I’m bi actually: Wenn die eigenen Gefühle unsichtbar sind

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Pansexualität, also sich unabhängig des Geschlechts in Menschen zu verlieben, ist das Label, mit dem ich mich gerade am wohlsten fühle. Ich verliebe mich in Herzen, in Seelen, in die Ausstrahlung einer Person. Und ja, mensch muss seine Queerness nicht benennen oder gar definieren, mir persönlich gibt es aber Sicherheit, vor allem aber das Gefühl von Zugehörigkeit. Vielleicht auch, weil ich mich wie viele bi+ Menschen dort draußen oft nicht wahrgenommen fühle.

Wer bin ich und wenn ja, wie gay?

Vor ein paar Jahren – ich war gerade frischer Single und habe das unverfängliche L(i)eben genossen – stand ich mit Max auf dem Balkon meiner WG. Es war einer dieser gemütlichen, süffigen Abende mit Herzensmenschen. Schwarzer Himmel und ein paar Kerzen im Wind. Drinnen viel Gelächter und Ausgelassenheit, während wir uns draußen eine Zigarette geteilt und gegenseitig die aktuellen Tinder-Matches gezeigt haben.

"Ich wusste gar nicht, dass Frauen so ein Ding für dich sind", meinte Max irgendwann überrascht. "Ich bin bi", antwortete ich. "Das weißt du doch." Kurzes Zögern, dann: "Ja, aber ich wusste nicht, dass du so richtig auf Frauen stehst." Wie bitte? So richtig? Weil ich mich kurz vorher von einem Mann getrennt habe? Weil ich gerade zwei Frauen datete? Weil ich als richtige Bi+sexuelle 50 Prozent straight und 50 Prozent gay sein muss? Ich kann nicht mehr sagen, was ich darauf geantwortet habe. Wahrscheinlich habe ich einfach doof gelacht, um meine eigene Unsicherheit zu überspielen.

Ich erinnere mich weniger an meine Worte, gut aber an das Gefühl vom überrollt worden sein. An das Unwohlsein, weil ich von einem sehr guten Freund weder gesehen noch gehört worden bin. Dabei habe ich zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre offen queer gelebt und auch das konkrete Label bi+sexuell ist dabei immer wieder gefallen. Max und ich standen dort auf diesem Balkon, zusammen. Aber für einen Moment habe ich mich krass einsam gefühlt.

Ich wusste nicht, dass du so richtig auf Frauen stehst.

Bi+sexuelle Rechtfertigung

Ein paar Monate später fiel Max erneut aus allen Wolken. Schon wieder! Ich hatte mich nämlich doll in eine Frau verliebt und wir hatten uns relativ schnell dazu entschieden, es miteinander versuchen zu wollen. Am liebsten hätte ich geschrien: "HALLO! ICH BIN BI+SEXUELL! IMMER NOCH!"

Aber wieso meine Energie für ständige Rechtfertigungen hernehmen, wenn ich auch einfach verliebt sein kann? Wieso etwas verteidigen, das ich tief in mir weiß? Das Gefühl, ich müsse mein Umfeld regelmäßig über meine romantischen und/oder sexuellen Präferenzen updaten, ist trotzdem nie ganz verschwunden. Meine eigene ständige Frage danach, ob ich queer genug bin. Aber die Art, wie ich liebe, lässt sich nun einmal nicht mit Zahlen greifen, nicht mit Prozenten oder Statistiken.

Bi+sexuell zu sein, bedeutet, sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen zu fühlen. Bi+sexualität ist keine Kombination aus straight und gay, sondern etwas Eigenes. Etwas Schönes, etwas Bereicherndes. Etwas, das einfach existiert.

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Bi+sexualität ist keine Kombination aus straight und gay, sondern etwas Eigenes.
Sophie Bichon

Ein Unsichtbarkeitstrank für alle Bi+sexuellen!

Ich habe mich daran gewöhnt, auf die ein oder andere Art und Weise unsichtbar zu sein. Ich kenne es gut, dass meine Gesprächspartner*innen seltsam besessen davon sind, sex und gender meiner Dates und Beziehungsmenschen zu erfahren. Dass ich auch in der Community selbst oft keinen richtigen Platz finde. Dass ich die bin, die sich "nicht entscheiden" kann oder einfach nur "ständig Sex will".

Ich kenne es gut, dass ich meine Schublade als Bi+sexuelle immer wieder verteidigen, und ja, auch schützen muss. Wären wir Teil einer Fantasy-Welt, dann wäre Unsichtbarkeit unsere Superkraft, wir wären Meister*innen der Tränke und könnten mit nur einem einzigen Schluck verschwinden. Als freie Entscheidung – nicht weil andere uns nicht sehen (wollen).

I’m bi, actually!

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Was mein großes, bi+sexuelles Herz ein bisschen geheilt hat, war die Serie "Heartstopper". Es geht um zwei Jungs, um die großen Gefühle und die erste Beziehung mit all ihren Höhen und Tiefen. Um Nick, der für sich erst einmal herausfinden muss, dass er bi ist (Hat mit "Fluch der Karibik", Orlando Bloom und Keira Knightley zu tun, höhö).

Nick Nelson ist einer der schönsten bisexuellen Figuren, die ich bisher auf der Leinwand gesehen habe, und ich sage euch, wie es ist: Es sind auf jeden Fall ein paar Tränen geflossen! Wieso? Weil Nick verdammt nochmal einfach bisexuell ist. Weil die Darstellung seiner Bisexualität nicht bedeutet, dass er zu einem hypersexuellen, verruchtem Kerl wird, der nichts anbrennen lässt. Weil das die Repräsentation ist, die sich mein fragendes Ich früher gewünscht hätte. Weil das B aus LGBTQIA* in "Heartstopper" genauso viel Gewicht besitzt wie die anderen Buchstaben.

Und trotzdem ist da immer wieder dieser eine (mir bekannt vorkommende) Satz, mit dem Nick sich, seine Gefühle und die gleichgeschlechtliche Beziehung immer wieder erklären muss: "I’m bi actually". Zwischen den sanften Tönen zeigt die Teenie-Serie ganz schön viel Biphobie. Biphobie, die leider auch im echten Leben existiert.

Wären wir Teil einer Fantasy-Welt, dann wäre Unsichtbarkeit unsere Superkraft, wir wären Meister*innen der Tränke und könnten mit nur einem einzigen Schluck verschwinden.
Sophie Bichon

Nein, ich will keinen Dreier mit dir!

Es ist nicht nur die Unsichtbarkeit, die Bi-Erasure. Es geht um einen riesigen Haufen verletzender Äußerungen und diskriminierendes Verhalten. Es ist mir schlicht und ergreifend egal, ob das am Ende dann böse gemeint ist oder nicht. Denn ich werde sexualisiert, weil es ja so geil ist, wenn ich als Frau eine andere lecke.

Bi+ zu sein ist ja so woke! Und natürlich, Günther, ich habe riesige Lust auf einen Dreier mit dir und deiner Frau, damit ihr eure Ehe endlich etwas aufpeppen könnt. Und hihi, stimmt, ein bisschen bi schadet nie. Aber das gilt nur für Frauen, weil bi+sexuelle Männer sind in Wahrheit ja eh alle gay.

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Ich werde sexualisiert, weil es ja so geil ist, wenn ich als Frau eine andere lecke.
Sophie Bichon

Erster Bi+ Pride Umzug in Hamburg

Von all den Menschen, die sich als queer bezeichnen, bewegen sich die meisten auf dem Bi+ Spektrum. Das B in LGBTQIA* sollte also um so vieles lauter sein. Auch ich möchte laut sein und wahrscheinlich ist das der Hauptgrund dafür, dass ich so wie Nick Neslon nicht müde werde immer wieder zu sagen: I’m bi actually.

Besonders glücklich macht es mich da, dass in unserem schönen Hamburg am Samstag, den 23. September, nun schon zum dritten Mal die Bi+ Pride stattfindet, Deutschlands erster bi+sexueller CSD, der ganz deutlich sagt: Ja, uns gibt es. Ja, wir sind viele. Das ist der Schritt nach vorn, den wir so dringend brauchen. Der Tag ist schon seit Wochen fett in meinem Kalender markiert und ich kann es kaum erwarten, mit meinen Freund*innen auf die Straße zu gehen. Dieses Mal nicht wegen einem Max oder einem Günther, sondern für mich und alle anderen bi+sexuellen Herzen.

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