Ich, der Grinch: Warum ich Weihnachten hasse

Die gefürchtete Jahreszeit ist da, auch wenn die Absatzförderung schon längst begonnen hat. Sie zeigt schöne Menschen in farbenfrohen Pullovern, die edlen Schnaps in glitzernde Gläser füllen. Die Läden, in denen ich meine Tiefkühlpizza kaufe, explodieren seit Monaten mit Silber und Rot und Grün und Gold in einer übertriebenen Feier des unkontrollierten, mit Weihnachtssternen übersäten Kapitalismus. Ich hasse Weihnachten.
Weihnachten kann so schön sein, als Kind

Wir sprechen nicht darüber, wir Weihnachtshasser. Wir neigen dazu, unsere Gefühle für uns zu behalten. Wir ertragen die Werbeunterbrechungen, die uns daran erinnern, dass "Die Familie alles ist", und sehen zu, wie schöne Menschen mit riesigen roten Schleifen auf dem Dach teurer Autos überrascht werden. Wir sehen Trailer für Weihnachtsfilme, in denen eine erfolgreiche, aber unglückliche Frau in eine Kleinstadt zieht und die "wahre Bedeutung von Weihnachten" entdeckt, indem sie einen Typen kennenlernt, für den sie ihr ganzes Leben umkrempelt – nur weil er ihr eine Schneekugel schenkt.
Aber dieses Jahr möchte ich gehört werden.
Ich komme aus einer sehr christlichen Familie und bin mir der Bedeutung dieses Festes mehr als bewusst. Doch ich bin nicht gläubig, was das ganze Fest für mich in ein noch lächerlicheres Licht rückt. Kann jemand, der als Kind zur katholischen Mitternachtsmesse in Polen geschleppt wird, nicht zum Grinch mutieren? Ich denke schon für mich begann die grüne Verfärbung irgendwann in einer der langen Gottestdienste.
In Deutschland angekommen heiratete meine Mutter jemand sehr viel besser betuchtes als wir es waren und ich fühlte mich an den folgenden Weihnachten immer unwichtiger, bekam sogar weniger und schlechtere Geschenke als meine Stiefschwester. Ich war das ungekämmte Stiefkind mit Ruß an den Fingern. Das Mädchen mit den Streichhölzern war meine liebste Weihnachtsgeschichte – ihr versteht mich.
Außerdem vermisste (und tue das heute noch) meine Familie in Polen. Dort, wo es Weihnachten noch nie um die neueste Barbie ging, wo keiner mit langem Hals auf die Gaben anderer schielt. Ich wollte jedes Jahr meine Omi und ihre Pierogi. Ich wollte Rote-Beete-Suppe schlürfen und danach mit den Karpfen in der Badewanne spielen, die dort herumschwammen, bis sie im Ofen landeten. Ich wollte polnische Kollenden singen, denn ich kannte die Wörter zu "Oh du Fröhliche" nicht. Ich wollte Liebe und keine Geschenke. Deutsches Weihnachten beim deutschen Teil der Familie war nichts für Mini-Martyna.
Ist Weihnachten das Problem, oder meine Familie?

Manchmal frage ich mich, welcher wesentliche Teil von mir fehlt. Ich weiß, dass es an Weihnachten um die Familie gehen sollte. Aber als ich erwachsen wurde und meine eigene Persönlichkeit entwickelte, stellte ich fest, dass Familie eine Herausforderung sein kann, wenn sie einem an einem Tag im Jahr aufgedrängt wird. Gezwungene Liebe quasi.
Mit zunehmendem Alter fällt es mir schwerer, die Zuneigung, die wir an den Feiertagen füreinander empfinden sollten, mit der teilweise schrecklichen Art und Weise, wie wir den Rest des Jahres miteinander umgehen, in Einklang zu bringen. Es fühlt sich einfach krass geheuchelt an. Vielleicht habt ihr einen geliebten Menschen, der in dieser Zeit des Jahres nicht ganz auf der Höhe zu sein scheint. Ich bitte euch darum, zu verstehen, dass die erzwungene Fröhlichkeit rund ums Weihnachtsfest Gefühle der Verzweiflung noch verstärken kann. Für manche bedeutet der Klang von Mariah Careys "All I Want for Christmas" eine dunkle Zeit, in der wir Druck empfinden, etwas zu erzwingen, das einfach nicht in uns steckt.
2020 habe ich Weihnachten ganz ausfallen lassen und die Tatsache ausgenutzt, dass das ganze Land still, ruhig und in Selbstisolation war. Letztes Jahr hatte ich dann Corona. Schlimm war daran nur der Husten und ok, meine Mama, meine Schwestern und den "neuen" Stiefdaddy hätte ich schon gern gesehen. Aber das kann ich auch wann anders, mit weniger Druck. Ich verbrachte Weihnachten 2021 damit, allein Horrorfilme zu schauen und chinesisches Essen zu essen. Toll war das!
All denjenigen, die die Feiertage hassen, stehe ich bei. Ich verstehe und weiß, was ihr durchmacht. Wappnet euch für den Xmas-Sturm, wie andere für einen Hurrikan und versucht einfach wie ich, es zu überstehen oder beschließt für euch, dass es euch reicht und bleibt daheim. Und all diejenigen unter euch, die nur vorgeben, Weihnachten zu lieben, es in Wahrheit aber nicht tun, haben mein Mitgefühl. Zieht euch einen bunten Pullover an, schnappt euch etwas Schnaps in feinen Gläsern und setzt ein Lächeln auf. Ehe ihr euch verseht, ist die Welt wieder in Ordnung.
Und wer weiß, möglicherweise macht mich dieses Weihnachtsfest zu einem Fan, denn ich darf diesmal ganz neue, englische Traditionen erleben. Mit Menschen, mit denen ich nicht um drei Ecken verwandt bin. Vielleicht ist das ja das Geheimnis.