Sobald es kalt wird, sehen in Hamburg alle gleich aus
Der Herbst, von uns oft besungen und gehasst, geht langsam aber sicher in den Winter über. Zugegebenermaßen macht das in Hamburg keinen wirklichen Unterschied, denn im Gegensatz zum Rest der Republik gehören Schneechaos und gefrorene Straßen nicht so sehr zu unserem Alltag. Statt Haus- und Autodächern ist bei uns nur der Himmel weiß (okay, man nennt es grau). Statt Schneeflocken jagen wir von einem Unterstand zum nächsten. Das ist Hamburg, damit muss man leben.
Diese Art von Winter bringt jedoch einen Nebeneffekt mit sich, der sprichwörtlich “untragbar” ist: Die Hamburger Uniformität in Sachen “Winteroutfits”. Dass die Prostituierten auf der Reeperbahn einen Dresscode haben, erscheint mir noch als nachvollziehbar, schließlich muss man auffallen - und wir wissen alle, dass hochhackige Schuhe, übertriebene Schminke und aufreizende Klamotten auf der Reeperbahn bereits von der Touri-Bevölkerung als Dresscode für sich beansprucht werden.
Doch Daunenjacke und Nordpolstiefel waren noch nie des Hamburgers Herzenssache. Dafür sind die Münchner zuständig. Stattdessen greift man auf eine der ältesten (und auch einzigen) Modeschöpfung der deutschen Küstenregion zurück: den Friesennerz. Im Wissen, dass die Hamburger Lokalpatrioten alles abfeiern, was irgendwas mit Meer, Hafen und Hamburg zu tun hat, entwickelte die Firma “derbe” einen derbe geilen Mantel im Friesennerz-Style. Den Mariendom auf rotem Grund auf Höhe des Oberarms angenäht, bisschen Innenfutter rein und fertig ist der Hamburger “Winterlook”. Kombiniert wird diese an Einfallsreichtum nicht zu übertreffende Jacke mit dicker Mütze, einem monströs großen Schal und irgendwelchen braunen Stiefeln Marke “hauptsache es hält warm”.
Als ich vor einem Jahr zum ersten Mal Menschen mit diesen Jacken herumlaufen sah, dachte ich zuerst, dass es sich dabei um eine Art Bruderschaft handelt, die Hamburg meine Perle auf den Oberarm tätowiert hat und ihre Wochenenden im Fußballstadion verbringen. Doch dafür wirkten sie zu brav. Mittlerweile ist mir klar: diese Friesennerz-Armee trägt “derbe”, weil derbe praktisch. Die Argumentation “Was soll ich mit nem schönen Mantel, der trocknet doch nie wieder” verschweigt jedoch das damit einhergehende Understatement “Das is Hamburch, und weil ich Hamburch derbe abfeier, trage ich im Herbst und Winter eben Friesennerz”. Und ich dachte immer, die Freiburger Bio-Softshell-Fraktion ist an Uniformität nicht zu überbieten.
Während in der Hauptstadt der (Echt-)Pelzmantel (WTF!) wieder in Mode ist und die Münchner sich zwischen all den vielen Daunenjacken und neckischen Bommelmützen gar nicht entscheiden können, greift der Hamburger also wieder auf das Altbekannte zurück. Der Mut in Sachen Mode reicht also gerade mal bis zu einem ach so verrückten gelben Regenmantel mit Innenfutter. “Macht dann 150 Euro”, bitte, danke.
Es erweckt den Anschein, dass im Jahr 2016 so einiges, was inzwischen totgeglaubt war, wieder zum Leben erweckt wird.