Moin Anna Meyer – Machen Kleider Leute?
Hamburg ist eine der schönsten Städte auf der Welt und hat einfach das gewisse Extra. Und nein, damit meine ich nicht nur den reichhaltigen Niederschlag. Aber was macht Hamburg eigentlich so besonders? Natürlich die Menschen, die hier leben. Genau die will ich näher kennenlernen. Deshalb treffe ich mich mit unterschiedlichen Hamburgerinnen und Hamburgern und spreche mit ihnen über unsere Hansestadt, ihren Alltag und ihre Wünsche und Ziele im Leben.
Anna Meyer ist Herrenschneiderin. Damit gehört sie zu einer Berufsgruppe, die ausstirbt – leider! Denn ein maßgeschneiderter Anzug ist etwas ganz anderes, als einer von der Stange: Persönlichkeit, Stil und Geschmack des Kunden werden von Anna zu 100% in ihre Arbeit eingebunden. Wieso sie sich für die Herrenschneiderei entschieden hat, was die Unterschiede sind zur Arbeit mit Damenkleidung und was für Kunden sie in ihrem Atelier in Eimsbüttel so hat, hat sie uns im Gespräch verraten.
Was ist für dich das Besondere an Hamburg?
An erster Stelle natürlich das Wasser, so wie für Viele. Dazu gehören auch die verschiedenen Seiten des Wassers: Einmal der Hafen mit der riesigen Industrie, wenn man über die Köhlbrandbrücke fährt. Aber auch die Alster mit ihren ganzen Kanälen. Vor allem aber auch die Kanäle in Wilhelmsburg, wo ich wohne.
Was ich sonst noch schön an Hamburg finde, ist die nachbarschaftliche Atmosphäre. Vor allem auch hier in Eimsbüttel. Als ich mein Atelier hier eröffnet habe, sind alle Nachbarn vorbeigekommen, haben sich vorgestellt und waren ganz interessiert. Oder auch Leute, die einfach hier draußen lang spazieren, kommen einfach mal hier rein zum Quatschen und interessieren sich dafür, was ich hier mache.
Was ich schön an Hamburg finde, ist die nachbarschaftliche Atmosphäre.
In welcher Ecke in Hamburg trifft man dich am häufigsten?
Ich bin meistens zwischen Wilhelmsburg und Eimsbüttel unterwegs. In meiner Freizeit bin ich (vor allem im Sommer) sehr gern in Wilhelmsburg. Das ist wirklich ein sehr schöner Stadtteil. Auch wieder wegen des ganzen Wassers. Aber auch hier in Eimsbüttel bin ich sehr gern: In der Mittagspause am Ufer entlang laufen oder durch den Eppendorfer Weg bummeln!
Hast du einen Lieblingsort in Hamburg?
Die Fähre von Wilhelmsburg in die Stadt oder andersherum. Das entschleunigt wirklich total und ist ein besonderer Weg zur Arbeit.
Wenn du eine Sache an Hamburg ändern könntest, welche wäre das?
Mir fallen da schon einige Sachen ein: weniger Miete, ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr und solche Dinge. Ich fänd es toll, wenn es da in Hamburg ein bisschen mehr drum gehen würde.
Wie kam es dazu, dass du Herrenschneiderin geworden bist?
Ich wollte nach dem Abitur unbedingt Schneiderin werden, am liebsten am Theater. Glücklicherweise war dann eine Stelle am Oldenburger Staatstheater ausgeschriebnen, als Herrenschneiderin. Ich habe mich dann das erste Mal mit den Unterschieden auseinandergesetzt, was Herren- und Damenschneiderei ist. Da war mir recht schnell klar, dass ich Herrenschneiderei werden möchte.
Zum Glück hat es dann geklappt mit der Ausbildungsstelle. Nach meiner Ausbildung am Staatstheater bin ich zum Theater in Bremen und habe dort als Gesellin in der Herrenschneiderei gearbeitet. Ich hatte aber immer das Ziel noch meinen Meister zu machen, um mein Wissen zu vervollständigen.
Die Meisterschule und meinen Gewandmeister habe ich dann hier in Hamburg gemacht. Der Gewandmeister ist speziell auch fürs Theater und hat den Zusatz, dass man viel über die Kostümgeschichte und viel Historisches lernt. Danach habe ich überlegt, was ich jetzt möchte: Mich selbstständig machen oder am Theater arbeiten? Jetzt habe ich einen Weg gefunden, wie ich beides machen kann. Ich arbeite selbstständig hier im Atelier und im Sommer arbeite ich immer drei Monate für die Bayreuther Festspiele. So habe ich beides: Ich kann meine Ideen zusammen mit den Kunden verwirklichen und habe aber auch noch die Oper, wo ich als Gewandmeisterin arbeiten kann.
Wieso hast du dich für die Herrenschneiderei und nicht für die Damenschneiderei entschieden?
Die beiden Berufe unterscheiden sich wirklich sehr. Zum Beispiel in den Materialen, die verwendet werden. Ich mag es lieber, mit festen Stoffen zu arbeiten, zum Beispiel Wollstoffen. Außerdem fand ich die Verarbeitung in der Herrenschneiderei sehr spannend. Die Formgebung ist auch ganz anders: Dadurch, dass der männliche Körper augenscheinlich weniger Formen hat, ist es umso wichtiger, dem Kleidungsstück mehr Form zu geben. Da wird viel mit Einlage gearbeitet, das ist eine sehr spannende Geschichte. Den Beruf der Herrenschneider gibt es auch kaum noch, das fand ich auch sehr spannend, so ein Handwerk zu erlernen.
Dadurch, dass der männliche Körper augenscheinlich weniger Formen hat, ist es umso wichtiger, dem Kleidungsstück mehr Form zu geben.
Was ist für dich das Besondere an deiner Arbeit?
Die Handarbeit. Es ist schon eine Art Perfektion. Bei einem Sakko kann man nicht viel durch Rüschen oder Zierstiche kaschieren. Es muss wirklich alles perfekt sein. Diese Herausforderung macht mir am meisten Spaß. Mich darauf einzulassen und am Ende ein tolles Ergebnis zu haben. Und die Liebe zum Material.
Was für Herren kommen zu dir und was wollen sie sich schneidern lassen?
In meinem Atelier kommen nicht die klassischen Anzugträger vorbei, die einen Businessanzug brauchen. Eher Männer, die Lust haben, sich etwas hochwertiges fertigen zu lassen. Oft sind das Anzüge. Oder es sind Männer, die einen besonderen Stil haben, oft in die Vintage-Richtung. Die sind dann auf der Suche nach Etwas, was man nicht von der Stange kaufen kann. Oder Männer, die viel Wert auf eine nachhaltige und hochwertige Verarbeitung legen. Ich mache alles selber und meine Stoffe bekomme ich aus England und Deutschland. Es kommen auch Leute, die in der klassischen Konfektion nicht so glücklich werden. Dadurch, dass sie eine schwierige Figur haben oder ein Arm ist länger als der andere.
In meinem Atelier kommen nicht die klassischen Anzugträger vorbei, die einen Businessanzug brauchen.
Was sind denn so die Anlässe, für die sich die Leute etwas schneidern lassen?
Da gibt es natürlich diejenigen, die sich zum Beispiel zur Hochzeit etwas anfertigen lassen. Das ist sehr beliebt. Oder auch Menschen, die für den Alltag etwas haben wollen. Ich habe einen Kunden, der wirklich ausschließlich Anzüge trägt. Der kauft sich seine Anzüge also wirklich für den täglichen Gebrauch. Er trägt aber auch wirklich nichts anderes.
Gibt es einen Auftrag, den du nie vergessen wirst?
Die wirklich außergewöhnliche Dinge, die ich gemacht habe, haben am Theater stattgefunden: Fantasiekostüme oder historische Kostüme.. Hier in meinem Atelier kann ich mich aber auch an jeden Anzug erinnern, weil ich fast 90 Stunden mit jedem Anzug verbringe und das bleibt mir in Erinnerung.
Wow! 90 Stunden Arbeit stecken also in einem Anzug?
Das ist ein bisschen unterschiedlich, je nach Modell. Aber für einen dreiteiligen Anzug also Sakko, Weste und Hose, brauche ich so 80 bis 90 Stunden. Deshalb sollte man immer so früh wie möglich kommen, wenn man den Anzug zu einem bestimmten Anlass braucht.
Warum sollte man das Geld ausgeben und in einen maßgeschneiderten Anzug investieren, anstatt in einen von der Stange?
Es lohnt sich auf jeden Fall! Weil man etwas hat, was einen (bei richtiger Pflege) ein Leben lang begleiten kann. Ein geschneiderter Anzug passt perfekt: Das ist ein ganz anderes Tragegefühl, als bei einem Anzug von der Stange. Und man hat die Möglichkeit den Anzug genau so zu gestalten, wie man es möchte. Daraus entsteht dann ein Kleidungsstück, was sonst niemand hat und was im besten Fall sehr lange hält. Wenn die Figur auch lange hält.
Was sagst du, machen "Kleider Leute"?
Biedermeyer – Maßschneiderei, Herrenschneiderei und Gewandmeisterei | Weidenstieg 18, 20259 Hamburg | Montag – Samstag 10 – 16 Uhr, sowie nach Vereinbarung | mehr Info