Glaube, Liebe, Hamburg: Ewiggestrige - euer Smartphone-Hate nervt.

© Jordan Mcqueen via Unsplash

Segel Setzen #12

Eins ganz zu Beginn: Wir alle wissen längst, dass Smartphones ein riesiger Teil unseres Lebens geworden sind und dass sie manchmal eine größere Rolle spielen, als ihnen eigentlich zusteht. Das möchte ich mit diesem Text gar nicht in Frage stellen, denn es wurde unermüdlich in den unterschiedlichsten Ressorts der Magazine, Tages- und Wochenzeitungen diskutiert und ganz ehrlich: Wer will das noch hören? Genau, niemand den es betrifft. Genauso, wie niemand der vielbesungenen Generation Y noch einen einzigen Text darüber ertragen kann, wie wir angeblich sind.

Gedankensprung. Ich stehe in der ostdeutschen Provinz im Stau. Die Mitfahrgelegenheit ist pünktlich losgefahren, aber gegen eine Vollsperrung kann man nichts tun. Der Mitfahrer schläft, der Fahrer ist nicht sehr gesprächig, die Sonne bereits untergegangen. Ich kann also nicht lesen und von Internetempfang müssen wir gar nicht reden. Und nun? Irgendwann - auch wenn diese Gelegenheiten immer weniger werden - schaffen es die Umstände nämlich doch, die moderne Welt zu überlisten. Unsere auf die Moderne ausgerichteten Gehirne dazu zu zwingen, anders zu funktionieren. Uns auf uns selbst zurückzuwerfen. Während ich da im Stau stehe, denke ich nach. Natürlich denke ich nach, was soll ich denn sonst tun? Aber ich denke eben über die unangenehmen Dinge nach, die ich sonst wegschiebe. Plötzlich habe ich keine Wahl mehr und muss mich mit dem befassen, was mich schmerzt.

Soziale Isolation durch Bücher und Zeitungen

Hier ist dann wieder die Stelle, an der die obligatorische Frage gestellt wird, die die Berichte über unsere Generation und ihre lächerliche Smartphonesucht dominieren: Haben wir etwa verlernt, mit uns selbst zu sein?

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich erinnere mich an Zeiten ohne Smartphone. Und zu diesen Zeiten saßen die Menschen in der U-Bahn, ohne dass sie auf Bildschirme starrten. Stattdessen starrten sie - auf Zeitungen und auf Bücher. Jeder für sich. Völlig sozial isoliert! Hatte man die auch gefragt, ob sie verlernt hätten, mit sich selbst zu sein?

Vielleicht könnte man uns sogar als handysüchtig bezeichnen, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt. Aber wenigstens weiß unsere Generation im Gegensatz zu den vorigen, dass LSD ungesund und Kettenrauchen im Büro uncool ist und dass man sich im Auto anschnallen sollte. Irgendwie scheint mir da die Freude am Smartphone das kleinere Problem zu sein. Sicherlich gibt es Gefahren im Umgang mit Smartphones und die gilt es, zu bannen. Aber das Smartphone an sich ist zunächst eine Hilfe. Nicht mehr und nicht weniger.

Was machen wir überhaupt die ganze Zeit am Smartphone?

Und vielleicht sollte man in den Diskurs einbringen, was wir eigentlich mit dem Handy machen, während wir vermeintlich starr aufs Display starren.

Wir informieren uns: Wir durchforsten unseren Twitterfeed nach Ereignissen, die gerade wichtig sind. Wir installieren zahllose News-Apps, um auf dem neuesten Stand zu sein und Ahnung zu haben, was in der Welt passiert. Wir schauen Live-Videos von politischen Debatten. Wir bekommen gesellschaftliche Entwicklungen hautnah mit. Wir können unsere Überzeugungen der ganzen Welt mitteilen.

Wir kommunizieren: Wir schreiben mit Freunden aus der ganzen Welt oder aus dem Nachbarhaus. Wir organisieren Geburtstagsüberraschungen für unsere Eltern. Wir zeigen Oma den Nachwuchs. Wir streiten und vertragen uns.

Wir entwickeln uns weiter: Wir hören Podcasts über Themen, die uns wichtig sind. Wir meditieren. Wir machen Yoga. Wir entwickeln ein gesundes Körperbewusstsein mit Menstruations- und anderen Health-Apps.

Wir sind kreativ: Wir fotografieren. Wir machen aus Bildern kleine Kunstwerke. Wir halten tolle Momente in Videos oder Gifs fest. Wir holen uns Inspiration von Tumblr, Instagram oder Pinterest.

Smartphone-Sucht - oder einfach nur unhöflich?

Und - klar! Manchmal lenken wir uns mit Spielen wie Candy Crush ab oder scrollen sinnlos durch unseren Facebook-Feed. Das sollte man sicher eindämmen (Aber man sollte auch Jahrzehnte lang Zahnseide benutzen und jetzt wurde herausgefunden, dass das gar nichts bringt). Genau die Momente im Stau, in denen wir gezwungen sind, uns mit uns selbst zu beschäftigen, sind die, die uns aus dem sinnlosen Scrollen rausholen. Diese Momente sind gar nicht so selten, auch wenn das Gequake und die “Man ist heutzutage 24/7 online!”-Allgemeinplätze es anders vermuten lassen. Und die Momente, die offline verbracht werden, müssen auch 2016 nicht immer erzwungen sein. Wann ich das letzte Mal freiwillig sehr lange nicht am Handy war, kann ich euch auch sagen. Da lag ich neben einem wunderschönen Menschen im Bett.

“Aber bei Treffen von Freunden hängen alle nur noch am Handy und unterhalten sich gar nicht mehr!”, höre ich schon die Besorgten von da hinten schreien. Also ich weiß ja nicht, mit wem ihr so abhängt, aber meine Freunde haben tatsächlich Lust, sich mit mir zu unterhalten. Und - Überraschung - sie sind höflich und wissen ganz genau, dass man sich mit dem Gegenüber beschäftigt, wenn man schon seine Zeit klaut. Sind sie das mal nicht, bekommen sie das eben von mir zu hören.

Bevor wir also mal wieder kollektiv in das Anti-Smartphone-Geheule einstimmen, sollten wir uns vielleicht überlegen, was unser wahres Problem ist. Ein kleines multifunktionelles Ding, das uns in fast allen Lebenslagen beisteht, ist es schon einmal nicht. Vielleicht entsteht das Problem ja dadurch, dass uns die Ewiggestrigen erzählen, wir hätten ein Problem. Aber nicht weitertwittern, bitte.

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