Heimaturlaub: An der Bunthaus-Spitze
Lieber Master of Promenadologie, liebe Bachelorette des Sonntagsausfluges! Zurrt die Wanderstiefel fest und zieht Dackel Waldemars wetterfestes Windjackett über. Denn heute treiben wir die Kunst des Spazierengehens an die Spitze. An die Bunthaus-Spitze. Dort hockt ein knuffiger Zwerg und blickt auf die Elbe. Das glaubt ihr nicht? Überzeugt euch selbst!
Kennst du Hamburgs Lummerland?
Es ist kinderleicht, mit der S-Bahn auf Deutschlands größte Flussinsel zu fahren – ohne es zu merken. In Wilhelmsburg wären Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer in ihrem Element. Jim Knopf riefe: „Eine Insel!“ Lukas antwortete: „Wo denn?“ Ja, Lukas, wo denn? Wo ist die Insel? Bei der Station „Wilhelmsburg“ steigen wir in den Bus und fahren, fahren, fahren. Weit und breit ist kein Wässerchen in Sicht. Dann die Haltestelle „Freiluftschule Moorwerder“. Dort, wo wir nach 20-minütiger Düserei aussteigen, bekommt Hamburgs ureigenes Lummerland plötzlich doch noch eine Form. Großstadtdschungel: Fehlanzeige. Wasser: entdeckt. Frischluftoase: Bingo!
Deichkrone aufsetzen und einmal bitte durchpusten
Das Tor zum Spaziervergnügen befindet sich zwischen Freiluftschule und Elbe-Tideauenzentrum. Hier betreten wir einen kleinen, feinen Wanderweg. Fünf kurzweilige Minuten später erklimmen wir schon den Damm, der die Elbe in Süder- und Norderelbe aufteilt. Auf diesem steuern wir nun den östlichsten Zipfel der Elbinsel an.
Bei Windstärke „heftige Brise“ lassen wir uns mal eben gehörig das Gehirn durchpusten und passen auf, dass Dackel Waldemar nicht vom Damm ins Schilf gepfeffert wird. Eine Baumallee steht holzstramm Spalier und raschelt uns ihre Willkommensgrüße zu. Links und rechts erblicken wir das Wasser. An den gegenüberliegenden Flussufern lugen Häuserspitzen hinter den Deichen hervor und buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Doch diese schenken wir lieber einem rot-grünen Tupfer, der sich in der Ferne abzeichnet. Da steht ja der Zwerg. Der Zwerg unter den Hamburger Leuchttürmen.
Ein Leuchtzwerg namens Bunthaus
Belustigt beäugen wir das Bunthaus im grünen Holzoutfit. Moin, Leuchtzwerg! Der putzige Turm bringt es - sage und schreibe - fast auf sieben Meter Höhe. Für so ein Nordlicht ist das schon ungewohnt klein. Doch unterschätzet die Aufgabe des lütten Wegweisers nicht! 1914 nahm der Strahlemann seinen Dienst auf und sorgte bis 1977 bei Nacht und Nebel für die Sicherheit an der Bunthäuser Spitze. So konnte sich kein Pott verschippern. Wie die fünf Freunde – und Timmy, der Huuund! – kraxeln wir umher und fühlen uns ein klein wenig wie die Abenteuer-Kinder-Clique von Enid Blyton. Wir umrunden den rot-grünen Turm, der seit 2005 unter Denkmalschutz steht, und machen uns schließlich an den Aufstieg.
Wo die Elbe mit Wilhelmsburg knutscht
Zwanzig Stufen später haben wir den Leuchtturm erklommen. Wir blicken auf die Elbe, die sich vor unseren Augen für etwa 15 Kilometer in Norder- und Süderelbe aufteilt. Sanft umschließen die beiden Flussarme die Insel Wilhelmsburg, ein Binnendelta entsteht. Vor Altona hört die Insel-Knutscherei auf und beide Elbarme fließen wieder brav zusammen. Ein Binnenschiff schiebt sich langsam durch den Strom und zieht an uns vorbei. Das gleichmäßige Wummern der Motoren ist ein ständiger Begleiter und hat etwas sehr Entspannendes. Eifrige Eile, emsige Hektik sind auf dieser Aussichtsplattform vollkommen fehl am Platz. Wir blicken auf den Fluss und lassen ihn und unsere Gedanken dahinplätschern.
Als clevere Fischer die Hamburger austricksten
Friede, Freude, Elb-Eierkuchen herrschte an diesem Ort nicht immer. Bevor die Menschen in den Lauf des Flusses eingriffen, floss nur wenig Wasser in die Norderelbe. In die Süderelbe dafür umso mehr. Das sorgte für Unmut bei den Hamburgern, nutzten doch viel zu viele Handelsschiffe den Weg über die Süderelbe in den Hafen – und nicht denjenigen über die Nordsee. So entgingen jene cleveren Fischer und Kaufleute dem Zoll. Im 14. Jahrhundert gelang es Hamburg endlich, die Elbinsel Moorwerder zu kaufen. Ab da hieß es: mehr Kontrolle! Vor allem am Moorwerder Hauptdeich Nummer 30 wurde aufgepasst. Hier stand ein Wachthaus, das sich farblich hervortat: Das namengebende bunte Haus an der Inselspitze!
Süder- oder Norderelbe – wer gewinnt das Flussarm-Drücken?
Auf dem Damm schlendern wir nun wieder zurück. Hamburgs Privilegien auf der Elbe führten zum jahrhundertelangen Zank mit seinen südlichen Nachbarn. Der Damm, auf dem wir so sorglos flanieren, steht für das Ende dieses Zwistes. 1870 wurde er gebaut, um die Wassermengen der Elbe „gerecht“ - je zur Hälfte - auf beide Flussarme zu verteilten. Mithilfe regelmäßiger Messungen der Fließgeschwindigkeit wurde über Jahrzehnte penibel überprüft, ob das Ziel erreicht wurde. Wer hat nun das Flussarm-Drücken gewonnen? Die Norderelbe liegt im Schnitt bei 45 Prozent, die Süderelbe gewinnt das Duell mit 55 Prozent des Wassers.
Miniurlaub für Seeadler und Homo Promenadiens
Bei unserem Spaziergang merken wir nichts vom alten Wasserwettstreit. Inzwischen ist die Bunthaus-Spitze ein Geheimtipp für Sonntagsbummler und Frischluftschnapper, die auch mal den Sprung nach Süden wagen. Das nahegelegene Naturschutzgebiet „Heuckenlock" hat nicht nur dem Homo Promenadiens und Dackel Waldemar, sondern auch dem seltenen Seeadler in den letzten Jahren Schutz und Ruhe geboten. Vogel-Freunde werden hier sowieso ihrer ornithologische Freude frönen können. Freigeister wiederum werden merken: Der Kopf ist plötzlich so leicht wie lange nicht mehr. Was wir in Wilhelmsburg bloß erlebt haben? Einen Miniurlaub der (Bunthaus-)Spitzenklasse.
So kommt ihr hin: Zur Bunthaus-Spitze gelangt ihr mit dem HVV. Mit der S3 fahrt ihr vom Hauptbahnhof acht Minuten bis nach Wilhelmsburg. Dort steigt ihr in den 351er-Bus, der euch in gerade mal vierzehn Minuten zur „Freiluftschule Moorwerder“ fährt. Mit dem Auto steuert ihr die Bunthaus-Spitze auf der A1 an. Bei der Ausfahrt „Stillhorn“ geht es raus. Dort folgt ihr der Beschilderung „Bunthaus“. Startpunkt für den Spaziergang: Moorwerder Hauptdeich 33, 21109 Hamburg.
Das kostet der Spaß: Money, money für das HVV-Ticket oder den Sprit. Das Spazierengehen hingegen kostet: na-, na-, na-, nada!
Unbedingt einpacken: Unterhaltsame Gesprächspartner und warme Kleidung.