Ständige Vergleiche und High-Performer: Wieso sind andere Eltern so nervig?

© Emma Bausa | Pexels

Eine geräumige Turnhalle irgendwo in Hamburg. Ein dichter Mief, eine Mischung aus Fußgeruch, altem Schweiß und in die Jahre gekommenen Sportgeräten mit speckigen Bezügen liegt in der Luft. Dazu ohrenbetäubender Lärm. Kleinkinder jauchzen, heulen, kreischen. Es ist der wahr gewordene nachmittägliche Albtraum aller Erziehungsberechtigten: Eltern-Kind-Turnen.

Halt, nein: Wirklich aller Erziehungsberechtigten? Ein Vater sticht aus dem Meer der Begeisterung heuchelnden Erwachsenen hervor. Er feuert sein Kind bei jeder Übung euphorisch an, turnt selbst immer wieder Elemente der drei aufgebauten Parcours mit. Er robbt durch Tunnel, hüpft auf Trampolinen, kugelt sich über Bodenmatten — und hält den kompletten Betrieb auf. Kleinkinder stehen brav aufgereiht in den Warteschlangen, harren ungeduldig darauf, endlich an die Reihe zu kommen, doch besagter Vater macht weiter den Kletteraffen. Irritierte Blicke der anderen Eltern. Plötzlich bleibt der Vater mit gespielter Bestürzung stehen, reibt sich mit übertriebenen Gesten seinen Bauch und tönt: „Ich habe plötzlich soooo einen Hunger! Ich glaub, ich muss mal bei dir abbeißen, du siehst soooo lecker aus!“ Er stürzt sich auf sein Kind und tut so, als würde er Stücke von ihm abbeißen. Der Kleine kreischt vor Vergnügen. Die Umstehenden warten noch immer, peinlich berührt. 

Die High-Performer — Gute Laune vorprogrammiert

Wir kennen sie alle, diese High-Performer unter den Eltern, die durch übertriebene Zurschaustellung ihrer vermeintlich perfekten Elternschaft uns Normalsterblichen unsere pädagogische Mittelmäßigkeit aufzeigen.

Wir kennen sie alle, diese High-Performer unter den Eltern, die durch übertriebene Zurschaustellung ihrer vermeintlich perfekten Elternschaft uns Normalsterblichen unsere pädagogische Mittelmäßigkeit aufzeigen. Auf unserer Seite: ein Quäntchen Neid, ein bisschen Fremdscham und ganz viel „Nu is gut, Jung, turn mal weiter jetzt“. Die High-Performer bilden nur einen Elterntypus von vielen ab, die man als Mutter oder Vater täglich nicht nur in Turnhallen, sondern auch in KiTas, auf Spielplätzen und in Schwimmbädern trifft. Denn so schön die Bekanntschaft mit anderen Eltern auch manchmal sein kann (man tauscht sich aus, unterstützt einander, nimmt dieses ganze seltsame Ding namens Elternschaft hoffentlich mit einer ordentlichen Portion Humor), manchmal ist sie auch zum Davonlaufen. Denn oft sind es Zweckgemeinschaften.

Hat man keine bis wenige Mütter oder Väter im eigenen Freundeskreis, ist man auf sie angewiesen: Menschen, die man in Geburtsvorbereitungskursen, Krabbelgruppen und an oben genannten Orten kennenlernt. Schließlich will man nicht komplett allein dastehen und Gespräche mit dem Sprössling erweisen sich bis zu einem gewissen Alter in der Regel als sehr einseitig. Na klar, es können auch wunderbare Freundschaften aus diesen Zweckgemeinschaften entstehen, ich habe es selbst erlebt. Aber an die langjährigen Beziehungen mit Menschen, mit denen dich eine Geschichte verbindet, die mit dir durch Schulzeit, Liebeskummer, dick und dünn gegangen sind, reichen sie einfach nicht heran.

Die Ambitionierten — höher, schneller, weiter

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Dann gibt es noch die Ambitionierten. Sie vergleichen ihr Kind mit allen Gleichaltrigen, fachsimpeln darüber, welcher Knirps bereits welchen Entwicklungsschritt erreicht hat und woran es liegen könnte, dass andere noch nicht so weit sind. Sie können es nur schwer vertragen, wenn ihr Spross nicht in allen Disziplinen vorne liegt. Vermutlich haben sie ihn bereits im zartesten Alter für Geigenstunden und Mandarin-Unterricht angemeldet und ihn an der besten Universität des Landes eingeschrieben. Gerne halten sie ihrem Kind seine vermeintlichen Defizite vor: „Nun guck doch mal, wie Karlchen das macht, Fidelius. DER kann schon alleine schaukeln. Und der ist anderthalb Monate jünger als du!“

Willkommen in der Leistungsgesellschaft. Neulich hörte ich auch ein empörtes: „Wieso kann DEINER denn schon beidbeinig abspringen? Das können die doch erst mit 36 Monaten!“ Aber wirklich, was erdreistet sich das Balg? Womit wir wieder beim ewigen Vergleichen wären. 

Pausensnack oder Politikum?

© Birte Hecht

Apropos Vergleich: Neulich auf dem Spielplatz, eine Gruppe Mütter und ihre Kinder sitzen zusammen, eines verkündet, Hunger zu haben. Trinkflaschen und mitgebrachte Snacks werden ausgepackt, denn wo ein hungriges Kind ist, folgen, so will es das Gesetz, viele hungrige Mäuler und die Entstehung von Futterneid ist unter allen Umständen zu vermeiden, wenn man keine hässlichen Szenen erleben möchte. Brotdosen werden geöffnet und enthüllen ihren bunten Inhalt: Zum Kranich geschnitzte Möhren, akkurat geschälte Gurken und nahrhafte Hirse-Stangen kommen zum Vorschein, wenn nicht gar selbst gebackene Dinkel-Waffeln, kunstvoll mit den Initialen des Kindes verziert.

Eine Mutter holt zögerlich eine Tüte mit gekauften (!) Maisstangen hervor und murmelt schuldbewusst: „Ich bin direkt vom Büro zur KiTa, ich hatte keine Zeit, noch etwas vorzubereiten.“ Die anderen Mütter beruhigen sie und versichern ihr wortreich, keine Totalversagerin zu sein. Und ich denke nur so: Haaaaalt, STOPP! Was ist denn hier kaputt? Warum muss man sich denn als Mutter oder Vater schlecht fühlen, weil man keine Zeit, keine Energie oder keinen Willen mehr hat, seinem Kind ein Menü in die Brotbox zu zaubern, das den Titanic-Passagieren der ersten Klasse vor Verlangen die Tränen in die Augen getrieben hätte? Schluss damit! 

Cool Mums Don’t Judge?

Und dann überlege ich und fühle mich selbst ertappt. Bin ich nicht auch Teil des Problems? Denn Hand aufs Herz: Wenn ich weiß, dass ich auf dem Spielplatz Bekannte treffen werde, versuche ich meinem Sohn möglichst auch ein bisschen Gemüse in die Box zu schnippeln. Sind wir nicht verabredet, wird es hingegen meist das Milchbrötchen vom Bäcker oder ich stecke zu Hause noch schnell einen gekauften (!) Fruchtriegel ein. Warum ist es mir wichtig, was die anderen von mir denken? Habe ich auch Angst, von den anderen Müttern verurteilt zu werden, im direkten Vergleich schlechter dazustehen? Offensichtlich ja.

Also nehme ich mir vor: Keine Show mehr, keine Rechtfertigungen. Sicher, es ist nur ein lächerlicher Snack, aber diese Stulle steht hier als Metapher für zahllose Situationen im Leben von Eltern, in denen verglichen und beurteilt wird. Und jetzt kommt mir nicht mit: „Aber du hast doch gerade oben im Text selbst andere Eltern beurteilt und dich lustig gemacht.“ Schuldig. Natürlich tappe ich auch oft in die Falle, stecke andere in Schubladen, weise sie Typen zu. Und ja, mein Partner und ich schmunzeln hin und wieder über die Verhaltensweisen anderer Eltern. Wer das noch nie getan hat, werfe den ersten Stein. Aber dies ist nur ein leidlich unterhaltsamer Text. In der Realität treffen Kletteraffen-Vater und ich uns nächste Woche mit den Kindern zum Playdate (weil die Nervensäge nicht locker gelassen hat). 

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