Glaube, Liebe, Hamburg: Fick dich und deine Ratgeberecke!
Jeden Tag liest du, dass du dich benehmen sollst. Trink Wasser, iss genug, aber nie zu viel, geh laufen, zum Yoga, such dir ein beschissenes Ventil, sei gesellig, sei nicht abhängig, sei schön, aber nicht eitel, mach deine Sachen perfekt, aber nicht zu ehrgeizig, so angelst du dir einen Mann und so legst du jede flach, schau dir mein Video an, ich hab dir aus dem Budni etwas mitgebracht.
Die acht Stunden Schlaf, die sieht man dir bestimmt bald an, mach jetzt die Zigarette aus und das Laufband an, kauf dir dieses Telefon und schnapp dir diese Braut, you get what you need und ist das zu wenig, liegt das bestimmt nur an dir.
Jetzt reiß dich doch mal zusammen, also bitte, also echt jetzt
Jeden Tag sagt man dir, dass du zwar lieben sollst, aber bitte angemessen, Maßband raus und bitte nicht alles in dich reinfressen, da gibt es doch bestimmt wen, dem du das erzählen kannst, ich hab da so eine Telefonnummer, ich hab da so ein Medikament, ich hab da so einen Dealer, eben irgendjemand, der kann dir bestimmt helfen, das muss man doch nicht aushalten, jetzt sei doch glücklich, jetzt sei doch nicht so gierig, jetzt benimm dich doch mal, jetzt lieb doch mal vernünftig und jetzt denk doch mal an morgen, jetzt sicher dich doch ab, aber mach dir keine Sorgen.
Du brauchst mal wieder Urlaub, hier all inc für dein Monatsgehalt, jetzt guck doch nicht immer so, jetzt nimm das doch nicht so ernst und dir bitte auch nicht so zu Herzen, jetzt sei doch endlich mal entspannt und reflektier dich, sprich über dich, sezier dich, jetzt kauf dir doch Bücher über gewaltfreie Kommunikation und lieb dich doch mal selber, jetzt halt doch mal die Fresse, jetzt fick dich doch mal selber.
Und du gehst nach Hause und da steht es schon.
Schau mal, wie hübsch das schreien kann, das Wesen aus Stacheldraht und Rauch, schau mal, wie sehr dich das packen kann, du fühlst das doch auch. Das Wesen kommt raus und will bloß toben, das Wesen kriecht durch den Bauch in den Mund, in die Hände und ohne Grund fängst du an zu zittern und weißt nicht, warum, da ist nur Herzschlag und Puls und Rauschen, da ist nur das Bedürfnis, dich zu verstecken, zu verkriechen, irgendwo hin, einfach endlich weglaufen. Guck mal, da ist dieses Wesen, das lacht. Das sagt: Guck mal, ich bin deine Angst, guck mal, wie schön ich alles Schöne kaputt machen kann.
Und jetzt kommt da auch schon das Meer, das will fressen, das will alles, das will dich verstecken, in einsamen Toiletten, in denen du den Kopf an die Wand lehnst, du zählst, du zählst, du zähmst dich selbst nicht mehr. Du willst nicht, dass einer sieht, dass du jetzt heulst, du willst nicht, dass man das Wesen sieht und deine Hände, vor den Augen, alle Finger ausgestreckt, dein Gesicht im Spiegel, deine Nervenenden ausgereizt und du schimpfst dich selber aus, soll doch keiner merken, soll doch keiner sehen, was ist denn bloß mit dir los?
Es ist gut so, wie es ist
Am Ende der Nacht sitzt du alleine auf deiner Bettkante, neben dir das Wesen und in dir das Meer. Du hörst das Monster schnarchen und das Wasser sagt schon gar nichts mehr. Du atmest ein und du atmest aus, du willst endlich Luft, du musst hier mal raus. Du erhebst dich, gehst ein paar Schritte, stehst im Badezimmer und sieht dein altes, müdes, fahles Gesicht. Und du hebst den Mittelfinger und sagst: Fickt euch, es ist gut so, wie es ist.