Ja / Nee: Monogamie.

Niemand hat eine Meinung exklusiv und niemals steht man damit ohne Konterpart da. In unserer Serie "Ja / Nee" wollen wir beiden Seiten der Medaille eine Stimme geben: Ying und Yang, Schwarz und Weiß, Ja und Nein. Heute: Monogamie. Wie zeitgemäß ist das eigentlich noch? Ist Monogamie die einzige "echte" emotional mögliche Beziehungsform oder doch nur aufoktroyierte gesellschaftliche Konvention aus der es, wenn nötig, auszubrechen gilt? Ist eine offene Beziehung überhaupt eine Beziehung? Stehen Gefühle immer in Konkurrenz oder kann man nicht doch mehr als einen Menschen ehrlich lieben? Ja? Nee?

JA von Sophie 

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Ich begreife es nicht. Wie können Menschen ernsthaft glauben, dass eine offene Beziehung auf Dauer funktioniert? Es liegt doch einfach auf der Hand, dass eine Seite früher oder später mehr möchte als die andere. Teilen – schön und gut, aber eine Beziehung kann man nicht aufsplitten, dafür ist sie nicht gemacht.

Für mich steht klipp und klar fest: Wer eine offene Beziehung führt, ist schlichtweg zu feige, die alte Beziehung zu beenden und scheut das Risiko, dass die neue Flamme doch bald wieder verglüht. Bei der alten Beziehung weiß man eben, was man hat, das gibt man nicht so einfach auf. Nein, da ist man dann überhaupt nicht mehr mutig und fängt an die zuvor „geschlossene“ Beziehung als „offen“ zu deklarieren. Sagt allen, wie unfassbar toll das doch ist, weil zwanglos. Ja, sicher, total zwanglos. Man muss es nur immer wieder laut sagen, dann glaubt man es auch.

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Tatsächlich akzeptieren polygame Menschen aber nicht, dass ihr Partner auch mal nicht so tolle Seiten hat. Anstatt an der Spannung innerhalb dieser einen Beziehung zu arbeiten, stürzt man sich dann fix in ein neues Beziehungsabenteuer. Weil da aber diese Angst vor kompletter Beziehungslosigkeit ist, hält man sich einfach mehrere Optionen offen. Bloß nix aufgeben. Früher nannte man das Seitensprung, heute wird dieser dann einfach mit dem Stempel „polygam“ ausgestattet und somit als legitim empfunden. So kann die schnöde Beziehung ganz langsam auslaufen, und keiner hat großen Trennungsschmerz.

Da sind sie dann auf Knopfdruck: Die freudetanzenden Hormone einer neu aufkeimenden Liebelei! Alles ist super, alles ist toll! Das bleibt jetzt so, schreit der innere Hippie mit breitem Grinsen. Aber Kollege, lass es dir gesagt sein, auch diese Anfangseuphorie geht irgendwann im Alltag flöten. Spätestens wenn du selbstzweifelnd deine Liebste mit einem anderen aufregenden Typen im Club knutschen siehst, spürst du plötzlich dieses Ziehen in der Brust.

 

 

 

NEE von Lynn

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Es ist ja so:
wenn ich einen Menschen liebe, mich auf ihn einlasse, dann aufrichtig, von ganzem Herzen und mit allem pipapo. Das bedeutet für mich: alles, worum es geht, ist das gemeinsame Glück. Dass es dem anderen gutgeht. Um Vertrauen. Großes Vertrauen, ein Grundvertrauen. Ein Grundvertrauen, das ist essentiell. Nicht nur bei Liebesbeziehungen. Auch bei Freundschaften. Nur, dass da die sexuelle Komponente komplett ausfällt.
Wenn ich also eine Freundschaft über Jahre hege und pflege, dann ist mir diese Person auch niemals böse, wenn ich andere Freundschaften habe, sie hege, pflege. Niemals würde man mir vorhalten, fremdzugehen. Im Gegenteil: teilen, austauschen, gemeinsam erleben, Erfahrungen sammeln. All diese Dinge bereichern das Leben, die Beziehungen und alles, was damit einhergeht. Der Austausch mit den unterschiedlichsten Menschen, Freunden bereichert mein ganzes Sein, und damit eingehend alle meine Beziehungen. Was eine unheimlich tolle Sache ist, und sehr viel wert.

Also frage ich mich:
Warum soll ich meine Beziehung zu einem Menschen in eine Form pressen? Wer sagt, wie meine Beziehung auszusehen hat? Wer sagt, wie ich diese führen soll? Ganz ehrlich: es geht doch nicht um die Beziehungsformen. Es geht um den Menschen. Ich habe mich für den Menschen entschieden, mit allem was dazugehört. Tolle Seiten, Stärken, tiefe Gefühle, eine große Verbundenheit - aber auch Macken und die ganze Arbeit, mit allem was dazugehört. Ich möchte Momente, die verweilen.
Sobald ich entschließe, dass diese Beziehung irgendwelche Formen einhalten muss, entscheide ich mich für Ansprüche. Erwartungen. Geben und Nehmen. Aber ich möchte nicht nehmen müssen. Ich möchte geben. Nur geben. Genau wie der andere auch. Dann kommt das Nehmen von ganz allein. Ohne, dass ich eine ellenlange Liste aufstelle, was ich nehmen möchte oder soll.
Ich glaube nicht daran, dass diese Haltung einem „Fremdgehen“ gleichkommt. Wer ehrlich zu sich ist und stark genug, dem anderen zu vertrauen - vertrauen zu können - der wird auch verstehen, dass Gefühle und Annäherungen zu anderen Personen meines Partners niemals in Konkurrenz zu unserer Beziehung steht. Dies braucht eine glasklare Kommunikation und ja, Ehrlichkeit.
Ich denke, dass in den meisten klassischen Beziehungen genau diese fehlt. Lieber habe ich eine Beziehung, die nicht definiert wird, wo alles offen ist, wo jeder dem nachgehen kann, was er braucht (und sei dies ein One-Night-Stand oder eine tiefere Freundschaft zu einem anderen Menschen mit sexueller Komponente) und empfindet aber dafür eine aufrichtige Ehrlichkeit und Vertrauen, als eine vorbestimmte, vorgelebte Beziehung, in der es zu viele Geheimnisse geht, zu große Sehnsüchte und Ängste, die die Beziehung auf Dauer belasten. Denn: Untreu bin ich, wenn ich unehrlich bin. Wenn ich ehrlich bin, kann sich mein Gegenüber dementsprechend verhalten. Ob das Polygamie ist? Meinetwegen. Aber am Ende des Tages ist auch das nur ein Wort unter vielen.

 

 

 

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Bilder: martin_jaeger und Clack
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