Glaube, Liebe, Hamburg: 2017 ist ein gutes Jahr für eine Brieffreundschaft

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Wenn ein mit Herzchen bekritzelter Brief im Briefkasten liegt, fühle ich mich wie Sophie, die endlich wieder Post von ihrem Weltenbummlerhasen Felix bekommt. Nur, dass meine Briefe von keinem Stofftier, sondern von Marlene kommen – meiner Brieffreundin.

Wir haben uns im Mallorca Urlaub 1997 kennengelernt, als wir beide noch in Pampers die Hood erkundet haben. Die beiden Wochen auf Malle waren wir die Best-Pampers-Buddys und sind täglich nackt um den Minipool gerannt (das weiß ich deshalb so genau, weil es selbstverständlich Videos davon gibt – danke nochmal dafür, Mama).

So schnell wir uns kennengelernt hatten, so schnell haben wir uns auch wieder aus den Augen verloren. Beziehungsweise unsere Eltern haben keinen Kontakt gehalten, was daran liegen mag, dass Marlene mit ihren Eltern in Bremen wohnte und wir in Hamburg. Unerreichbar weit auseinander also.

Ein paar Wochen nach dem Urlaub landete dann doch ein Päckchen im Briefkasten. Darin: ein weißes, mir damals viel zu großes weißes T-Shirt mit einem Fotoaufdruck, auf dem Marlene und ich mit Schwimmflügeln im Pool plantschen

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Briefpapier statt Chatblase

Jahre später habe ich mein Kinderzimmer ausgemistet und in einem Paket das T-Shirt, Urlaubsfotos und die Telefonnummer und Adresse von Marlene gefunden. Und schwupps – da war sie, meine Brieffreundin. Das war damals, zur Grundschulzeit, mindestens genauso cool wie Diddl Blätter. Nur fand man die nicht an jeder Ecke. So schrieben Marlene und ich uns über etwa zwei Jahre mehr oder weniger regelmäßig Briefe - auf Diddl Briefpapier selbstverständlich.

 

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Die Schreiberei nahm ihr Ende als ich 13 war.  Briefe schreiben hatte seinen Reiz verloren und andere Dinge waren plötzlich viel wichtiger. Mit 22 Jahren fragt man sich nach einem Gläschen Wein in der Küche mit Mama dann, was wohl aus diesem Mädchen aus unserem Mallorca Urlaub geworden ist. Und was macht man dann? Genau, man sucht bei Facebook nach ihr. Zack, gefunden. Und dann? Genau, gar nichts. Zumindest ich fand es irgendwie merkwürdig, sie anzuschreiben. Vielleicht erinnert sie sich gar nicht an mich.

Komischerweise hat sie mich kurze Zeit später angeschrieben. Nach kurzem Smalltalk haben wir beschlossen, uns wieder Briefe zu schreiben. Nur landen diese von nun an nicht mehr in unserem Elternhaus, sondern bei Marlene in der WG und bei meinem Freund und mir im Briefkasten. Der Postweg Hamburg – Bremen bleibt der gleiche.

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Warum der Aufwand, es ist das Jahr 2017 ?!

Seit etwa einem Jahr schreiben wir nun wieder Briefe. Sie sind länger als damals, die Abstände zwischen den Briefen dafür auch. Mit 22 ist man schließlich beschäftigter, als im Grundschulalter. Marlene arbeitet in Bremen am Theater und bereitet sich auf ihren Studiengang Jazzgesang an der Hochschule für Künste vor. Ich studiere in Hamburg Germanistik und Medien- und Kommunikationswissenschaften und mache nebenbei dies und das.

Während wir also beide über jeden Gang zum Briefkasten genervt sind – aka „kann man das nicht auch per Mail schicken?“ – haben wir uns bewusst für die Brieffreundschaft entschieden und meiden seither Nachrichten bei Facebook, obwohl wir dort befreundet sind und sehen, was der andere in seiner Freizeit treibt. Aber was ist unser Antrieb, beim Schreiben eines Briefes jedes Mal eine Sehnscheidenentzündung zu riskieren, Umschläge auf Vorrat zuhause zu haben, 70 Cent für eine Briefmarke auszugeben und zum Briefkasten zu laufen, wenn wir einfach in die Tasten hauen könnten, um die Nachricht dann per Knopfdruck abzuschicken? Marlenes Gedanke über unsere Brieffreundschaft: Entschleunigung.

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Wie funktioniert das, befreundet sein, ohne sich je zu treffen?

Wir machen uns keinen Stress, auf die Briefe zu antworten. „So kommt es, dass ich deinen Brief vor einem Monat bekommen habe, aber erst jetzt antworte. Könntest du dir das bei SMS oder E-Mails vorstellen? Ich nicht.“, schreibt Marlene und hat damit recht. Briefe sind zudem viel persönlicher, als ein Chat Fenster zu öffnen, oder zu telefonieren. „Ich würde nie auf die Idee kommen, dir einen Brief zu schicken, in dem nur „Na, alles cool bei dir?“ steht.“

Ganz genau – wir nehmen uns Zeit beim Lesen der Briefe und überlegen uns, worüber wir schreiben wollen. Fragen den anderen, wie die Prüfung, der Urlaub, der Umzug gelaufen ist. Und das, obwohl wir uns eigentlich gar nicht wirklich kennen. „Also ich finde unsere Brieffreundschaft super, weil ich dich ja irgendwie gar nicht richtig kenne.

Ich weiß nicht, wie du in extremen Situationen reagierst. Ich weiß auch nicht, was du gerne isst oder welche Filme du dir mit Freunden anguckst. Ich weiß auch nicht, wie es bei dir Zuhause riecht. Das sind ja eigentlich Dinge, die man von seinen Freunden schon kennt. Und trotzdem empfinde ich dich als eine Freundin von mir.“ Deshalb schreiben wir uns auch, wenn wir schlechtes erleben und schütten dem anderen ein Stück weit das Herz aus, da es sich auf merkwürdige, aber schöne Weise nicht fremd anfühlt.

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