Der Nazi vom Nebentisch
Hamburg, Perle, Hansestadt, Bastion der Vernunft im Vergleich zum verrückten Berlin und zum schnöseligen München. Hamburg, links, liberal, alternativ, eigensinnig. In Hamburg scheint sich all das zu vereinen, was in vielen Teilen Deutschlands undenkbar, verpönt - schlicht und einfach nicht möglich wäre. Doch erst wenn man genauer hinsieht und sich aus seinem bequemen Paralleluniversium entfernt, dringt man zu den Schattenseiten der Gesellschaft vor.
Wie so oft im Leben sitzt das Übel meistens am Tisch neben dir. In diesem Fall sogar nicht mal eine Armlänge entfernt.
Ein Ort, an dem ich am allerwenigsten erwartet hätte, auf einen ausgewachsenen Nazi und sein kleines Rudel zu treffen, war das Old Sailor an der Reeperbahn. Meine Erfahrung mit Gardinenkneipen war bisher eigentlich immer eine friedliche. Aber was willst du machen, wenn die Naziabteilung des Volksparks am Nebentisch sitzt und nach der Flasche Bacardi mit Cola immer noch nichts zu Boxen bekommen hat - und uns deshalb schon ganz nervöse Blicke zuwirft.
Gerade als unser erstes Bier leer wird, nehme ich von rechts ein halbgelalltes „Ihr seid Antifa oder?“ wahr. Ich muss kurz lachen, da wir eher aussehen wie die besoffene Herbstkollektion von Topshop und nicht wie die Abteilung Hafenstraße. Nachdem von uns keiner darauf eingeht, will er jetzt doch wissen, was wir eigentlich am 1. Mai gemacht hatten. Die Antwort, dass einer von uns am 1. Mai Geburtstag hat und wir deshalb eher mit ne Flasche Pfeffi als mit einem Backstein in der Hand unterwegs waren, geht ihm noch mehr gegen den Strich.
Wenn Menschen besoffen und aggressiv sind, sind sie alle gleich
Ich habe schon oft eine kassiert. Als blasse Lauchgestalt in Röhrenjeans ist man überall das einfachste Opfer, wenn’s mal nach 2 Uhr im Club ist - wenigstens das haben Dorf und Großstadt gemeinsam. Ich kenne den hasserfüllten, von Verzweiflung verzerrten Gesichtsausdruck, die vom Adrenalin großen und vom Alkohol glasig gewordenen Pupillen in die du blickst, bevor dein Gegenüber dir grundlos eine verpasst oder dir den Kehlkopf zusammendrückt.
Doch noch nie war mir das wegen meiner scheinbaren politischen Gesinnung passiert. „Wie findest du Deutschland?“ will Mr. Nazi wissen, „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ meint mein Kumpel. Das war dann einer zu viel. Mr. Nazi steht auf und brüllt „Du stirbst gleich an meiner warmen Wixxe in deinem Mund.“ Zeitgleich steht Mr. Nazis Kumpel auf, und bittet diesen Satz noch einmal zu wiederholen. Die Kacke dampft nun also wirklich.
Schlager saved my life
Ich frage mich, ob ich nun wirklich von einem Nazi mit ner Barcadiflasche erschlagen werde. Ein eher unrühmlicher Tod - wobei in Reeperbahnmaßstäben noch relativ okay, immerhin würde die AntiFa vielleicht wirklich einen Trauermarsch für mich halten, das wäre mehr als mich bei einem Autounfall erwartet.
Während diese Gedanken durch mein angetrunkenes Hirn rattern, spielt die Musikbox plötzlich den Schlagerhit „1000 und eine Nacht“. Ich stehe auf, fange an in die Hände zu klatschen und gröle laut mit „1000 Mal berührt“. Das hätte Mr. Nazi nicht erwartet. Er schaut mich entgeistert an, sein Kumpel setzt sich hin. Dann dreht er sich um und verschwindet auf’s Klo. Doch noch mal gutgegangen, das mit dem Deutschsein.
Kein Scheiss, Klaus Lage hat uns vor allem Schlimmeren bewahrt. Eine Viertelstunde später war Team Volkspark (die Betonung liegt auf Volk), verschwunden.
Das Paradoxe ist, dass sich für mich erkannt habe, was sein wahres Problem war: er wollte Ärger. Schlicht und einfach Ärger. Ich glaube nicht, dass sein Hass gegen Fremde, Juden, Muslime, Schwule oder sonstige Minderheit in dazu gebracht hat, meinem Kumpel mit dem Tod zu drohen.
In dem Moment, in dem ich ihm mit einfachsten Mitteln klargemacht habe, dass Ärger scheiße ist, hat er es gut sein lassen. Vielleicht dient diese Geschichte den Organisatoren der die Anti-Pegida-Demo in Dresden als Inspiration und sie organisieren in Zukunft einfach neben Protestmärschen noch ein Schlagerkonzert.