Glaube, Liebe, Hamburg: Krampf oder Liebe, was ist deine Stadt für dich?

© Lina Hansen

Segel Setzen #6

Wochenlanges Zittern und Überlegen und Abwägen – und jetzt hat es geklappt. Die Entscheidung, in welcher Stadt du in Zukunft wohnen wirst, ist getroffen. Vielleicht ist es die Stadt, in der du bereits wohnst, vielleicht ist es eine Stadt, die dich bereits kennt und vielleicht ist es auch eine Stadt, die neu für dich sein wird. Du suchst dir eine Bleibe, du packst deine Sachen und machst dich auf. Ein neues Kapitel. Ein neues Abenteuer.

Und irgendwann kommt die Ernüchterung. Vielleicht deprimiert dich die Stadt oder sie engt dich ein. Vielleicht kommst du mit den Menschen um dich herum nicht klar.

Und während du so in deinem Zimmer sitzt und unten beobachtest, wie die Menschen auf der Straße umherlaufen, als hätten sie irgendwas in der Stadt gesehen, was du nicht siehst, solltest du langsam mal überlegen, womit du deine Zeit verbringst.

© Lina Hansen

Die Stadt ist nicht dafür verantwortlich, wie du dich fühlst

Die Stadt wird sich nicht ändern. Sie ist wie sie ist, mit ihrer Dynamik, ihren Bewohnern, ihren Eigenheiten und ihren unschönen Ecken. Du alleine bist dafür verantwortlich, ob diese Stadt für dich zum notwendigen Übel wird – oder zum Sehnsuchtsort.

Die schönste Stadt wird zum undefinierbaren Rauschen, wenn man immer nur die gleichen Bars besucht, nur Freunde zu sich nach Hause einlädt oder immer den gleichen Arbeitsweg nimmt. Die Stadt ist nicht dafür verantwortlich, wie du dich in ihr fühlst – im Gegenteil.

Du magst schimpfen. Auf den dreckigen kleinen Park und auf die Betonwüsten und vielleicht auf die grimmigen Leute. Oh, was habe ich schon für Schimpftiraden auf Hamburg gehört. Was waren Leute unzufrieden, wetterten gegen (nein, ich sage nicht das Wetter) die verschlossenen Menschen. Regten sich über die teilweise kleinstädtische Art Hamburgs, die sich so gar nicht mit der kosmopolitischen Attitüde deckt, auf. Über den ÖPNV. Über die Fixierung der Hamburger auf ihre ach so tollen Gewässer.

© Lina Hansen

Der Wunsch nach Neuem, der ist normal

Und ich muss selbst zugeben, dass ich das getan habe. Nach 24 Jahren Hamburg kennt man einfach jede Macke und wie in jeder langen Beziehung ist man einfach irgendwann von vielen Dingen genervt. Wie oft nachts nichts mehr fährt. Die ewig gleichen Ansagen in der Bahn. Die irgendwann zusammenreduzierte Auswahl an Kneipen, weil es so bequem ist. Das Fünkchen Besonderheit, das irgendwann einfach – nicht mehr da ist. Da taucht dann plötzlich der Wunsch auf, etwas Neues zu erleben. Andere Straßen zu sehen, eine Stadt mit neuen Augen zu entdecken, schlechte Clubs zu besuchen und später darüber zu lachen, einen neuen Lieblingsmarkt zu finden und zu lernen, in welchem Rhythmus der Puls des neuen Sehnsuchtsortes schlägt.

© Lina Hansen

Dem Wunsch bin ich gefolgt. Neue Stadt, neue Wohnung, neues Umfeld. Und es war so toll – alles davon. Die neuen Erfahrungen, der vergrößerte Horizont haben mich beflügelt. Plötzlich konnte ich mir nichts Besseres mehr vorstellen, als in dieser neuen Stadt zu wohnen.

Dann fuhr ich das erste Mal wieder nach Hamburg. Nach Hause. Und oh boy, was ist der Puls einer neuen Stadt gegen das Zittern, das Herzklopfen und das dämliche Grinsen, wenn man durch den Hafen seiner Heimatstadt fährt und der rosafarbene Himmel hinter den Terminals einfach nur schreit „Und du Idiot bist weggegangen!?“. Und sobald ich meine Einstellung zu Hamburg wiedergefunden hatte, war es wieder das, was es für so viele ist, die hier das erste Mal hinziehen: Sehnsuchtsort. Traumstadt. Große Liebe.

© Lina Hansen

Jede Stadt hat seine zweite Chance verdient

Mit den Monaten pendelte ich regelmäßig zwischen Leipzig und Hamburg und zwischen Leipzig und Berlin. So schön und wunderbar und aufregend Leipzig in den ersten Monaten des Studiums war, so sehr begannen mich in meiner neuen Stadtbeziehung wieder ein paar Macken zu nerven. Mir fehlte das Internationale, mir fehlten Bars, die auch noch nach 01:00 Uhr aufhatten und mich nervten die immer gleichen, generischen Veranstaltungen, Street Food-Märkte und Flohmärkte. Wie unfair. Wie gemein einer Stadt gegenüber, von der ich mal so überzeugt gewesen war. Das konnte nicht die richtige Einstellung sein, beschloss ich. Und zog aus, die Stadt ein zweites Mal zu entdecken. Einen zweiten Frühling zu erleben. Uns beiden eine zweite Chance zu geben.

Wie sehr es sich lohnte. Wie sehr ich Leipzig auf eine neue Art zu lieben gelernt habe. Und was für bittere Tränen ich vergießen werde, wenn ich in drei Wochen hier die Zelte abbreche, um zu neuen Ufern zu gelangen.

Diese neuen Ufer sind allerdings gar nicht so neu. Es zieht mich nach Hamburg und es fühlt sich nicht nur an wie nach Hause und damit zur Ruhe zu kommen. Es fühlt sich an wie nach Hause zu kommen mit tausend Schmetterlingen im Bauch.

© Lina Hansen

Hamburg, du Herzensstadt

So wie jeder Mensch seine Eigenschaften hat, die ihn gleichzeitig fehlbar und wunderbar machen, so ist auch jede Stadt individuell. Jede Stadt ist unperfekt und jede Stadt zeigt dir ein freundliches Gesicht, wenn du es denn sehen willst. Begegne ihr mit Liebe, Neugier, Interesse. Finde Dinge heraus, die vielleicht nicht jeder weiß. Suche dir nicht nur einen Lieblingsort, sondern gleich zehn davon. Gib der Stadt eine Chance.

Wenn gar nichts mehr hilft, dann entferne dich für eine Zeit von ihr. Gönnt euch eine Beziehungspause. Ein Wochenende, ein Monat, ein Jahr – so viel Zeit, wie ihr eben braucht. Und wenn du dann zurückkehrst, dann verspreche ich dir, dass die Flugzeuge und die Hafenkräne und die Fischbrötchen und die Mexikaner ein so tolles Kribbeln im Bauch machen, dass du es nicht mehr anders haben willst.

Okay, die Metapher mit den Fischbrötchen und Mexikanern war vielleicht unangebracht. Die genießt man einfach nur. Mit Sonne oder Nieselregen. In St. Pauli oder Eppendorf. Hauptsache in der Herzensstadt.

 

Lina ist geboren und aufgewachsen in Hamburg und hat auf keiner ihrer Reisen jemals eine Stadt gesehen, die sie so gefangen nimmt. In ihrer Kolumne "Segel setzen" schreibt sie regelmäßig über die großen und kleinen Themen des Alltags einer Mittezwanzigjährigen – und natürlich über die Liebe zur Herzensstadt.

Zurück zur Startseite