Keine Seemannsromantik - Der harte Alltag in der Seemannsmission Hamburg-Altona

© Queer Van Rotten

In seiner Kolumne "Absolute Giganten" macht Kevin Goonewardena alle zwei Wochen Hamburger Typen und Geschichten erlebbar, die der erste, flüchtige Blick oft nicht erfasst. Eingefangen an Orten, die wir zwar alle kennen, für die wir jedoch nicht den Mut, die Courage oder die Verzweiflung besitzen. "Absolute Giganten" ist der stille Beobachter, der die Geschichten der Stadt und ihrer Menschen findet und zu Papier bringt.

Die Sonne scheint im Glitzerstrahl. Bricht sich im Wasser, im Kristall. Golem, Hafenklang, Haifischbar. Skandinavische Möbel, Fischrestaurants. Wenige Leute gehen wenige Meter weiter die Straße hinein, vom Fischmarkt kommend, guckend und fotografierend.

Doch auch die Deutsche Seemannsmission Hamburg-Altona e.V. liegt hier. Untergebracht in einem alten Backsteinbau, fünf Geschosse, 116 Jahre hat sie auf dem Buckel. Zeitzeuge der Globalisierung, Rückzugsort derer, deren Tätigkeit noch nicht von Maschinen übernommen wird. Gegenüber: Tollerort, Burchardkai, dutzende Containerbrücken, fahrerlose Transportfahrzeuge. Automatik überall. Roboter, Mensch-Maschine. Gewaltige Tiere mit metallenen Krallen und Neon-Augen. Danke zu Knyphausen.

Menschen wie wir

© Kevin Goonewardena

„Bei uns darf man sich wieder als Mensch fühlen, man kann erzählen, wie es einem geht, was man so macht. Fotos der Kinder zeigen. An Bord redet man sich in der Regel mit seinem Rang an oder seiner Funktion, aber nicht mit Namen – auch das begünstigt soziale Isolation." sagt Fiete Sturm, 36, kräftig, dichter Vollbart, ginge hier wohl am ehesten als Seemann durch. Seit zwei Jahren leitet der aus Bielefeld stammende Diakon, dessen Vater noch bei Blohm+Voss Schiffsschlosser gelernt hat, als Teil einer Doppelspitze die Deutsche Seemannsmission Hamburg-Altona e.V. Eine, von drei Einrichtungendes deutschen Fachverbandes in Hamburg, wobei jeder Verein für sich steht: Eigener Name, Struktur, Vorstand, Schwerpunkt.

Sechzehn Stationen gibt es insgesamt in Deutschland – und noch mal genauso viele im Ausland. „Seelsorge fängt bei uns ganz banal mit ‘ner Telefonkarte an, am besten noch mit einer Internetflatrate obendrauf. Wenn man wochenlang auf See ist, kann man nicht einfach mal zu Hause anrufen oder ‘ne SMS schicken. Auf See gibt es keine Sendemasten, man kann höchstens Mal das Satellitentelefon benutzen. Da ist klar, dass man als erstes den Kontakt nach Hause haben möchte

400m x 60m x 30m – die Maße des Arbeitsplatzes, der OOCL Hong Kong des aktuell größten Containerschiffes der Welt. Endlose leere Flure und Gänge, mehrfamilienhaushohe Aufbauten – ohne Balkon, ohne Geranien. Fahrräder als Fortbewegungsmittel an Deck, so weit sind die Wege. Einsamkeit als stetiger Begleiter. Immer größer werden die Schiffe, immer mehr von ihnen sind auf den Weltmeeren unterwegs.

Vollbeladen können die Kolosse Hamburg schon längst nicht mehr anlaufen. Auch wenn Experten schon lange ein Ende des Booms kommen sehen – noch Purzeln die Rekord mehrmals jährlich. Mehr als 20.000 TEU Container Fassungsvermögen können die Größten von ihnen mittlerweile schlucken – zum Vergleich: Im Jahr 2006 fassten die Größten 11.000 TEU, weitere zehn Jahre zuvor gerade einmal 6000 – 7000 Standartcontainer. Nur rund 25 Mann Besatzung braucht es die Schiffe zu bewegen. Wochenlang auf See, monatelang unterwegs. Weites Wasser überall. Kein Baum, kein Strauch, kein Grün. Ödnis. Freiheit, die zum einengenden Fluch werden kann.

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„Ein Turn dauert 9 Monate. Zwischendurch wird die Crew zwar immer mal wieder ausgetauscht, allerdings nie komplett. Das liegt auch an unterschiedlichen Vertragslaufzeiten und ähnlichem. Nach Hause geht es dennoch nicht. Heutzutage ist das alles ein Just-in-Time-Geschäft, das ist nicht mehr so, dass man in der Heimat aufs Schiff geht, einmal um die Erde fährt und dann wieder zurück. Die Reedereien lassen ihre Crews einfliegen, auch nach Hamburg." erzählt Fiete.

"In der Regel kommen die Seeleute am Flughafen an, werden dann von der Reederei oder der Personalagentur zu uns gebracht, schlafen ‘ne Nacht hier, bevor es dann auf‘s Schiff geht.“

Wo kommen all' die grauen Wolken her?

© Kevin Goonewardena

Die Arbeit dort hat wenig mit Seefahrerromantik zu tun, der Illusion gebe sich allerdings auch kaum jemand hin, verrät Fiete. Nur hart sind die Jobs auf See wie eh und je.

Fortschreitende Automatisierung Hin oder Her. Graue Wolken, unruhige See. Hoch hinaus wollende Wellen. Krachend in sich zusammenfallend. Schauklige Angelegenheit. „Wenn ich nicht schon gläubig wäre“, so Fiete „dann würde ich es vermutlich auf See werden. Wenn so ein riesiges Schiff in einen Sturm gerät, dann ist das auch heute noch gefährlich – die Besatzung von Containerschiffen muss auch dann raus um zum Beispiel die Ladung zu sichern.“

Mehrere Tausend Container gehen schätzungsweise dennoch jedes Jahr verloren – genaue Zahlen gibt es nicht. Das ständige Unterwegssein und das wenige Miteinander an Bord führt oft zur sozialen Vereinsamung. „Selbst gegessen wird zumeist hastig in fünf Minuten – und zwar dann, wenn sich Zeit findet“, erzählt er. Je nach Zusammenstellung der Crew kommt es auch mal zu ethnischen oder religiösen Konflikten. Auch in solchen Fällen wird in der Seemanssmission vermittelt.

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Wie so oft ist es das Geld, das den Job attraktiv macht. Und das, obwohl die Seeleute nur rund 800 Dollar verdienen – für 300 Arbeitsstunden, wie Fiete verrät. Ob nun Containerschiff oder Kreuzfahrtriese – für den Durchschnittslohn eines einfachen Angestellten spielt das keine Rolle. Auch die von David Foster Wallace bereits 1997 wunderbar detailversessen beschriebene Kreuzfahrindustrie („A Supposedly Fun Thing I’ll Never Do Again: Essays and Arguments“, Anm. d. Verfassers), will geölt werden. Fiete sieht dennoch Unterschiede zwischen den Branchen.

„Auf Containerschiffen weiß man, glaube ich, schneller wo man dran ist und muss früher entscheiden: bleibt man nun dabei oder nicht. Ich glaube auf Kreuzfahrtschiffen ist das eher umgekehrt. Erst einmal sind viel mehr Leute an Bord, bis zu 1500 Mann Besatzung. Das allein kann für ein ganz anderes soziales Miteinander sorgen, dabei kommt es aber auch darauf an, ob man nun AnimateurIn ist, Steward_ess  oder in der Wäscherei arbeitet." sagt Fiete.

"Was ich so mitbekommen habe, machen die Leute die ersten ein, zwei Jahre den Job noch relativ entspannt, dann setzt auch da die Routine ein. Hier kann man sich vielleicht eher mit KollegInnen anfreunden, auch das After-Work-Programm für Teile der Crew auf Kreuzfahrtschiffen hat eher einen Partycharakter, aber die soziale Müdigkeit setzt auch hier ein. Wer mehrere Wohnort- oder Arbeitsplatzwechsel mitgemacht hat, weiß wovon ich spreche. Hier wird man auf eine andere Art aus dem gewohnten Umfeld gerissen – und das in kürzerer Zeit.“

© Kevin Goonewardena
© Kevin Goonewardena

Nicht nur die Entlohnung, auch die Arbeitsbedingungen wirken für hiesige ArbeitnehmerInnen abschreckend. Anderorts hingegen nimmt man die Möglichkeiten zu See zu fahren gerne an – auch mangels Alternativen. Die meisten kommen heutzutage aus Ländern wie den Philippinen, Indonesien oder Libyen. „Auf den Philippinen beispielsweise, gibt es kaum Industrie. Das Land lebt von Devisen, also davon, dass Staatsbürger aus dem Ausland Geld ins Land bringen. Da arbeiten dann drei, vier im Ausland und versorgen daheim Großfamilien.“

Deutsche Seefahrer gebe es kaum noch, wenn dann Offiziersanwärter. „Die Meisten von denen studieren Nautik und müssen eine gewisse Anzahl von Pflichtstunden im Rahmen ihrer Ausbildung auf einem Schiff absolvieren. Aber auch für die wird es mehr und mehr schwieriger Plätze zu finden, denn auch auf Führungsebenen sind ausländische Kräfte günstiger.“, sagt er.

Viele Crewmitglieder müssten zudem in Vorleistung gehen, in dem sie benötigte Arbeitskleidung, Sicherheitstrainings oder andere Fortbildungen selbst bezahlen – immer noch. Dennoch hat sich in den vergangenen Jahren schon vieles geändert, auch Dank der Arbeit der Seemannsmissionen fernab von Schiffen oder Vereinsheimen. „Wir konnten über die „Maritime Labour Convention“ (internat. Seearbeitsrecht) in den letzten Jahren gemeinsam mit Politik und Anderen erreichen, dass die Seeleute beispielsweise ihre Anreise und Unterkunft nicht mehr selbst zahlen müssen, auch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es mittlerweile – zwölf Wochen, statt sechs wie bei normalen Arbeitnehmern üblich.“

Es ist die Leidenschaft die treibt

Jeder Kostenfaktor wird gesenkt, auch in der Schifffahrt ist das nicht anders. „Man kann jedoch nicht von den bösen Reedereien und den guten Seefahrermissionen sprechen“, stellt Fiete klar. Viele Reedereien würden mit den Seemannsmissionen zusammenarbeiten, da auch sie erkannt haben, dass die Hilfsangebote, von ihnen gar nicht geleistet werden könnten: „Bei 80.000 Containerschiffen, die derzeit auf den Meeren unterwegs sind, ist es beispielsweise unmöglich auf jedem einen Seelsorger an Bord zu haben.“

Jedes Mal wenn ein Schiff in den Hafen einläuft, setzt der gleiche Ablauf ein – bei jedem Schiff. Der Zoll kommt an Bord, die Einwanderungsbehörde, Polizei, der hafenärztlicher Dienst. „Alle diese Leute kümmern sich letztendlich darum, dass der Wirtschaftsfaktor Schiff funktioniert – aber eigentlich kümmert sich niemand um die Menschen, die an Bord leben und arbeiten.“

Dafür gibt es Fiete und KollegInnen, die sich nicht nur zu Land um Seeleute kümmern: „Natürlich betreiben wir auch Lobbyarbeit, da kommt man nicht Drumherum. Teilweise auch politische Arbeit. „Es gibt mehrere Kooperationen, zum Beispiel mit der BG Verkehr hier in Hamburg, mit der wir vor kurzem den Sozialbeirat Hafen gegründet haben und andere Parteien wie die HPA, Zoll, Lotsen oder die Wasserschutzpolizei hinzuholen konnten – alle, die in irgendeiner Weise mit Seeleuten zu tun haben. Sinn und Zweck ist es, den Hamburger Hafen so gestalten zu können, dass er für Seeleute ein menschlicher Hafen wird.“

© Kevin Goonewardena

Auch mit den anderen beiden Hafenmissionen Hamburgs, dem Duckdalben der Deutschen Seemannsmission Hamburg-Harbug e.V. und dem Krayenkamp der Deutschen Seemannsmission in Hamburg e.V., direkt neben dem Michel, arbeite man zusammen. „Wir probieren jeden Tag unter der Woche mindestens ein Team im Hafen zu haben, dass Schiffe besucht. Manchmal werden wir explizit angefragt, wenn irgendwas an Bord benötigt wird. Oder es beispielsweise einen Todesfall gab. Dann veranstalten wir einen Trauergottesdienst an Bord – diese spirituelle Reinigung des Schiffes ist ganz wichtig für die Besatzung. Wir picken uns aber auch Schiffe raus, zu denen wir bisher noch keinen Kontakt hatten und stellen dann denen uns und unseren Service vor.“

Service – der auch finanziert werden muss. „Ein bunter Flickenteppich,“ aus Spenden, wenigen staatlichen Fördermitteln „und das auch erst seit eineinhalb Jahren“ und einen sehr kleinen Teil aus der kirchlichen Mitteln, fließt in die Arbeit von Fiete und dem Team. „Dann kommt eine freiwillige Reederabgabe hinzu, zu denen sich manche Reedereien verpflichtet haben,  zu jedem Schiffsanlauf einen gewissen Betrag an die drei Hamburger Seemannsmissionen zu entrichten – den teilen wir dann mit einem Schlüssel untereinander auf. Den größten Teil unserer Einnahmen erzielen wir durch das Seemannshotel, die Reedereien zahlen für ihre Seeleute, buchen ihre Seeleute hier ein.“

Ein Kontingent an Zimmern wird auch an Hamburg Besucher und andere Gäste vermietet – zur Vorderseite mit malerischem Blick auf Elbe und die Hafenanlagen. Aufstehen, Atmen, Anziehen und Losgehen. Zum Beispiel zum Fischmarkt um die Ecke. Günstiger als jedes Hotel in der Umgebung. „Wir haben aus Pragmatismus damit angefangen, denn die Zimmer sind nie zu 100 % von Seeleuten belegt. So viele Zimmer können wir als Verein aber auch gar nicht anderweitig vermieten – und wollen es auch nicht. Es ist immer noch in erster Linie ein Rückzugsort für Seeleute, in den jeder kommen kann, wie er ist – und auch so wieder rausgehen.“ Die schauen übrigens gerne nach hinten raus – in den Garten, mit Pool. Land in Sicht – wenigstens für ein, zwei Tage. Bis man dann einsieht, dass es weitergehen muss.

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