Glaube, Liebe, Hamburg: Was ich gerne mit Anfang Zwanzig über das Leben gewusst hätte

© Stocksnap

Glaube, Liebe, Hamburg - wenn ich auf die letzten zehn Jahre meines Lebens blicke, sollte der Titel eher Selbstzweifel, emotionale Dependenz und Auf-der-Suche-nach-der-richtigen-Heimat lauten. Ich bin jetzt 29 Jahre alt und natürlich denke ich zu dieser Zeit, an der Grenze zu der mystischen Dreinull, oft an mich selbst zurück, also an mich Anfang Zweinull. An all die Dinge, die ich gerne früher gewusst, verstanden und umgesetzt hätte. Jeder hat diese Momente, in denen er das Raum-Zeit-Kontinuum durchbrechend gerne seiner persönlichen Vergangenheitsversion die Welt nochmal neu erklären würde. Hier sind ein paar Dinge, die ich mir selbst erzählen würde.

© Unsplash

Über die Liebe. Mein liebes Anfang-20-Ich, alles was dir von Sex and the City & Co. über die Liebe suggeriert wurde, führt dich geradewegs vorbei an dem einen, zentralen Ziel: eine stabile, gesunde Beziehung aufzubauen. Geschweige denn eine, die hält. Ein Mr. Big nach dem anderen kommt und geht. Noch denkst du, es ist heftig, deshalb ist es echt. Du spürst, es ist nichts Greifbares, also bildest du dir ein, du bist nicht gut genug. Du glaubst, die Dinge ändern sich, deshalb wartest du. Sammelst fleißig statt Zuneigung Pain Back-Punkte in der Hoffnung, sie irgendwann gegen etwas emotional Sättigendes eintauschen zu können. Rennen solltest du, nicht ihm hinter her sondern schreiend davon. Anschreien möchte ich dich manchmal, wenn ich an dich denke. Du armes, du liebeshungriges Wesen.

© Stocksnap

Über Sex. Was hast du dir den Kopf zerbrochen... Bin ich gut im Bett, was will der andere, ist mein Bauch zu dick, wieviele Sexualpartner sind eigentlich ok? Shame on all the Sex and Body-Shaming. Wie viel mehr warst du in deinen Befürchtungen gefangen statt dich fallen zu lassen. Sie waren doch alle zufrieden, oder? “Der erste war ja vielleicht noch unerfahren. Der Nächste war einfach mega horny. Der Andere war der feste Partner aus langjähriger Beziehung, der nur aus Liebe über meine Defizite hinweg gesehen hat.” Willkommen in der Selbstabwertungsschleife. Irgendwann gehen dir die Argumente gegen dich selbst aus. Dann wirst du begreifen, dass auch Mr. Oberhot mit all seinen Erfahrungen (mehr als nur) zufrieden war - mit dir und mit dir in der Kiste. Dass auch er nicht die Reinkarnation einer sexuellen Gottheit ist, es beim Vögeln nicht um Performance geht, weder um deine noch seine. Heißt das, ich habe mich all die Jahre umsonst fertig gemacht? Ja, genau das heißt es.

© Unsplash
Es kommt ein Schicksalsbeben, weil - das Leben ist eben so.

Über Freundschaften. Schau dich einmal um. Die ganzen Leute, mit denen du jetzt ganz viel Feiern, Reisen und Shoppen gehst. Mit denen du viel lachst, übermüdet in fast jeder Vorlesung sitzt und deine Beziehungsdramen rauf- und runter analysierst. Das alles fühlt sich zwar im Moment nach unendlich tiefer und alles überwindbarer Freundschaft an. Aber gib' dem Leben Zeit, die Dinge auf ihren eigenen Prüfstand zu stellen. Es kommt ein Schicksalsbeben, weil - das Leben ist eben so. Plötzlich kannst du die Gute-Laune-Version von dir nicht mehr bedienen. Du hast Nichts zu geben, funktionierst nicht mehr wie gewohnt. Und dann gesellt sich zu dem ganzen Situationsschmerz auch noch die Enttäuschung. Über all die Menschen, die dir gerade noch so nah waren und plötzlich nicht mehr da sind. Sei nicht traurig, kleines Ich. Du musst verstehen, nicht alle Menschen können alles auffangen. Mehr als eine handvoll gute Freunde braucht es nicht und der Rest ist super, nur eben nicht für jeden Lebensumstand.

Nicht hören - sondern fühlen und erleben

Das alles würde ich meinem Anfang-20-Ich sagen. Und es hätte mir dabei sicherlich ganz aufmerksam zugehört, zustimmend genickt, mir Recht gegeben und dann eh alle Fehler auf die gleiche Art begangen. Vielleicht die Dinge mit etwas mehr Nachdruck sabotiert, nur um mir zu beweisen, dass ich mir ja gar nichts vorzuschreiben habe. Was soll ich sagen, ich will eben nicht hören, ich will selber fühlen und erleben. Glauben. Lieben. Und das in Hamburg.

Zurück zur Startseite