11 geschichtsträchtige Gebäude in Hamburg, denen (vielleicht) der Abriss droht
Denkmalschutz und Hamburg? Eine leidenschaftliche On-Off-Beziehung. Dabei hat die Hansestadt eine reiche Baugeschichte. Weder die zauberhafte Gründerzeitvilla an der Elbe, noch das potthässliche Brutalismus-Postgebäude aus den 80ern geizen mit ihren Reizen.
Doch sehr oft gilt am Schluss einer langen Verfallsgeschichte und des geduldigen Aussitzens von Investoren: Was weg muss, muss weg. Denn die Stadt soll wachsen! Inzwischen sind nur noch zehn Prozent aller Hamburger Gebäude älter als 100 Jahre. Wir blicken auf elf Exemplare, die im Begriff sind, einen Abgang zu machen.
1. In Ottensen - ein Barhaus macht blau
Seit über 100 Jahren hat das urige Haus in der Großen Brunnenstraße 55 ein offenes Ohr für seine Altonaer. Das windschiefe, kleine Ding ist eines der ältesten Gebäude in Ottensen. Früher lebten in ihm noch Menschen; der erste verkaufte hier Brot, ein anderer handelte mit Fischkonserven, der dritte dann doch lieber mit Eis. Schließlich wurde es besonders gesellig in der guten Stube; die Hamburger trafen sich fortan zu Bier und Klönschnack. Mal nannten sie den Ort „Willas Stübchen“, dann wiederum „Café Umberto“. In den 90ern wurde Stefan Schmidt sein blaues Zimmer zu klein und er zog mit seiner mobilen Bar in besagtes Häuschen. Nun kam die famose blaue Farbe ins Spiel! Um das Blaue Barhaus herum wurde seitdem kräftig luxussaniert. Da der Oldie jedoch nicht unter Denkmalschutz steht, will nun ein Investor seit 2016 auch ihm an den Kragen. Anstatt Freude soll das Häuschen jetzt lieber Geld abwerfen.
Das Blaue Barhaus | Große Brunnenstraße 55, 22763 Hamburg
2. Am Gänsemarkt – ein Kinokoloss krepiert
Nicht in der Filmmetropole Berlin, nein, in Hamburg entstand 1928 mit dem Ufa-Palast im Deutschlandhaus ein Kino der Superlative. In einem der damals größten Kinosäle Europas konnten sich 2667 Zuschauer auf samtroten Sesseln fläzen und Filme schauen. Die Wände des luxuriösen Theaterraums waren mit kaukasischem Nussbaum ausgekleidet und mit vergoldeten Metallbändern verziert. Heute, ein Brand später und zahlreiche Umbauten danach, tummeln sich im großen Gebäude mit den abgerundeten Ecken keine Cinephile mehr, sondern Ladenverkäufer und ihre Kunden, aber auch zahlreiche Mitarbeiter der hiesigen Commerzbank. Nachdem der Gänsemarkt in den letzten zwei Jahren bereits mit 2,7 Millionen Euro modernisiert wurde, möchte die ABG Gruppe nun auch das geschichtsträchtige Deutschlandhaus abreißen und auf dem Filetgrundstück ein urbanes Quartier errichten.
Deutschlandhaus | Dammtorstraße 1, 20354 Hamburg
3. Die Säulenvilla – im Koma oder wachgeküsst?
Sie könnte ohne Probleme die Hauptrolle in einem Disney-Film ergattern. Die Säulenvilla an der Elbchaussee liegt nun schon seit einigen Jahren im Dornröschenschlaf und hält die Denkmalschützer der Stadt auf Trab. Das markante Gebäude wartet geduldig auf den Kuss eines reichen Prinzen. Ihr Eigentümer, der in Monte Carlo lebte und das denkmalgeschützte Gebäude von 1817 verfallen ließ, ist Ende 2017 gestorben. Das Anwesen steht unter Zwangsvollstreckung, um Forderungen von Gläubigern durchzusetzen. Mittlerweile sind die Fenster mit Brettern vernagelt, Putz bröckelt von der Fassade, der Garten verwildert. Dabei hat das Denkmalschutzamt 2017 einiges getan, um die hübsche Säulenvilla zu sichern. Das einfache Flachdach und der Balkon wurden abgedichtet und exponierte Teile der Balustrade abgebaut.
Säulenvilla | Elbchaussee 186, 22605 Hamburg
4. Der City-Hof – should I stay or should I go?
Die City-Höfe halten die Hamburger in Atem! Nirgendwo sonst lässt sich die Frage besser diskutieren, welche Gebäude nun eigentlich denk- und schutzwürdig sind. Die vier Türme wurden von 1956 bis 1958 erbaut. Bei ihrer Fertigstellung galten sie als hochmoderne Bauten; sie waren die ersten Hochhäuser in der Innenstadt nach dem Krieg. Erst seit 2013 stehen die Gebäude unter Denkmalschutz, der Stadt gehört das Grundstück seit 2006 – nun ist bereits der Abriss geplant. Der ehemalige Oberbaudirektor Jörn Walter galt als leidenschaftlicher Abriss-Befürworter. Als „die hässlichsten Hochhäuser der Stadt" bezeichnete er die Gebäude. Die Initiative City-Hof sieht das vollkommen anders und kämpft seit Jahren für ihren Erhalt.
City-Hof | Klosterwall 6, 20095 Hamburg
5. Die Schilleroper – was für ein Zirkus!
Zirkusbau, Opernhaus, Asylbewerberheim, Club – die Schilleroper ist das Chamäleon von St. Pauli. Seine abwechslungsreiche Besetzung erzählt auch gleichzeitig die Geschichte des Viertels. Mitten in der Schanze lässt der einzigartige Rundbau von 1891 nun die Investoren-Herzen um die Wette schlagen. Seit Jahrzehnten ringen Vertreter der Stadt schon mit wechselnden Eigentümern um die Neugestaltung des bröckelnden Gebäudes. Die aktuelle Besitzerin der Schilleroper hat 2017 mehrere Gutachten eingereicht, um eine Befreiung vom Denkmalschutz zu erreichen.
Heikle Angelegenheit: Das Stahlskelett der zwölfeckigen Rotunde ist in Europa einmalig, nirgendwo ist ein solcher Zirkusbau noch erhalten. Nun soll die Schilleroper durch ein rundes Klinkergebäude mit überdachtem Innenhof und zwei Wohntürmen ersetzt werden. Die heftigen Diskussionen um Hamburgs schillerndstes Gebäude lassen auch für 2018 vermuten: Der Zirkus geht weiter! Manege frei für weitere Gutachten…
Bei der Schilleroper | 22767 Hamburg
6. Die Commerzbank am Neß – denkt mal an den Schutz!
Welches Gebäude steht wohl hier unter Denkmalschutz? Das linke? Falsch geraten. Das rechte! Der linke Altbau wurde bereits so oft von außen und innen umgebaut, dass die Rechtsprechung hier gar nichts mehr unter Schutz stellen kann.
Die Auseinandersetzungen toben nun um das rechte Hochhaus aus den 60ern. Die Commerzbank hat das Grundstück 2016 an die Procom verkauft. Seitdem gibt es Zoff mit der Stadt, denn das Denkmalschutzamt weigert sich, die Abrisserteilung zu unterschreiben. Der dunkle Klotz sei ein Beispiel für das städtebauliche Ideal der Nachkriegszeit und stehe exemplarisch für das Leitbild der aufgelockerten und gegliederten Stadt. Die Procom behauptet hingegen: Wirtschaftlich ist der Bau nicht zumutbar. Es soll ein neues Quartier her mit Wohnungen, Büros, Einzelhandel und Gastronomie. Ach ja, und vielleicht noch ein Luxushotel!
Commerzbank | Neß 7, 20457 Hamburg
7. Happy Backstein-End für die Villa Mutzenbecher
Da dachten die Eimsbüttler ja fast, dass Hopfen, Malz und Backstein verloren seien, bei ihnen im Niendorfer Wald. Doch die charmante Villa Mutzenbecher ist gerettet! Ende 2017 hat das Bezirksamt seine Baugenehmigung für die Sanierung des rosanen Hauses gegeben. Um 1900 im englischen Landhausstil errichtet, war das schicke Gebäude immer wieder Drehort für Kult-Fernsehen wie der „Tatort“ oder der „Tatortreiniger“. Bis zum Jahr 2020 soll das Haus nun zur Bildungs- und Begegnungsstätte werden.
Auf dem Putzplan stehen: Reinigung von Fassade und Dach, Instandsetzung von Veranda und Balkon. Nicht nur Marc Schlesinger, der letzte Mieter des Hauses, wird in Zukunft in der Villa wohnen bleiben können. Neben einer Geschichtswerkstatt sind ein Stadtteilarchiv und biologische Forschungsprojekte für Jugendliche geplant. Bereits die Restaurierung ist ein Ausbildungsprojekt: Die Instandsetzung wird von Architekturstudierenden geplant, die denkmalgerechten Sanierungsarbeiten führen Schüler durch. Die Jugendlichen, größtenteils ohne Schulabschluss, werden so über das Handwerk wieder ans Lernen herangeführt.
Villa Mutzenbecher | Bondenwald 110a, 22453 Hamburg
8. Nazihaus, Kinderheim, Hippie-WG – was passiert mit dem Landhaus Mahr?
Das Landhaus Mahr ist Zeuge einer bewegten Geschichte. Die dicke Villa mit dem großen Reetdach-Hut wurde 1911 als Sommersitz gebaut und beherbergte während des Zweiten Weltkrieges die Frauenschaft der Nationalsozialisten. Später tollten Kinder durch den Garten des Grundstückes – das Anwesen hatte sich zum Kinderheim gemausert. Ab den 80ern lebte eine Wohngemeinschaft in dem imposanten Gebäude. Ihr wurde jedoch 2011 gekündigt. Seitdem steht das Landhaus Mahr mit seinen 4000 Quadratmetern komplett leer; Wasser, Schimmel und Schwamm bedrohen das Traumhaus. Nachbarn befürchten, dass der Verfall bewusst herbeigeführt wird, damit der Spekulation des Grundstückes in Zukunft nichts mehr im Wege steht.
Landhaus Mahr | Am Beerbusch 31, 22395 Hamburg
9. Die Postpyramide - ein Mauerblümchen in der City Nord
Zugegeben: Schön ist anders, oder? Doch anno 1977 galt die frisch aus dem Boden gestampfte Postpyramide am Überseering 30 als „totschick“. Unter Postmitarbeitern nannte man den Bau den „Affenfelsen“. 40 Jahre lang prägte das Beton-Monstrum die Bürostadt und galt europaweit als Unikat. Im Mai 2013 wurde die City Nord als Ensemble unter Denkmalschutz gestellt. Seit letztem Jahr ist jedoch Schluss mit lustig, die Post muss weg. Aber auch abreißen will gelernt sein. In der Pyramide der City Nord warteten keine Pharaonen auf die Baufirmen, sondern froschgrüne, knallgelbe Türen und eine nette Portion Schadstoffe. So stand zunächst eine innere Sanierung auf dem Plan, bevor der Abriss auch von außen starten konnte. Die einen frohlocken, dass der marode Beton-Gigant endlich die Fliege macht und hunderte neue Wohnungen entstehen. Die anderen trauern einer zauberhaften Brutalismus-Bausünde nach.
Alte Oberpostdirektion | Überseering 30, 22297 Hamburg
10. Vom Hafenkiosk zum Kulturkiosk – eine Bude leistet Widerstand
Die „Hafenlümmel“ (eine Portion Bockwurst für 2,40 Euro) können die Harburger am kleinen Kiosk an der Blohmstraße leider nicht mehr kaufen. Dennoch kann die kleine Trinkhalle von 1876 einen Triumph feiern: Sie wird nicht abgerissen. Fünf Harburger haben den vermutlich ältesten Kiosk der Hansestadt vom langjährigen Pächter übernommen und einen unbefristeten Vertrag mit der Sprinkenhof GmbH geschlossen. Aus dem niedlichen Zwerg ist nun ein Kulturkiosk geworden. Für viele Harburger gehörte der kleine Kasten genauso zum Binnenhafen wie das Harburger Schloss oder die alte Süderelbbrücke. Seit eh und je versorgte die Trinkhalle die Hafenarbeiter mit Kaffee, Bier und besagter Bockwurst. Auch wenn viele Hafenbetriebe längst verschwunden sind und der alte Kiosk lange Zeit von sehr viel lukrativeren Bauplänen überrollt zu werden schien: die windschiefe Bude blieb wacker stehen.
Kulturkiosk| Blohmstraße 28, 21079 Hamburg
11. Die Synagoge in der Neustadt – schalom und tschüss?
Bei diesem Anblick trauert das Historikerherz: Die ehemalige Synagoge im Hinterhof der Poolstraße 11 ist in einem miserablen Zustand. Die Mauern verfallen, der Hinterhof wird von Handwerksbetrieben und einer Werkstatt genutzt. Dabei sind die Ruinen der Synagoge ein kleines Schmuckstück. Vor 200 Jahren wurde hier der Neue Israelitische Tempelverein gegründet. 65 jüdische Gründerväter wollten damals ihre Religion zeitgemäßer machen. 1844 ließen sie einen neuen Tempel bauen, ein mächtiges dreischiffiges, neogotisches Gebäude. Seine Fassade wurde von zwei achteckigen Türmen – ähnlich Minaretten – flankiert. Im Krieg traf eine Bombe das beeindruckende Bauwerk und zerstörte es fast vollständig. Doch Reste der Apsis und der westlichen Torhalle lassen noch heute die vergangene Schönheit erahnen.
Ehemalige Synagoge, Hinterhof, Poolstraße 11, 20355 Hamburg