Zwischen Klischee und Wahnsinn: Morgens auf dem Fischmarkt

In seiner Kolumne "Absolute Giganten" macht Kevin Goonewardena alle zwei Wochen Hamburger Typen und Geschichten erlebbar, die der erste, flüchtige Blick oft nicht erfasst. Eingefangen an Orten, die wir zwar alle kennen, für die wir jedoch nicht den Mut, die Courage oder die Verzweiflung besitzen. "Absolute Giganten" ist der stille Beobachter, der die Geschichten der Stadt und ihrer Menschen findet und zu Papier bringt."

© Kevin Goonewardena

"Die Nacht vorbei, der Kiez gefegt und alles schleicht, was sich bewegt", singen "Die Sterne" in "Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt". Ich schleiche mich über die Straßen des Viertels. Um mich herum Menschen. Den Schlaf noch in den Gliedern steckend, erst vor Minuten aus dem Hotelbett gefallen oder unter der Theke hervorgekrochen. Mit kleinen, roten Augen und schweinsfarbener Haut. Frisch geduscht oder mit Fahne. Vom Peppermölenbek einfallend oder am Wasser entlangkommend. Von auswärts angereist und nur ein paar Tage in der Stadt oder hier lebend. Sie alle eint die Freude auf das was kommt: Altonaer Fischmarkt, im sonntäglichen Morgengrauen.

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Nudel-Olli und Schoko Johnny

Man sieht es in ihren Augen, mögen sie noch so klein sein: Die Neugierde auf das Unbekannte, der stramme, zielgerichtete Gang. Die Gelassenheit bei denen, die schon öfter hier waren. Vor Kraft strotzend die, die den Zenit der Nacht schon vor Stunden überschritten haben. Auf ein letztes Bier mit Hafenblick. „May I take a picture of you taking a picture?“ “I am live, 100 people are watching”. Choe, aus Südkorea zieht sein Handy am Selfie-Stick über die Auslagen einer Fischtheke und deutet auf das Display. Scheine und Plastiktüten wechseln derweil die Besitzer. Wie viele der Besucher hier wohl nur Fisch erwarten, denke ich.

Nudel-Olli, Schoko Johnny, Roberto Saarloos aus Bremen, der sich „Holländischer Blumenkönig“ nennt – die Spitznamen der Händler so harmlos, wie treffend. Lastkraftwagen und Stände, die Bretter die ihre Welt bedeuten. Mehr Entertainer, als Verkäufer. Ohne echtes Charisma, dafür mit durchschaubarer Methode und vorhersehbarem Witz. Hier auch mir sympathisch, für ein paar Stunden König. In diesen ziehen sie die Blicke auf sich, öffnen Ohren, Geldbörsen, lockern Lachmuskeln. Die Zeit, in der es hier ausschließlich Fisch gab, sind schon lange vorbei - sehr lange. Längst als Touristenattraktion vermarktet, behält der Markt auch deswegen bis heute seine ökonomische Relevanz.

Fisch, Obst, Backwaren, auch Küchenhelfer, Kuscheltiere oder die viel zu teuren, viel zu beschissen aussehenden typischen Jeans-Hosen, Glitzer-Tshirts und Lederwaren, wie man sie nur auf Flohmärkten sieht und sich unweigerlich fragt: Wie kann man damit auch nur die Standgebühr zahlen?

Altherrengedeck für drei

© Kevin Goonewardena

Mauro im Batman Kostüm, nennen wir in Mauro, interessiert das alles nicht. Mit seinen Jungs ist er aus Turin angereist um Hamburg zu sehen. Drinnen in den ehemaligen Fischauktionshallen nimmt er manchmal die Maske ab, um besser trinken zu können. Auf der Bühne animiert irgendeine, ihren Job viel zu ernst nehmende, Altherrencombo nicht nur die Italiener mit dem wenig subtilen „Whiskey in the Jar“ zum Weitertrinken. Die Crosby-, Stills-, Nash- and Young-Lookalikes, rocken und grooven, wie diese Adjektive vermuten lassen: Fehlerfrei, einfallslos, zweckerfüllend – passend. Das Che-Shirt eines der Mitglieder ist auch hier was es schon immer war: Ein vermeintlich identifikationsstiftendes Statement der eigenen peinlichen Phase, die nicht enden will.

© Kevin Goonewardena
© Kevin Goonewardena

Mit dir sind wir Bier

Die Reihen in der Halle sind spärlich gefüllt, heute an Hamburgs mediterranem Maimorgen. Man sitzt Draußen am Wasser, genießt die Sonne, den Hafen und vor allem: In Hamburg zu sein. Ein Kreuzfahrtschiff der „Mein Schiff“-Reihe  nimmt im Rückwärtsgang Kurs auf Steinwerder, Handys, Fotoapparate, Augen folgen dem schwimmenden Eventpalast verträumt.

Menschen sitzen am Ufer, blinzeln in die Sonne, die Liebste, den Liebsten, den Buddy neben sich, das Bier in der Hand. Weit weg der Kiez mit seinen Karo-Shorts tragenden, Plastikblumenkettenbehangenden Resten der Nacht, die mit dreckunterlaufenen Fingernägeln das Fast Food-Mahl im Rinnstein sitzend aus der Papiertüte fischenn. Heiratswillige, die seit 12 Stunden mit ihrem Gefolge auf den Beinen sind, den Kiez unsicher machten, sind jetzt ganz still. Ihre Shirts und Schärpen stumme Zeugen einer Nacht, die noch nicht vorbei ist und hier ihren heimlichen Höhepunkt gefunden hat. Zimmermanntrachten und Fussballtrikots, Clubbingoutfits und Outdoorjacken – hier sammelt sich, was zusammengehört. Für den Moment, an diesem Ort.

Begegnungen bei Kaffee und Huhn

© Kevin Goonewardena

In den Reihen die Marktschreier, wie sie ihre Ware anpreisen, Körbe füllen, Tüten packen, unentwegt Sprüche klopfen. Der gleiche Witz, die gleiche Sorte Menschen die lachen. Jeder hat sie, seine Methode, seinen Zugang, sein Alleinstellungsmerkmal. Wie Jesse Greaves, der Rasta-Barista, wie Ihn eine Boulevardzeitung einst taufte. Der Pulk um seinen Stand ändert seit Stunden nur seine Zusammensetzung, nicht die Größe. Tänzelnd serviert der aus Barbados stammende Jesse seinen Kaffee zu Reggae-Klängen, ein augenzwinkernder Flirt hier, ein Buddy-Schulterklopfer dort. Manche der Umherstehenden verlängern spontan die Partynacht - Jesses ansteckender gute Laune sei Dank.

Ein paar Meter weiter, laufe ich wieder den drei Typen in die Arme, die mir heute schon oft den Weg kreuzten. Pummeliger Lockenkopf im lilafarbenen Ralph Lauren- Polo, Hänfling mit Flaum von oben bis unten in Pusher Apparel, ganz in weiß, der Dritte im Bunde. Die Kippen dabei in der hohlen Hand, ihr wisst was ich meine. „Was ist in dem Karton?“, fragt eine junge Frau. Ich stoße zur Gruppe. „Ein Huhn,“ antwortet der Pusher. Vorsichtig, aber nicht ungläubig späht die Frau durch die Schlitze im Karton und bestätigt den anderen Anwesenden daraufhin den Wahrheitsgehalt der Aussage. Während der Kauf vom Typen in Ralph Lauren erklärt wird („Sein Vater hat einen Bauernhof“), frage ich nach der Herkunft des Huhns. „Von einem Stand da vorne“ – ich sollte ihn bis zum Ende des Morgens nicht finden.

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