken dieser seltsame Zauber aus. Von einer verborgenen Welt, zu der man Zutritt haben wollte. Heute fällt mir auf die Frage (Ortsfremder)‚ wo man am besten feiern gehen sollte', nur ein ratloses "Gute Frage", ein.
Frisch, originell und anziehend wächst die Landschaft aus etablierten Playern und nischigen Neuformationen. Jeder Abend ein Abenteuer!
Denn alternativ zur Night-Out steht immer öfter die kuschelige Night-In zur Debatte. Andere haben dem Party-Lifestyle schon partout abgeschworen. Zu lange, zu laut und warum sind alle auf einmal so jung? Man fühlt sich deplatziert und ich habe sofort Henning May im Ohr, wie er singt: "Ich weiß, ich hab gesagt, ich bin heute am Start/Aber ich komm nicht klar und da/Wo ich schon tausendmal war/Will ich heute nicht hin/Weil da immer die gleichen Leute sind/ Und weil ich müde bin". Und denke mir jaja, same Henning: "Ich glaub, ich geh' heut nicht mehr tanzen". Möglicherweise auch eine Alterserscheinung, diese sich schleichend anbahnende Party-Fatigue.
Club can’t handle me: Was fehlt der Szene?
"Was?! Diesen Song spielt man noch 2023", denke ich mir oft, wenn ich mich doch für einen Club breitschlagen lasse. "Der war doch schon früher scheiße! Oder zumindest nicht exorbitant partytauglich. Und überhaupt. Alle filmen nur und keine*r tanzt so wirklich…" Wie das Radio folgt der Club dem Mainstream und ist ein radikaler Querschnitt. Passt für viele, aber ganz vielen anderen nicht. Umso willkommener, dass das Durchschnittsangebot, was mit seinem massentauglichen Sound ebenso Daseinsberechtigung hat, von innovativen Neuausrichtungen ergänzt wird. Frisch, originell und anziehend wächst die Landschaft aus etablierten Playern und nischigen Neuformationen. Jeder Abend ein Abenteuer!
"Wir möchten grundsätzlich Menschen ansprechen, die sich für die Kulturen und die Musik interessieren, für die wir stehen. Aber vor allem die Kids, die an der Tür abgewiesen werden und mit dem Gefühl nach Hause gehen, es liegt an ihrer Hautfarbe oder Herkunft. Das kennen auch wir zu gut! Uns ist wichtig, dass jede*r, die*der zu unserer Veranstaltung kommt, dieselben Values in puncto Consent und Boundaries hat", so der "Out Of Order" Co-Founder. Und zum Glück sorgen auch weitere Gemeinschaften für Diversifikation im Party-Game. Unter ihnen "Come & Groove" mit "liebevoll kuratierten Events von House, UK-Funk und Disco bis hin zu R&B, Hip-Hop, Afrobeats und Amapiano." Durch "neue Perspektiven" mit lokalen Künstler*innen – ein attraktiver Gegenpol zur touristischen Reeperbahn. Aber auch "Magic Mansion" mischt die Hamburger Szene auf und bietet "groovy electronic music" in individuellen Settings.
Nach Hause oder weiter durch die Nacht?
Kürzlich saß ich in einem Taxi mit Zieladresse Karolinenplatz. "Ins Pal?"; fragte mich der Fahrer. "Auf einem Donnerstag?", verneinte ich. Schon befanden wir uns in einem Gespräch, untermalt von Post Malones "Chemical" über Dresscodes und seine nächtlichen Routen. Gen Kiez. Pal, Bunker und wo auch immer nach Hause bei seinen Gästen bedeutet. Trotz meines individuellen Empfindens, dass doch keine*r, mehr wirklich auf den Kiez oder in stationäre Clubs geht, untermalt eine aktuelle Datenauswertung von Uber sein clubbendes Stadtbild. Hamburg feiert immer noch am liebsten auf der Reeperbahn, rund um St. Pauli. Halo, Mondoo, Noho und Ballsaal sind beliebte Ziele. Auch das Chief Broady ist eine solide Anlaufstelle für alle, die spontan dem Gefühl folgen – nach Hause oder weiter durch die Nacht?
Wir möchten grundsätzlich Menschen ansprechen, die sich für die Kulturen und die Musik interessieren, für die wir stehen. Aber vor allem die Kids, die an der Tür abgewiesen werden und mit dem Gefühl nach Hause gehen, es liegt an ihrer Hautfarbe oder Herkunft.Nigel von OOO
In diesen Stunden ist das Clubben, wie wir es kannten, nicht etwa am Aussterben. Jeder Name hat in der Stadt Gewicht. Verrät etwas über den Personenkreis, der ihn besucht und wer absolut keine Ahnung von Weggehkultur hat. Doch jede Generation bringt ihren eigenen Anspruch mit, transformiert den Status quo, da, wo es nötig scheint. "Wir wollen so vieles verändern, aber vor allem wollen wir viel Gutes fördern. Eine Neugier für das Unbekannte wecken, ein wohlig warmes Gefühl für das Vertraute schaffen, einen gemeinsamen Zuspruch für das Zusammensein bieten – kurz gesagt, ein Safer Space. Und dafür nutzen wir Musik als Hebel. Aber auch uns", weiß das Trio, dessen Name für Leben, Existenz, Herzblut steht. Hayat.Sounds eben. Ein Impuls, mit dem das Nachtleben wiederbelebt werden könnte – Leidenschaft, die verbindet!