Dr. Simon: Verliebt in eine Idee – und wie man sie loslässt

"Du bist so weise", sagte meine Mutter jedes Mal zu mir, wenn ich in meinen späten Teeniejahren pickelhäutig Beziehungsratschläge an Freundinnen verteilte. Obwohl gerade selbst das erste Mal verliebt, fruchteten meine Tipps und Einwände bei anderen. Und so wurde mein Spitzname über die Jahre "Dr. Simon". Die immer zur Stelle war, wenn Tränen flossen oder Unverständnis für's favorisierte Geschlecht herrschte. Nicht, dass ich wirklich weise wäre. Ich habe eine Menge blöder Entscheidungen getroffen, wütend Türen geknallt und nächtelang vor Liebeskummer geheult. Trotzdem legen sich viele gerne auf die Couch von Dr. Simon. Also, macht es euch bequem!

Der Prinz mit goldenem Haar auf einem Schimmel, die Leseratte im Cardigan oder der Bad Boy mit dem weichen Herzen – gerade wenn man Single ist, verliebt man sich gerne in eine Idee. So und so soll er oder sie sein, das gerne machen und dies genauso blöd finden, wie man selbst. Geprägt von Filmen, Büchern oder dem Umfeld bauen wir uns im Kopf den*die ideale*n Partner*in. Und dann verlieben wir uns – und das in jemanden, der ganz anders ist, als diese Figur in unserem Kopf.

Aus einem Pferd lässt sich kein Einhorn zaubern

Verliebt man sich, dann gibt es zwei Wege. Auf dem einen erkennen wir unser Gegenüber, als das was er*sie ist. Verlieben uns in die kleinen Fehler und Macken, schütteln die Idee in unserem Kopf ab und an ihre Stelle rückt die Beziehung mit all ihren Höhen und Tiefen. Obwohl er nicht blond ist, statt Fußball Klarinette spielt oder sie am Wochenende lieber auf dem Sofa liegt und backt, als mit auf wilden Parties zu feiern.

Doch ab und an passiert es, da lernen wir jemanden kennen, der*die zuerst den Anschein erweckt, unsere wahr gewordene Idee zu sein. Und anstatt den eigentlichen Menschen zu sehen, pressen wir ihn verzweifelt in unsere Idee – und übersehen oft, dass es gar nicht passt, zwischen ihm und uns.

Ein Blick in die Zukunft macht aus der Idee eine Pleite

Doch wie geht man damit um, wenn die rosarote Brille langsam verblasst und wir unser Gegenüber auf einmal klarer erkennen? Es ist schwer zu akzeptieren, dass die neue Beziehung nicht auf einem festen Fundament, sondern einer erträumten Realität gebaut ist.  Diese Erkenntnis kann einem nach zwei Wochen, nach drei Monaten aber auch nach acht Jahren kommen. Wenn man merkt, dass man diese verdammte Idee im Kopf auf jemanden projiziert hat, der sie gar nicht erfüllen kann oder will.

Das können kleine Dinge sein, wie die Inkompatibilität mit den eigenen Freund*innen, Türen knallen statt ehrlich zu kommunizieren – und auch oft: Lebensentwürfe, die noch nie zusammengepasst haben. Über die aber jahrelang nicht gesprochen wurde oder heimlichen gedacht wurde: „Ach, das ändert sich bestimmt noch.“

Tut es nur meistens nicht. Eine Freundin berichtete mir von ihrer Cousine. Die war seit fast 10 Jahren in einer, so schien es, glücklichen Beziehung. Beide erfolgreich im Beruf, mit einem großen Freundeskreis und einem Faible für ausschweifende Parties. Glücklich – bis die Cousine bei ihren Eltern vor der Tür stand. Sie wollte Kinder, schon immer. Er doch auch. Bis er sagte: Nein, wollte ich nie. Und für sie eine Welt zusammenbrach.

Doch wie geht man damit um, wenn die rosarote Brille langsam verblasst und wir unser Gegenüber auf einmal klarer erkennen? Es ist schwer zu akzeptieren, dass die neue Beziehung nicht auf einem festen Fundament, sondern einer erträumten Realität gebaut ist.

Mit aller Kraft an der Idee festhalten – und die Wirklichkeit verdrängen

Hätte sie etwas anders machen können? Ihn wohlmöglich überzeugen können, doch Kinder zu wollen? Nein. Sie war verliebt in die Idee mit dem Partner ihre eigene Wunschwelt in die Tat umzusetzen. In ihrem Kopf war er der Vater ihrer Kinder. Ohne dass ihre Idee auch seine Realität war.

Nichts ist wohl so schwer, als die Idee von der perfekten Beziehung zu vergessen. Die rosafarbene Brille abzulegen und rational zu schauen: Passt es? Es hilft, viel darüber zu sprechen. Natürlich mit dem*der Partner*in, zu überprüfen ob die eigenen Lebensentwürfe zusammenpassen. Ob sich das Haus auf dem Land oder die Reise um die Welt beide vorstellen können. Ob man Kompromisse finden kann im Zweifel. Mit Freund*innen und Familie zu reden, die manchmal einen klareren Blick haben und von ihnen Ehrlichkeit einfordern. Und dann, wenn man merkt, die Idee im Kopf, die man nicht loslassen kann, passt partout nicht zum Gegenüber: den Schlussstrich ziehen.

Das ist unglaublich hart, denn man liebt ja. Aber man liebt einen Menschen, der in Wirklichkeit nicht zu einem passt. Den man zu einer Idee gemacht und dabei die Wahrheit verdrängt hat. Und es wird jemand kommen, der passt. Der oder die diese Idee im Kopf zu rosa Staub zerfallen lässt und mit dem*der man eine Zukunft baut. Eine gemeinsame, neue und ganz eigene. Ohne rosafarbenen Schleier.

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