Glaube, Liebe, Hamburg: Wie gehts dir eigentlich?
Segel Setzen #13
Wie geht es dir eigentlich? Also - wie geht es dir wirklich? Wenn jemand das von mir wissen möchte, komme ich ins Grübeln, bevor ich dann zu einer langen und ausführlichen Antwort ansetze und die verschiedenen Baustellen in meinem Leben anspreche.
Aber selbst wenn jemand einfach nur fragt, um zu fragen, fällt mir die Antwort schwer. Ich denke ein paar Sekunden darüber nach: Wie geht es mir eigentlich? Klar, ist die Frage oft eine Floskel, gerade bei Begrüßungen. Aber in der Vergangenheit konnte ich manchmal eben nicht guten Gewissens einfach “Gut, gut und dir?” antworten.
Soul searching oder einfach nur Smalltalk?
Klar könnte man sagen: Wer Fragen stellt, bekommt eben Antworten. Und klar könnte ich in lange Ausführungen meines Gesundheits- und Seelenzustandes verfallen, wenn ich eigentlich nur Blumen in meinem Lieblingsladen kaufen möchte. Ich denke jedoch, dass ich sozial kompetent genug bin, um zu unterscheiden, welche Antwort mein Gegenüber erwartet. Betreibe ich intensives soul searching, indem ich mit Freunden einen langen Strandspaziergang mache, mit einem guten Rotwein auf dem Sofa sitze oder ein vierstündiges Skype-Gespräch führe? Oder sucht da nur ein Tinderboy nach einem Gesprächseinstieg (Trotz mangelnder Originalität immer noch viel besser als “Wow, you’re gorgeous”. Oh toll, danke, da ist sicher jemand genuinely an mir interessiert. Nicht.)?
Ich darf auch nach außen hin ein Mensch mit Gefühlen sein
Aber ich weigere mich zunehmend, gute Laune vorzugaukeln, wenn sie gar nicht da ist und sich auch länger nicht mehr hat blicken lassen. Wenn ich sauer bin. Wenn ich traurig bin. Selbst wenn es nichts mit der Situation und dem Gegenüber zu tun hat. Gerade in professionellen Kontexten kann ich natürlich nicht teilen, dass ich heute Morgen einen ziemlich ätzenden Streit mit meinem Boy hatte. Aber ich muss auch nicht so tun, als wäre alles in Ordnung.
Wenn ich meine Kollegen wissen lasse, dass es mir heute nicht so gut geht, dann verzeihen sie vielleicht eher den schnippischen Kommentar oder lassen mich alleine Mittagessen. Ich kann nicht annehmen, dass jeder über mein aktuelles Level an Belastbarkeit Bescheid weiß, wenn ich es nicht zumindest andeute. Und ganz ehrlich - manchmal muss schlechte Laune auch ausgehalten werden. Solange ich nicht jeden Tag mit einem Gesicht wie ein gesprungenes Smartphone-Display ins Büro (in die Bäckerei, ins Fitnessstudio, you name it) komme, darf ich es mir durchaus erlauben, auch nach außen hin ein Mensch mit Gefühlen zu sein.
Ehrlich Bedürfnisse mitzuteilen nützt allen Beteiligten
Außerdem ist es self care, wenn ich mir darüber bewusst bin und mitteile, dass gewisse Dinge gerade nicht gehen. Dass ich dieses Date lieber auf morgen verschiebe und jene Konzertkarten nicht kaufe. Dann zeige ich es nämlich umso lieber, wenn ich aktuell Höhenflüge vollbringe, Schmetterlinge im Bauch habe oder am liebsten die Welt umarmen möchte.
Lina ist geboren und aufgewachsen in Hamburg und hat auf keiner ihrer Reisen jemals eine Stadt gesehen, die sie so gefangen nimmt. In ihrer Kolumne "Segel setzen" schreibt sie regelmäßig über die großen und kleinen Themen des Alltags einer Mittezwanzigjährigen – und natürlich über die Liebe zur Herzensstadt.