Warum wir Rassisten nicht die Hand reichen dürfen

Der Diskurs entgleitet uns. Rechte gehen immer unverblümter vor. Ein Plädoyer dafür, Diskriminierung ernst zu nehmen, ohne Rassist*innen die Hand zu reichen.

Es sind vielleicht nicht die gleichen Kämpfe, die uns einen. Meine Befreiung ist eine andere als die Schwarzer Frauen. Meine Befreiung ist eine andere als die von Hijabis. Meine Befreiung ist eine andere als die von Menschen, die nicht heterosexuell sind und/oder sich nicht als Mann oder Frau verorten. Ich kann nicht über die Erfahrungen dieser Menschen sprechen. Es ist meine tägliche Aufgabe, zu verhindern, dass sie mundtot gemacht werden.

Trotzdem habe ich Angst. Im gesellschaftlichen Mainstream läuft es wie folgt: Erst werden Rechte ausgelacht. Dann verharmlost. Dann sitzen sie in Talkshows, publizieren Artikel und finden so sukzessive immer mehr Gehör. Dadurch verschiebt sich der Diskurs: Auf einmal heißt es, eine pluralistische Gesellschaft müsse auch konservative Positionen aushalten können. Ihnen müsse mit Respekt begegnet werden. Die Diskussionskultur in sozialen Netzwerken wäre ihnen gegenüber besonders unfair.

Wenn Morddrohungen in Kauf genommen werden, haben wir ein Problem

Als ich online einen Haufen Hass erntete, weil ich eine Frau bin, meine Haare abrasierte und darüber schrieb, sagte mir eine Social Media-Mitarbeiterin der meistgelesenen deutschen Nachrichtenseite, dass ich froh sein könne, keine Gewalt- und Morddrohungen erhalten zu haben. Gewiss: Das bin ich. Aber an diesem Standard möchte ich mich nicht orientieren, auch wenn die Realität anders aussieht.

Dass es nicht okay ist, den Körper Anderer zu kommentieren, ist in feministischen Kreisen totdiskutiert. Dort kräht kaum ein Hahn mehr danach, wenn eine weiße, mehrfach privilegierte Frau über ihre eigene Diskriminierung spricht. Kein Thema, ein alter Hut. Dachte ich. Dann kamen die Kommentare: Ich sei hässlich, ich sähe aus wie ein Mann, ich wurde „Mäuschen“ genannt und solle mich nicht so anstellen. Wenn so etwas passiert und nicht nur das, sondern auch Morddrohungen bei diesem Thema in Kauf genommen werden müssen, haben wir ein Problem.

 

Den Richtigen zuhören

Das eigene Verhalten einzuschränken kann eine Form sein, sich selbst zu schützen. Keine Artikel mehr schreiben. Nicht mehr sagen, wenn wir ungerecht behandelt werden. So lange zurückweichen, bis einige viele nicht mal mehr Atmen können. Wieso wird allerorts dafür plädiert, Rechtspopulist*innen zuzuhören und nicht denjenigen, die der Hass im Mark trifft?

Es bestätigt diejenigen, die sich diskriminierend verhalten und öffnet ihnen eine diskursive Tür. Die Debatte gleitet so nach rechts ab. Passivität ist Öl ins Feuer des diskrimierenden Normalzustandes und Schießpulver für die AfD. Der Diskurs verselbstständigt sich. Rechtspopulist*innen reiben sich unterdessen still und leise die Hände, weil ihre Rechnung aufgeht. Und dann sitzen sie in zehn Landtagen wie die AfD oder werden mächtigster Politiker der Welt.

Diskriminierungsarten, die durch das Grundgesetz zumindest in der Theorie geschützt sind, werden wieder verhandelbar. Das ist gefährlich.

Langsam aber sicher und für verschiedene Menschen unterschiedlich stark spürbar sickert der Hass durch bis er sich als giftiger Normalzustand in die Gesellschaft einnistet. Plötzlich werden Diskriminierungsarten, die durch das Grundgesetz zumindest in der Theorie geschützt sind, wieder verhandelbar. Im Öffentlich-Rechtlichen Radio hörte ich nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern auch einen gerade gewählten AfD-Politiker, der in Seelenruhe seine rassistische Botschaft verbreiten konnte, während er der Moderation haushoch überlegen war. Das ist gefährlich.

Auch wenn das Sexualstrafrecht eingeschränkt ist, auch wenn Racial Profiling in Hamburg an der Tagesordnung ist und auch wenn die Judikative und Exekutive in der Praxis weder vor Diskriminierung schützt noch die Ausübenden dieser angemessen sanktioniert: In den USA ist gerade ein lupenreiner Sexist und Rassist zum Präsidenten geworden, dessen Aussagen und Handlungen mutmaßlich strafbar sind. Und auch in Deutschland gewinnt die rechtspopulistische AfD immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Das ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die seit Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten trotz massiver und vielfältiger Diskriminierung hartnäckig überleben und sich dafür einsetzen, dass auch Andere dies schaffen. Sexistische und rassistische Diskriminierung wird nun auch in ihrer explizitesten Form salonfähig, bis man gar nicht mehr weiß, wo man kämpfen muss. Ehe man aufpasst, sitzen Rechtspopulist*innen in Parlamenten, machen Gesetze, verbieten Existenzen und Gegenmeinungen.

Wir müssen zusammenkommen. Als ich vom Wahlsieg Trumps hörte, war mein erster Gedanke: Jetzt kommt noch mehr Arbeit auf uns zu. Noch mehr Windmühlen, gegen die ich kämpfen muss. Noch viel krasserer Gegenwind für all diejenigen, die Rassismus, Antisemitismus, Armut, Behindertenfeindlichkeit, Homo- und Transhass trifft. Ich habe Angst, aber sehe mich noch mehr in der Pflicht. Jetzt müssen wir alle noch mehr aufstehen. Lauter werden. Und empathischer. Mit Engelsgeduld unseren Tanten erzählen, dass auch Frauen mit Kopftüchern Lehrerinnen sein können. Widerworte geben, wenn ein Kunde behauptet, dass Geflüchtete kriminell sind. Es uns nicht gefallen lassen, wenn Schwarze von der Polizei kontrolliert werden. Unseren Arbeitskollegen sagen, dass es nicht witzig ist, dass Frauen „by the pussy“ angegrabscht werden können. Auch in der Pause, auch wenn keine Frau zusieht. So sieht Solidarität aus. Eigentlich ganz einfach, oder?

Wir müssen handeln und dürfen nicht ruhig weg- oder zuschauen. Aktivismus gegen Diskriminierung ist kein Sticker, kein Label, kein Facebook-Profilfilter. Es ist ein täglicher Kampf, für einige im Kleinen, für andere immer und zwangsläufig auch im Großen. Diejenigen, die es sich aussuchen können, zu kämpfen, sind nun noch mehr gefragt und noch mehr in der Pflicht als ohnehin schon. Wir dürfen nicht vor unserer Angst kapitulieren. Die Arbeit findet dort statt, wo es unbequem ist. Packen wir es an!

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