Glaube, Liebe, Hamburg: Das Krankenhaus am Ende der Straße

„Junge Leute haben entweder was Tödliches oder ‘ne Kleinigkeit.“ Ich lese die Nachricht eines guten Freundes mit einem ungläubigen Lachen. Vielleicht ist es auch gestresst, einer dieser Lacher, die sich in Ermangelung einer angemesseneren Reaktion Bahn brechen. „Und das soll mich jetzt beruhigen?“, tippe ich ins Textfenster.

Beruhigen scheint allerdings unter den gegebenen Umständen sowieso unmöglich. Mein Freund liegt im Krankenhaus. Sein Freund hat mich benachrichtigt. Wir wissen beide nicht, was los ist.

Krankenhäuser sind furchtbare Orte. Zuerst einmal, weil man die meiste Zeit über nicht weiß, was los ist. Mit sich selbst, mit allen anderen Patienten, mit Angehörigen, mit Freunden. „Können wir noch nicht sagen“, oder „Uns ist da gerade ein Patient entlaufen, für Fragen haben wir jetzt keine Zeit“, beantworten die brennenden Fragen auch nicht, schieben sie nur bis zur Unendlichkeit hinaus. Krankenhäuser zwingen zur Passivität, sie verurteilen zum Warten. Warten auf die Diagnose, warten auf die nächste Visite, warten auf Testergebnisse, warten, dass die Infusion durchläuft. Warten, bis man wieder nach Hause darf. Krankenhäuser sind kein Ort, an dem man gerne verweilt, sie sind zum Verweilen auch gar nicht gemacht. Zumindest im Regelfall nicht für junge Menschen.

© Oles kanebckuu, CC0

Ich sollte hier nicht sein

Als ich durch die Flure der Notaufnahme laufe, sehe ich gefühlt nur Menschen in den über die Gänge verteilten Betten liegen, die meine Großeltern sein könnten. Die, die auch nur annähernd in meinem Alter sind, tragen Pflegerkluft oder sitzen als Besuch in Warteräumen.

Ich versuche, mich zu erinnern, wann ich zuletzt im Krankenhaus war: Vor ein paar Jahren, für ein paar Stunden, Verdacht auf Blinddarm. Davor als Kleinkind, ich neigte zu Mittelohrentzündungen. Doch seit ich alt genug bin, gegen meine Eltern zu rebellieren, auszuziehen, neu anzufangen, „erwachsen“ zu sein, ist das Krankenhaus für mich weiter weg als der Mars - dabei ist es von meiner Wohnung aus einfach nur die Straße runter. Jedes Mal, wenn ich mich ins Fitnessstudio quäle, kann ich es vom Laufband aus anschauen - eine Ironie, die mir bisher noch gar nicht bewusst war. Warum auch?

Ich bin jung, ich bin gesund, außer einer Nickelallergie und gelegentlichen Regelschmerzen kann ich nicht klagen. Mein Immunsystem ist das eines wohlgemästeten Schweines. Ich weiß das und verlasse mich darauf. Ich ziehe mich zu dünn an, ich gehe trotzdem aus, ich umarme kranke Menschen und gehe davon aus, gesund zu bleiben. Ich fasse alles an, was ich auf der Straße finde, setze mich auf öffentlichen Toiletten hin und winke ab, wenn mir jemand Medikamente andrehen möchte. Das kriegt mein Körper schon alleine hin. Das Fitnessstudio ist mehr „mein“ Ort als das Krankenhaus gegenüber. Ich betrete das Studio zwar zu selten, aber ich betrete es - im Gegensatz zur Notaufnahme - überhaupt.

Leben als Glücksfall

© Freestocks.org, CC0

Und damit habe ich Glück. Ein verdammtes Riesenglück, das mir sonst nie bewusst wird. Aber zwischen dem Tropfen der Infusion im Arm meines Freundes und den Scherzen der Pflegerinnen auf dem Flur fällt mir auf, dass ich hier nicht hingehöre. Zumindest fühlt es sich so an. Es fühlt sich falsch an, Mundschutz und Handschuhe zu tragen, unablässig meine Hände zu desinfizieren und vor jedem Keim Angst zu haben. Es entspricht nicht meiner Natur, es erschüttert die Grundfesten meines Vertrauens in die Annahme, dass es schlimmer als ein Schnupfen schon nicht wird. Wird es aber. Nur bisher nicht bei mir.

Jung sein fühlt sich manchmal viel zu unsterblich an.

Jung sein fühlt sich manchmal viel zu unsterblich an. So, als würde der aufmunternd gemeinte Satz meines guten Freundes nur zur Hälfte zutreffen. Aber es gibt sie, die jungen Leute, die eben nicht nur eine Kleinigkeit haben. Sie lachen vielleicht nicht von Werbeplakaten, doch sie existieren mit und zwischen uns. Überall. Manchmal nur am anderen Ende der Straße. Und es ist so wichtig, dass wir sie unterstützen und ernst nehmen.

Seien es psychische oder physische Krankheiten, unser Alter macht uns nicht immun. Gesund zu sein ist ein verdammtes Wunder. Manchmal braucht es erst eine Nacht im Krankenhaus, um das zu verstehen.

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