Glaube, Liebe, Hamburg: Deine Gründe sind mir egal, ich finde dich scheiße

© Lina Hansen

Segel Setzen #7

Ein Montagabend, ein Bier, eine Weinschorle und ein Date mit einer Freundin. Wir reden über Toleranz und Arschlochverhalten. „Ich habe in den letzten Wochen und Monaten versucht, mir öfter mal vorzusagen, dass jeder seine Gründe hat. Ich möchte irgendwie generell verständnisvoller werden. Weniger judgen“, sage ich. Nachdenklich nickt sie.

„Ich meine, hinter jeder Einstellung und jedem Verhalten steckt doch irgendein triftiger Grund. Und wenn man versucht, den herauszufinden, dann kann das doch beiden nützen“, fahre ich fort. „Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit, ein Scheißtag oder einfach nur Zahnschmerzen… Man steckt halt nicht drin“.

„Stimmt schon. Aber manche Menschen sind einfach Arschlöcher und die muss man auch gar nicht verstehen“ – „Ja, klar. Nazis und so bringe ich auch kein Verständnis entgegen“ – „Ich mein‘ grad keine Nazis. Die sowieso nicht. Ich meine ganz normale Leute, die sich kacke verhalten. Manchmal darf man Menschen auch einfach scheiße finden“. Wir diskutieren noch etwas und gehen dann zu anderen Themen über.

© Lina Hansen & Death to the Stock Photo

Ist das Verständnis für mein Gegenüber mein eigentlicher Feind?

Aber irgendwie lässt mich dieser Satz nicht los. Eigentlich bin ich in der Vergangenheit mit meinem Vorsatz, verständnisvoller zu sein, ganz gut gefahren. Wenn man Menschen Verständnis entgegenbringt, zahlt sich das in der Regel aus. Sind wir nicht alle mal etwas unfreundlicher, als es unbedingt notwendig wäre? Und freuen uns, wenn das – statt auf Gegenwehr zu stoßen – von unseren Mitmenschen nicht so wichtig genommen wird?

Ich werde nicht gerne verurteilt – schon gar nicht, wenn die andere Seite mich und meine Beweggründe gar nicht kennt. Und deshalb versuche ich dasselbe. In Gesprächen höre ich mir Probleme und Konflikte an und versuche alles, um mich in mein Gegenüber hineinzuversetzen – und ihr oder ihm ein gutes Gefühl zu geben (mit der gebotenen Ehrlichkeit). Vielleicht liegt es an meinem Harmoniebedürfnis. Aber zunächst einmal ist doch nichts Schlechtes dabei, mit anderen Menschen nicht direkt auf Konfrontationskurs zu gehen, sondern ihre Beweggründe zu eruieren, oder?

 

Was berechtigt mich dazu, dich scheiße zu finden?

Vielleicht mache ich es mir damit aber zu leicht. Diese „No judging“-Policy lässt sich gut umsetzen, um Streit zu vermeiden. Und vielleicht mache ich es mir damit gleichzeitig auch zu schwer. Denn jemanden ganz gelassen einfach scheiße finden zu können für das, was er tut oder das, was er vertritt – das kann eine enorme Last von den Schultern nehmen.

Wichtig ist dabei, für sich herauszufinden, welche Dinge dazu führen können, dass man jemanden als indiskutabel abschreibt. Um einen eigenen Orientierungsrahmen zu schaffen, um sich nicht ausnutzen zu lassen. Ich selbst habe gemerkt: Wenn Personen sich so verhalten, wie es die klischeehaftesten Charaktere in Teenieserien nicht tun würden. Wenn die eigenen Probleme und das eigene mangelnde Selbstwertgefühl dazu genutzt werden, anderen schlechte Gefühle zu bereiten. Und wenn Grenzen nicht akzeptiert werden, ja, wenn Grenzen sogar mit Absicht überschritten werden, um sich etwas zu nehmen, auf das man ein Recht zu haben glaubt. Zum Beispiel die Zeit des Anderen, ein gemeinsamer Rausch, mühsam beisammengehaltene Energie und – natürlich – körperliche Intimität.

Grenzen setzen und durchsetzen

Dann kann ich jemanden scheiße finden. Ich kann ihn verabscheuen, ich versuche nicht mehr, seine Gründe zu eruieren, ich höre der Person nicht mehr zu. Und ich gebe der Person nichts mehr von mir. Ich entscheide, dass ich diese Person nicht mehr verstehen möchte.

Das habe ich für mich beschlossen und ich muss meiner Freundin Recht geben – es fühlt sich verdammt gut an, jemanden abzuschreiben. Niemand von uns ist Mutter Theresa und selbst die war ganz sicher nicht nur philanthropisch unterwegs. Und wir müssen uns dafür nicht geißeln, dass wir Grenzen setzen und diese auch durchsetzen. Wozu verständnisvoll sein, wenn die andere Seite es auch nicht ist?

Jemandem auch mal den Mittelfinger zu zeigen, zeugt von self care, nein, ist self care. Der Mittelfinger in dein Gesicht, ist mein Schutzschild vor Allem, was mich an dir belastet. So beschütze ich mich und meine Energie, mein mentale Wohlbefinden – indem ich die Person, die mir nicht gut tut, gar nicht erst an mich heranlasse.

Dürfen wir also entscheiden, jemanden ganz einfach scheiße zu finden? Ja – und wie wir das dürfen.

Lina ist geboren und aufgewachsen in Hamburg und hat auf keiner ihrer Reisen jemals eine Stadt gesehen, die sie so gefangen nimmt. In ihrer Kolumne "Segel setzen" schreibt sie regelmäßig über die großen und kleinen Themen des Alltags einer Mittezwanzigjährigen – und natürlich über die Liebe zur Herzensstadt.

Zurück zur Startseite