Parken statt Trinken: Hamburgs Politik verbannt die Gastro wieder nach drinnen

© Franzi Simon

Die Sache ist im Grunde einfach: Ein Parkplatz blockiert zehn Quadratmeter Lebensraum von Flora und Fauna, Mensch und Tier, für ein Gerät, das diesen Lebensraum durch seine Produktion und Emissionen zerstört. Selbst Elektroantriebe heizen das Klima auf. Der motorisierte Individualverkehr, kurz MIV, ist ein zivilisatorischer Totengräber. Wem das Herz jetzt schon Super Plus durch schwellende Halsschlagadern pumpt, dass sie gleich platzen: bitte hier abbrechen und Bild lesen – es wird autounfreundlich. Und damit zur CDU-FDP-SPD-Koalition im Bezirk Mitte.

Gemeinsam hat sie beschlossen, dass der Klimawandel verschoben wird und die autogerechte Stadt erhalten bleibt. Anstatt Parkplätze für menschenfreundlichere Nutzungen jenseits von 1,5 Tonnen SUV-Stahl freizugeben, bleibt der unbeschränkte MIV auch bei 42 Grad das Maß aller Freiheitsdinge. Hamburgs Gastronomie also, die 2021 für ein paar warme Pandemie-Wochen Tische auf den Asphalt gestellt und so ein Stück Lebenskraft zurückerobert hatte, muss den Sommer indoor bestreiten.

Hamburgs Gastronomie also, die 2021 für ein paar warme Pandemiewochen Tische auf den Asphalt gestellt und so ein Stück Lebenskraft zurückerobert hatte, muss den Sommer indoor bestreiten.

Wobei – nicht ganz Hamburg. Nur jene Viertel zwischen Finkenwerder und Billstedt, deren Bevölkerung je nach Perspektive das Glück oder Pech einer Allianz konservativer Fans des automobilen Status quo haben. Während Wandsbek oder Bergedorf das Sondernutzungsrecht zur Bestuhlung angrenzender Parkplätze verlängert haben oder Altona und Eimsbüttel die provisorische Außengastronomie bis Jahresende dulden, lässt der Bezirk Mitte die Gäste der Streetlife-Quartiere St. Pauli und St. Georg nur am Wochenende nach draußen.

Von Freitagnachmittag bis Sonntagabend könnten Parkplätze auf Antrag umgewidmet werden – sofern das illegal abgestellte Blech rechtzeitig abgeschleppt wird und die Gaststätte genug Personal, Ressourcen, Abstellraum hat, um das Mobiliar oder behördlich angeordnete Absperrgitter fristgerecht aufzustellen, abzubauen, einzulagern. Damit erfüllt das Trio FDP-SPD-CDU zwar Forderungen der fundamentaloppositionellen Initiative "Pauli wohnt", die zwei Hotspots für Friedhofsruhe trommelt. Das zarte Pflänzchen Lebensart aber pflügt es unter.

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Statt Freiluftkultur gibt es Abgaskultur

Barcelona, Rom, Lissabon – die Träume der Fans gastronomischer Freiluftkultur nach dem Sommer der befreiten Pkw-Buchten waren so mediterran, dass der "Appell Parkflächen" diverser Kiez-Wirt*innen Tausende Unterschriften für den Untertitel "Wir wollen draußen sitzen" sammelte. Wenngleich folgenlos. Denn die Bezirkskoalition setzte dem Outdoortreiben ihre "Außengastronomie mit Augenmaß" entgegen. "Weil die Politik Ansprechpartner:innen für alle" sei, wie SPD-Mitglied Sabrina Hirche befand, "die in Mitte Gastronomie betreibenden Menschen, aber auch und insbesondere für die hier Wohnenden!"

FDP-Fraktionschef Timo Fischer hob hervor, "die vielfältigen Bars und Restaurants in Stadtteilen wie St. Georg oder St. Pauli sind Teil der Identität unserer Stadt", schränkte jedoch ein, "gleichzeitig den Interessen er Anwohnenden Rechnung" tragen zu wollen. Deren Toleranz, fügte Roland Hoitz hinzu, wurde schließlich „in Teilen arg (über)strapaziert“, weshalb der CDU-Abgeordnete "strikte Konsequenzen vor allem bei Missachtung von Ruhezeiten" einforderte. Klare Worte. Mit überschaubarem Weitblick.

Nachbarschaftsschutz ohne Weitblick

Denn die schwarzrotgoldgelbe Lanze für Nachbarschaftsschutz lässt (bewusst) außen vor, dass Außenausschank in Wohngebieten ohnehin um 22 Uhr endet – egal, ob auf Parkplätzen oder Fußwegen, die Bars wie der Pelikan am Brunnenhof oder Giovanni am Paulinenplatz ja nur deshalb haben (und bis in die Nacht nutzen), weil – tja, das eben so ist. Unbeachtet lässt der vermeintliche Kompromiss auch die Tatsache, dass Hamburgs ausgehungerte Partycrowd mangels strukturierter Angebote halt das tut, was sich gerade wieder am Grünen Jäger konzentriert: Cornern.

Die Selbstversorgungspartyzonen findet auch Unionist Hoitz "inakzeptabel", verweist am Telefon aber darauf, dass sich "Anwohner und Gastronomen den Standort nun mal selbst ausgesucht haben". Da die Schlussfolgerung seiner Partei allerdings einseitig zulasten letzterer geht, endet ihre Fürsorgepflicht offenbar nicht am Haustür-, sondern Zündschlüssel. Denn ginge es CDUFDPSPD um den Schutz der Bevölkerung – warum muten sie den Anwohner*innen hochfrequentierter Straßen dann gesundheitsschädliche Lärmpegel von 90dB zu? Warum sorgen Sie nicht zumindest in Wohngebieten für Tempo 30? Warum explodieren die Mieten unter ihrer Dauerregentschaft ins Unbezahlbare? Warum erlaubt es das Eigentumsrecht weiterhin, Häuser und Baugrund ungestraft brachliegen zu lassen?

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Anders gefragt: Warum kann ein beliebtes, weil belebtes Verkehrsberuhigungsprojekt wie "Ottensen macht Platz" am Einspruch exakt einer Person scheitern? Antwort: Zweieinhalb der drei Fraktionsparteien im Bezirk Mitte würden eher die Todesstrafe als ein Tempolimit einführen und finden Mietpreisbremsen sozialistisch, aber Benzinpreisbremsen sozial. Wenn St. Paulis SPD-MdB Arne Platzbecker betont, im Klimawandel "zwangsläufig mittel- und langfristig die für den MIV bereitgestellte Infrastruktur im öffentlichen Raum zurückzubauen", klingt das demnach glaubhaft.

Als er dann aber "die alleinerziehende Krankenpflegerin" ohne ÖPNV im Randgebiet aus der Gruft liberaler Totschlagargumente zerrt und Bierausschank auf Parkplätzen zur "Privatisierung des öffentlichen Raumes“ erklärt, als wäre er das nicht auch durch Autos, die dort 23 Stunden täglich herumstehen, wenn er also Kompromisse fordert, aber nur einer Seite abringt, entlarvt sich selbst ein woker Sozi in Mobilitätsfragen als rückwärtsgewandt. Mit dieser Politik bleibt es demnach dabei: Für mediterranes Flair muss man klimaschädlich nach Lissabon, Rom, Barcelona fliegen. In Hamburg hockt man drinnen.

Da haben wir 'ne Meinung zu!

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