Hamburg oder Berlin – vom Gefühl, an zwei Orten zu Hause zu sein
Nachdem ich meinen Koffer auf die Gepäckablage über mir gewuchtet habe, lasse ich mich auf einen freien Fensterplatz im ICE608 fallen. Während sich der Zug langsam in Bewegung setzt, fällt mein Blick aus dem Fenster. So oft bin ich an all diesen Orten schon vorbeigefahren: am SPIEGEL-Gebäude, an der Hobenköök und den Deichtorhallen. Vor mir liegen nur knapp anderthalb Stunden Fahrt von Hamburg nach Berlin – aber die fühlen sich schon jetzt an wie ein langes „Auf Wiedersehen".
Über fünf Jahre habe ich die Hansestadt jetzt mein Zuhause genannt und das mehr als gerne. Als ich zum Studium nach Hamburg gezogen bin, waren meine Erwartungen an die Stadt und mein Leben hier so groß, dass ich ein bisschen Angst davor hatte, Hamburg könnte dem überhaupt nicht gerecht werden. Aber Hamburg hat sie sogar noch übertroffen.
Hamburg hat alle meine Erwartungen übertroffen.
Einen Großteil meines Lebens habe ich in Berlin verbracht. Dort bin ich geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe meinen Bachelor gemacht. So ziemlich meine ganze Familie lebt in Berlin, ich habe hier Freundschaften fürs Leben geschlossen und ich kenne mich (zumindest in dem Teil, in dem ich aufgewachsen bin) ziemlich gut aus. Als ich vor über zwei Jahren anfing bei Mit Vergnügen Hamburg zu arbeiten, habe ich meine Gedanken zum Wort „Heimat“ aufgeschrieben und damals gesagt: "Wer aus Berlin kommt, verlässt diese Stadt für gewöhnlich nicht – kommt mir zumindest so vor." Das würde ich auch heute noch so unterschreiben. Die meisten meiner Freund*innen haben Berlin nie (oder nur kurz) verlassen und würden auch nicht auf die Idee kommen. Berlin hat ja quasi alles zu bieten, was man sich wünscht.
Hamburg als Zuhause – selbst ausgesucht
Mich hat es irgendwann aber nach Hamburg gezogen, ich habe mir die Stadt ganz bewusst als Zuhause ausgesucht. Es war irgendwie anders: kein Zufall wie mit Berlin. Sondern meine eigene Idee. Hamburg war für mich immer die schönste Stadt in Deutschland – vor allem auch die mit dem höchsten Lebenswert. In Hamburg habe ich dann meinen Master gemacht, mir einen neuen Freundeskreis aufgebaut, mir gemeinsam mit meinem Freund die erste eigene Wohnung gesucht, einen tollen Job gefunden und bin irgendwie erwachsen geworden.
Dennoch war ich mindestens alle sechs Wochen in Berlin, habe meine Familie besucht und mit meinen Freund*innen Kontakt gehalten. Mein Umzug nach Hamburg war erst der zweite Umzug meines Lebens und der erste, an den ich mich erinnern kann. Zum ersten Mal konnte ich das Gefühl nachvollziehen, von dem auch viele erzählen, die mal im Ausland studiert haben: Man steht zwischen zwei Orten. Schon nach den ersten Jahren in Hamburg fühlte sich die Stadt nach Heimat an und mir wurde bewusst, dass ich diese Zerrissenheit zwischen meiner „alten“ Heimatstadt Berlin und der neuen Heimat Hamburg wahrscheinlich nie wieder loswerde.
Zurück in die alte Heimat
Nach über fünf Jahren in Hamburg geht es für mich jetzt zurück nach Berlin. Der Grund dafür ist ein ganz pragmatischer: Mein Freund hat ein Jobangebot in Berlin. Als unsere Entscheidung feststand, dass er dieses Angebot auch annimmt und wir gemeinsam nach Berlin ziehen, fühlte sich das Ganze erst einmal sehr komisch an. Zum einen war da direkt ein Gefühl von Vorfreude auf all die Dinge, die mir in den letzten Jahren gefehlt haben: meine Familie, einige Freundschaften und das Gefühl, sich von jeher auszukennen. Aber da war auch sofort ein dicker Kloß in meinem Hals und die Sorge vor dem Abschied von Hamburg und all dem, was ich mit der Stadt verbinde.
An den meisten Tagen überwiegt das Positive und ich freue mich auf Berlin. Darauf, einige bekannte Orte zu besuchen, aber auch viele neue Orte zu entdecken. Die Stadt noch einmal so richtig kennenzulernen – als Zuhause, welches ich mir jetzt bewusst selbst ausgesucht habe, so wie Hamburg vor fünf Jahren.
Deshalb verabschiede ich mich heute von Hamburg. Mit einem lachendem und einem weinenden Auge, wie man so schön sagt – das Lachen überwiegt aber. Auch wenn ich weiß, dass die Zerrissenheit, vor der ich Sorge hatte und die ich jetzt schon spüre, vermutlich bleiben wird, bin ich vor allem eins: dankbar. Dankbar dafür, dass ich zwei so wunderbare Städte mit so vielen tollen Menschen, Orten und Gefühlen verbinde und beide Städte irgendwie meine Heimat sind. Und während ich Hamburg mit dem ICE608 hinter mir lasse, bin ich mir ziemlich sicher, dass das hier kein Abschied für immer ist.