Menschen aus der Neustadt: Warum sie es lieben hier zu leben

© Jasper Ehrich Fotografie

Die Neustadt - der Stadtteil ist der wohl bekannteste und zugleich unterschätzte Hamburgs. Dabei umfasst er nicht weniger als den Michel, den Gänsemarkt und grenzt an Planten un Blomen. Doch was die Neustadt so besonders macht sind nicht nur die imposanten Gebäude und schönen Gärten, sondern die Menschen, die hier ihre Geschäfte haben und schon so manche Flaute gemeistert haben.

Beim Drunter & Drüber-Festival, das seit gestern läuft, dreht sich alles um Kunst, Kultur und Musik in der Neustadt. Ein guter Zeitpunkt also, um ein paar der Gesichter dieses unterschätzten Stadtteils vorzustellen und ihre Geschichte zu hören.

Micky, Cocktail-Bar Schmales Handtuch

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"Ich hab's ja erlebt, wo der Laden hier in der Neustadt brechend voll war und ich morgens erst um 10 oder 11 Uhr rausgegangen bin. Also donnerstags, freitags, samstags hast du keinen Stehplatz bei mir gekriegt. Das war traumhaft gewesen. Danach war das Viertel tot und alle haben gesagt 'Gib auf' - auch mein Lieferant hat das gesagt. Aber ich hab immer an die Neustadt geglaubt. Ich fühle mich hier wohl und es ist wie ein kleines Dorf.

Es ist schön hier und ich mag keine Besoffenen. Und ich habe auch keine Besoffenen da. Also Schanze oder Kiez wären für mich nichts. Ich habe hier traumhaftes Publikum durch die Hotels, die Nachbarn, dann kommen immer wieder die Paare zurück, die sich bei mir kennengelernt haben, geheiratet haben oder Kinder gekriegt haben. Ich finde es sehr schön, dass es hier kein Stresspublikum gibt. Wir haben hier eine tolle Gemeinschaft, alle verstehen sich und helfen sich aus. Gestern habe ich mir zum Beispiel vom Paulaner gegenüber Gin geliehen. Das würde ich genauso machen. Wenn sie zu mir kommen und ich habe nur noch eine Flasche - ich gebe sie ihnen."

- Micky ist eine Institution am Großneumarkt und bietet in der Mickys Schmales Handtuch Cocktail Bar den besten Caipirinha der Stadt an!

Johannes Rienhoff, Schmiede Lehmann

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"Ich mag den familiären Charakter der Neustadt, gerade komme ich vom Kundengespräch am Großneumarkt. Die Leute hier wissen, dass du der Schmied bist - das ist sehr charmant, wenn man seinen Platz in der Nachbarschaft gefunden hat und die Kinder 'Mama, da kommt der Schmied' rufen. Du bist hier nicht einer von vielen, aber sicherlich für viele auch ein Paradiesvogel. An manchen Tagen ist es wie verhext und man kommt kaum zum Arbeiten. Die Nachbarn gehen in den Hinterhof und sagen, dass sie sich die Überreste des Tempels angucken. Dabei wollen sie eigentlich nur mal schauen, was die Schmiedejungs so machen.“

- Johannes Rienhoff ist Inhaber der Schmiede Lehmann, einem der ältesten Betriebe in der Neustadt. Die Schmiede sitzt im Hinterhof der Poolstraße 12 - zwischen Autowerkstatt und den Überresten eines Israelitischen Tempels.

Melodie Michelberger, Trust the Girls Magazin

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"Überhaupt der Michel, der ist wahnsinnig toll. Ich orientiere mich immer an der Glocke und hab nirgends eine Uhr. Letztens stand ich im Bad und hab mich so erschrocken, wie schnell die Stunde vorbei gegangen ist. Dann habe ich recherchiert und herausgefunden, dass gerade die neue Michelglocke eingeläutet wird. Und seitdem klingt der Michel einfach anders. Ich hab auch von meinen älteren Nachbarn gehört, dass sie das total aus dem Konzept bringt. Und mich - ich wohne ja erst seit zehn Jahren hier - bringt das auch total aus dem Konzept. Das neue Läuten ist wunderschön, es klingt nicht mehr nach meinem Michel aber ich habe ja jetzt viel Zeit mich daran zu gewöhnen!

Ich glaub nicht, dass ich hier nochmal wegziehen werde. Es ist so perfekt, in der Neustadt zu wohnen. Wir hören wirklich durch die geschlossenen Fenster - das spricht jetzt nicht für die Fenster - die großen Schiffe rein- und rausfahren. Die Queen Mary sehen wir sogar vom Balkon und vom Dach sowieso. In dem Moment, in dem ich herausgefunden habe, dass man bei uns aufs Dach kann, war eigentlich klar, dass ich hier nicht wegwill. Meine Nachbarin Frau Pirschel ist in unserem Haus geboren, sie wohnt dort seit 84 oder 85 Jahren. Sie erzählt immer so tolle Sachen, wie dass früher die Straßenbahn direkt vor unserer Haustür gehalten hat.

Oder dass die Neustadt mal das Zentrum von Hamburg war und hier die ganzen Modeläden waren. Das einzige, das eigentlich noch fehlt, ist ein schöner Spielplatz. Und mein Lieblings-Hassthema ist diese blöde achtspurige Straße, die das Viertel teilt. Darum kann ich meinen Sohn nicht alleine in die Schule schicken. Die Ampelschaltung ist so doof, dass man immer in der Mitte warten muss, bevor man rübergeht.“

- Melodie Michelberger ist PR-Profi, #Girlboss und hat gerade die feministische Plattform TRUST THE GIRLS gestartet.

Dieter Roloff, Cotton Club

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"Jazz ist für mich Unterhaltung. Wir machen ja überwiegend traditionellen Jazz und traditioneller Jazz ist für mich, wenn man mit den Füßen den Takt dazu schlagen kann. Und wozu man sich auch ein wenig unterhalten kann. Jazz ist für mich sehr gesellig. Die Leute sind begeistert, dass sie bei uns sofort mit jedem schnacken können, egal was er beruflich macht oder was er sonst ist. Das ist eine schöne Angelegenheit.

Ein prägender Moment war, als ich 1971 die Räume übernehmen wollte. Da musste ich unterschreiben, dass das Gebäude vermutlich abgerissen wird und ich keine Entschädigung bekomme. Ich habe nicht daran geglaubt. Aber damals sollte hier alles abgerissen werden. Das hatte ja Axel Springer gekauft und er wollte hier was Neues bauen. Ich hatte zum Beispiel in der Michaelisstraße eine Wohnung, aus der musste ich raus, weil das Haus abgerissen werden sollte. Das steht immer noch. Dann hatte ich eine Wohnung - dort wo jetzt der Fahrradladen drin ist - da wurde auch gesagt, das Gebäude wird abgerissen. Das steht auch noch."

- Dieter Roloff betreibt seit über 40 Jahren den Cotton Club, Hamburgs erster Jazzkeller und die einzige Musikgaststätte, in der in der Neustadt regelmäßig Live-Musik gespielt wird.

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