Typo-Safari: Wie eine Grafikdesignerin über Hamburger Café-Schilder denkt

© Alexandra Brucker

In Hamburg wuseln die Buchstaben um die Wette: Schriftarten blitzen von allen Seiten auf. Wie beeinflussen sie unsere Wahrnehmung des urbanen Raums?

In einer Typo-Safari führt Euch Martina Pezzino, Grafikdesignerin und Creative, durch ihren persönlichen Schriften-Dschungel und zeigt Euch ihre Lieblings-Caféschilder. Wo andere nur „Bistro“ lesen, sieht sie Balken, Schleifen, Verkantungen – und auch mal eine Cappuccino-Tasse von oben.

Martina, eine Frage vorab: Hamburg und die Schriften – siehst Du da ein wiederkehrendes Muster?

„Es gibt natürlich Schriften, die heutzutage sehr modern sind. Zum Beispiel ist das Lettering in den letzten Jahren absolut in Mode gekommen. Grundsätzlich sehe ich im Hamburger Stadtbild allerdings kein einheitliches Muster. Das ist mir richtig deutlich geworden, als ich durch Florenz spaziert bin. Dort findest Du beispielsweise in den Gassen des Handwerksviertels immer wieder ein filigranes und künstlerisch aufwendiges Schriftbild. An dem erkennt jeder: Das ist Florenz!

Hier in Hamburg ist die Typografie willkürlicher – selbst die  U-Bahn- oder Straßenschilder sind aus historischen Gründen unterschiedlich gestaltet. Jeder lebt seinen eigenen Geschmack stark aus - Vielfalt ist angesagt. Gerade bei Café-Schildern merke ich oft: Hier hat sich jemand viel Gedanken gemacht. Wir können uns das Phänomen mal in und um der Osterstraße in Eimsbüttel genauer anschauen.“

Das „VIN AQUA VIN“, vertrautes Bild – plus das gewisse Extra

„Die Typografie dieser Vinothek und Espressobar finde ich besonders schön. Hier wurde für das „VIN AQUA VIN“ eine Serifenschrift benutzt. Serifen sind Verschnörkelungen der Schrift.

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Du erkennst sie zum Beispiel an den „Füßchen“ am unteren oder oberen Ende eines Buchstabens. Das V von „VIN“ hat zum Beispiel diese zwei Bögen am oberen Rand. Darunter finden wir im „BREW CLUB AND WINE“ eine serifenlose Schrift. Beide Schriften – mit und ohne Serifen - siehst Du im täglichen Leben sehr häufig, zum Beispiel in Zeitschriften oder Büchern, denn sie sind sehr gut lesbar.

Gefühlt gibt es unendliche Schriftarten. Die Designer von „VIN AQUA VIN“ haben bewusst zwei äußerst vertraute gewählt. Eine Eigenheit fällt aber bei der serifenlosen Schrift auf. Im E sticht sie besonders hervor:  Dort ist der mittlere Balken weiter heruntergesetzt. Dadurch wirkt die Schrift einen ganzen Tick raffinierter – und mit der Vertrautheit wird gebrochen. Gefällt mir sehr!“

Das „Café Estoril“ und seine versteckte Cappuccino-Tasse

„Das „Café Estoril“ ist eine Tapasbar in der Osterstraße. Ihr Schriftzug hat eine Besonderheit. Das O wurde zum Kreis vergrößert. Im Inneren des O-s wurde das Wort „Café“ geschrieben. Clever! Denn wenn Du das O näher betrachtest, könntest Du hier auch eine Cappuccino-Tasse erkennen, auf die Du von oben blickst.

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Das Wort „Café“ ist quasi der Milchschaum. Das macht diese Typo natürlich gleich viel spannender – und passt zum Café, da es in der Schrift bereits die Message transportiert.“

Wirkt so eine Typografie denn auch auf Nicht-Grafiker/innen?

„Ja, unterbewusst speichern wir  Menschen viele visuelle Informationen ab, die wir jedoch oft nicht sofort abrufen können. Schau Dir nur die ganzen Marken an: „Nike“ zum Beispiel. Egal welche Farbe das Logo hat - den schwungvollen Haken erkennen wir wieder. Genauso bei der „Deutschen Post“, „Adidas“, „VW“ und zig andere Marken - oder auch bei Verkehrsschildern.

An eine stimmige Typografie erinnerst Du Dich, auch wenn Du sie oft nicht beschreiben kannst. Wenn ich Dich zum Beispiel frage: „Wie sieht das Einbahnstraßenschild aus?“, überlegst Du vielleicht einen Augenblick – aber beim Sehen kommt der Aha-Effekt.“

Typo-Harmonie im „Café Délice“

„Das Café Délice ist mein Typo-Favourite hier in der Osterstraße. Das Café selbst verkörpert einen starken Pariser Style – mit seinen außenstehenden kleinen Bistro-Tischen und der breiten Markise. Aus typografischer Sicht wurden zwei Schriftarten ausgewählt. Zum einen das „LE SAVOIR VIVRE“ und das „SALON DE THÉ“ in einer serifenlosen Schrift. Die Buchstaben sind in dem Fall ein bisschen weiter auseinandergesetzt,  was alles sehr gut lesbar macht.

Wir haben es hier mit einer sehr ausgewogenen Schrift zu tun - alles ist schön mittig gesetzt. Zum anderen ist da natürlich noch das „Café Délice“ in einer Schreibschrift, welche auch gut gelettert werden kann.

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Beim Lettern ist es so, dass der Strich nach oben dünn sein muss, nach unten wird er dick. Man könnte meinen: Das ist nicht schwer! Doch dieses Zusammenspiel muss die Hand wirklich lernen: Den Bogen eines Buchstabens kriegen oder die Abstände zwischen den einzelnen Buchstaben richtig setzen, ist teils richtig knifflig.

Beim Lettern kannst Du der Schrift auch noch deine persönliche Note geben. In Falle des „Café Délice“ hat das D zum Beispiel einen kleinen oberen Kringel. Der sieht schön geschwungen aus. Auch das F hat eine besondere Note, eine Schleife nach oben und nach unten. Das E wiederum besitzt hinten eine sehr gelungene Endung. Alles sieht ziemlich harmonisch und gut lesbar aus – was wiederum zur Philosophie des „SAVOIR VIVRE“ perfekt passt.“

Das „Osterdeich“ – gleich und gleich gesellt sich gern?

„Nehmen wir im Vergleich zum „Café Délice“ noch das „Osterdeich“ hinzu. Die Typografie des kleinen Cafés sieht ebenfalls aus wie gelettert. Die Schrift ist sehr dick und plakativ. Für das „Café und Catering“ hätte ich allerdings einen anderen Schriftzug ausgewählt.

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Denn das „Café und Catering“ ist zwar in der gleichen Schriftart, aber wesentlich größer als das „Osterdeich“. Was erzeugt das? Gleichgewicht oder doch eher Kontrast? Das möchte ich dem Leser überlassen.“

Die zackelige „EISZEIT“

„Die „EISZEIT“ besitzt ein sehr spezielles Logo mit einem Eisbären und einem Tatzenabdruck. Die Schrift sieht ein bisschen zackelig aus – ähnlich wie bei gebrochenem Eis mit Verkantungen oder bei Diamanten und Kristallen. Damit transportiert die Typografie das Eis mit!

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Auch schön: Die Pfote des Eisbären wurde als Kreis für das i-Pünktchen genutzt. Der Eisbär selbst liegt auf dem Wort drauf und umschmeichelt es noch einmal mit dem ganzen Körper. Insgesamt sieht das alles sehr stimmig aus!“

Apropos „stimmig“! Wie wirkt Schrift auf Dich? Blickst Du als Grafikdesignerin bei Stadtspaziergängen durch eine „andere Brille“?

„Ja, schon! Mir fallen besonders schöne Schriften auf – ich stutze aber natürlich auch, wenn die Typografie besonders schlecht gemacht wurde. Geschmäcker sind natürlich unterschiedlich, daher finde ich es schwierig, Schriften zu bewerten.

Was ich allerdings persönlich nicht mag: Wenn man Platz zwischen den Buchstaben lässt oder die Abstände zwischen den Zeilen nicht korrekt sind. Teilweise werden auch unbewusst Schriftarten miteinander gemischt, so dass ich mich frage: War das Absicht?“

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