Geimpft, Genesen, Getestet, Genervt – Ein Kommentar zur 2G-Regel

© Sarthak Navjivan | Unsplash

Die Zeiten sind hart. Sie sind es nicht für alle gleich, aber irgendwie bleibt niemand unberührt von allem, was das Leben grad schwierig macht: Krisen, Kriege, Katastrophen überall, dazu der Klimawandel, Querdenkermorde, Björn Höcke, ach ja – und dann gäbe es noch die Pandemie, auch wenn sie für Millionär*innen mit Villa im Grünen mal abgesehen von der Maskenpflicht leichter erträglich ist als, sagen wir: für Gastronom*innen, besonders solche mit eigener Partylocation. Denn die haben seit Anfang 2020 Berufsverbot, und nein: als vernunftbegabte Mehrzeller machen wir hier weder „das“ System noch „den“ Staat, geschweige denn „die“ Politik dafür verantwortlich. Verantwortlich ist SARS-CoV-2, das aerosole Dreckstück. Selbstverständlich! Selbstverständlich? Wenn es mal so einfach wäre…

Wer Hamburgs Club- und Disco-, Kneipen- oder Barbetreiber*innen reden hörte, bekam nämlich den Eindruck, kein Virus sei die Hauptursache des dauernden Lockdowns, sondern – tja, was eigentlich? Es war vor vier Wochen, als das G mit Zahl davor vom Digitalisierungs- zum Befreiungsparameter aufstieg. 3G, hieß es einst, sei der Schlüssel zur Lockerung von den Fesseln der Pandemie. 2G, fügte der Hamburger Senat nun hinzu, könne sie sprengen. Wer geimpft oder genesen sei, dürfe behördlicherseits wieder indoor feiern, sofern der Status gastwirtlicherseits angemessen kontrolliert würde.

Als vernunftbegabte Mehrzeller machen wir hier weder „das“ System noch „den“ Staat, geschweige denn „die“ Politik dafür verantwortlich. Verantwortlich ist SARS-CoV-2, das aerosole Dreckstück.

Die zugehörige Norm mit dem administrativen Monsterclaim HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom April wurde entsprechend angepasst. Es war ein Regelwerk voller Merkwürdigkeiten vom Tanzen mit Maske bis zum Bußgeld für Kontrollverletzungen, aber immerhin: es war ein Regelwerk, kein Pauschalverbot. Eines, das Schranken bietet, aber auch Perspektiven. Doch was taten die Betroffenen? Sie klagten. Mal laut, mal leise. Über Gängelung, Datenschutzdinge, das Delegieren staatlicher Aufgaben an private Institutionen. Alles dienstlich plausibel, alles geschäftlich nachvollziehbar, menschlich aber auch alles ein bisschen so geht’s noch?!

Klar war und ist es lästig, an der Tür Impfnachweise zu kontrollieren. Klar war und ist es kostenintensiv, dafür Personal vorzuhalten. Klar war und ist es seltsam, sich Tresengespräche in unverdeckte Saufnasen zu blasen, während beim Bewegen, Tanzen, Toilettengang die Maskenpflicht exekutiert werden muss. Klar, klar, klar. Ebenso klar war und ist das Gastgewerbe aber seit jeher voll von Auflagen. Bau- und Arbeitsrecht, Lärm- und Jugendschutz, Gesundheit, Hygiene und darüber geschriebene wie ungeschriebene Gesetze, deren Einhaltung die Staatsgewalt dem Gaststättenpersonal überlässt, bevor sie selber anrückt.

Neue Regeln, so what?

Wer eine Schanklizenz hat, sorgt daher nicht nur für gute Unterhaltung, sondern juristische Schuldigkeit bis hin zur Prüfung der Personalausweise, falls Gäste in spe noch Milchzähne haben. Jetzt aber, wo es um – sorry fürs Pathos: Leben und Tod im Sog eines kontaktfreudigen Erregers geht, wird die Kontrolle elementarer Schutzregeln für so unzumutbar erklärt, dass viele Läden lieber dicht bleiben als unter Auflagen für all jene zu öffnen, die den Schuss gehört haben und doppelt geimpft sind?

Bei aller Empathie Gastgeber*innen, die von der Pandemie nebst Folgen mit Abstand am meisten abgekriegt haben: ihr habt abgesehen vom Personal auch eine Verantwortung den Gästen gegenüber, die bald durchdrehen, wenn sie keinen Dampf ablassen. Dazu der Sub-, ja sogar der Mainstreamkultur, die den Irrsinn vor der Clubtür wenigstens ein bisschen erträglicher macht. Und nicht zuletzt der Gesundheit aller Betroffenen, Ungeimpfter inklusive übrigens. 2G entbürokratisiert ja nicht nur die Zugangsprozesse, 2G sorgt auch dafür, dass weniger (schwer) erkranken. Schnelltests sind bestechlich, Antikörper nicht. Womit wir zurück bei der Gerechtigkeitsfrage sind: was ist denn mit denen, die sich nicht impfen lassen können?

Tja.

Wer keinen Führerschein hat, darf nicht Lkw fahren, wer kein Geld hat, kann sich kein Haus kaufen, wer kein Abi hat, darf nicht studieren, wer keine Masernimpfung hat, kann nicht in die Kita. Soziale Teilhabe kennt zahllose Zugangsbeschränkungen, die mal mehr (Waffenschein) mal weniger (Numerus Clausus) gerecht wirken, aber oft dazu dienen, etwas Ordnung ins Chaos zu bringen. Und Chaos haben wir seit 18 Monaten reichlich. Es zu sortieren, ist da manchmal willkürlich, meist mühsam oder wie es Peter Tschentschers Vorgänger Olaf Scholz mal ausdrückte: wir sind alle Versuchskaninchen eines anhaltenden Experimentes. Doch statt sich zu freuen, dass der Senat die EindämmungsVO lockert, hat das – ohne Ironie wunderbare – Clubkombinat neue Forderungen.

Wer kein AfD-Herz oder FDP-Parteibuch hat, sehnt sich in der Regel nach Gerechtigkeit. Alles für alle, und zwar sofort. Klasse Idee. Allerdings eine mit Durchsetzungsproblemen.

Im nächsten Schritt seine „weitere Anpassungen“ nötig, „um die Ungleichbehandlung zwischen privaten Veranstaltungen und öffentlichen Veranstaltungen aufzulösen“. 2G plus zehn Ungeimpfte sollten es auch für Tanzläden sein, um „ein Stück weit die Spaltung der Gesellschaft in Hamburg“ zu heilen. Echt jetzt? Wer kein AfD-Herz oder FDP-Parteibuch hat, sehnt sich in der Regel nach Gerechtigkeit. Alles für alle, und zwar sofort. Klasse Idee. Allerdings eine mit Durchsetzungsproblemen. Wer nicht zum Sturm aufs Rathaus bläst, darf sich daher vielleicht auch einfach mal in Demut üben und 2G akzeptieren, die Gäste eskalieren lassen und das Personal arbeiten, Ungeimpfte zum Teufel jagen und falls sie es unfreiwillig sind, um Verständnis bitten, vielleicht gar Verzeihung. Nicht im Namen der Politik oder Gastronomie, sondern einer Pandemie, die so scheiße ist, dass sie völlig neue Regeln schafft. Einige davon sind gar nicht doof.

Zurück zur Startseite