Corona-Krise: Clubkultur vorm Kahlschlag

© Charles Engelken

Für die einen stellt das Corona-Virus einen Einschnitt ins Alltagsleben dar, für andere ist es existenzgefährdend. Zum Beispiel die Hamburger Musik- und Kneipenlandschaft. Ein Hilferuf!

Der typische Hamburger Club-Gast, so geht die Legende, hat eine ulkige Neigung zum Kopfnicken. Selbst, wenn Hochgeschwindigkeitsrock aus den Boxen brettert oder wahlweise Gabbatechno, bewegt der (und die) gemeine Hanseat(in) nämlich nur den Hals aufwärts im Takt. Klingt nach Affirmation, ist allerdings eine Art von Understatement, mit dem die Leute hier lässige Teilnahmslosigkeit zur Schau tragen. Vielleicht steckte die ja auch hinterm vergangenen Wochenende, als augenscheinlich alles war wie immer auf dem prall gefüllten Kiez, während unterschwellig doch alles anders war, anders als je zuvor.

Kurz bevor der Hamburger Senat das Alltagsleben der Stadt auf Drängen der Gesundheitsbehörde nahezu auf null zu setzten begann, bevor also auch die Tanzpaläste, Kneipen und Clubs aufgefordert wurden, den Einlass zu stoppen, ging die Partycrowd nochmals ordentlich – nein, nicht eskalieren. Hamburg eben. Aber kopfnickend feiern, als sei gar nichts los. „No risk, no fun“, sagte eine Besucherin dem Radiosender NDRinfo und brachte damit die endorphinvernebelte Stress-, besser noch: Intelligenzresilienz auf den Punkt, mit der Hamburgs Bevölkerung schon zwei Weltkriege und Epidemien von Cholera (1892) bis Spanische Grippe (1918) ohne größeren Geselligkeitseinbruch hinter sich gebracht hatten.

Andere Zeiten.

Mittlerweile jedoch sind sie nicht nur demokratischer und klüger, sondern auch empathischer, also besser. Weshalb die Samstagnacht das letzte Signal kollektiver Lebensfreude an einem Ort gewesen sein dürfte, der sich genau über die doch definiert. Und nebenbei: gut von ihr lebt. Dass wie in Berlin oder München, ach – Europa insgesamt auch in Hamburg dank der Corona-Pandemie bald sämtliche Ansammlungen von mehr als fünf Personen behördlich untersagt werden, dürfte schließlich eher eine Frage von Stunden als Tagen sein. Und das senkt nicht nur den Glückshormonspiegel der Partypeople auf ein bedenkliches Minimum, es gefährdet Hamburgs Kernkompetenz in seinem Bestand und damit Tausende von Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen.

Schließungen bist Ostern

Die staatlichen Theater sind bereits seit letztem Mittwoch geschlossen, weshalb James Blunts gestreamter Elphi-Auftritt ohne Publikum als bizarrer Zwischenakt des kulturellen Nihilismus in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Da hatte die hygienemedizinisch leicht vernachlässigte Flora bereits als erste Privatlocation dicht gemacht. Da war der Record Store Day auf Juni verschoben worden. Da hatte sich von der kleinen Kaschemme bis zum großen Konzertsaal alles bereits mental aufs Äußerste eingestellt: Schließung bis Ostern, womöglich darüber hinaus. Ein Super-Gau. Ganz ohne Übertreibung.

Ein Super-Gau. Ganz ohne Übertreibung.

Anders als systemrelevante Wirtschaftssphären wie Industrie, Banken, Handel und öffentlicher Dienst, wird die Kultur zwar irgendwie auch ein bisschen wichtig gefunden – allerdings mehr fürs Herz- und Bauchgefühl, weniger für die Volkswirtschaft. Dabei trifft der Shutdown besonders hier eine höchst fragile Branche voll prekärer Beschäftigungsverhältnisse ohne Rücklagen, voller Businesspläne ohne Plan B. „Wir haben seit Freitag keinerlei Einnahmen, aber weiterlaufende Festkosten“, fasst Molotow-Betreiber Andi Schmidt die Gleichung aus Miete plus Personal minus Ticketverkäufe zusammen und nennt den Zeitpunkt, wann sein Club bestandsgefährdet sei: „Ab der ersten Woche.“ Also jetzt!

Wir haben seit Freitag keinerlei Einnahmen, aber weiterlaufende Festkosten.

Ähnliches hört man gerade überall. „Die Summe der existenzbedrohenden Schließungen steigt“, meint Jan-Kristian Nickel vom Clubkombinat, das zügig eine Task Force eingerichtet hat. Kneipen und Bars können bei gutem Wetter zwar vor die Tür ausweichen, während ein Nischenclub wie das Birdland theoretisch noch kurz auf Sparflamme öffnen könnte. Insgesamt aber droht der lokalen Gastronomie ein fataler Kahlschlag. Es sei denn, die Neuinfektionen sinken rapide. Oder die Zivilgesellschaft entwickelt plötzlich geldwertes Mitgefühl, das der Deutsche Musikrat in die knackige Forderung nach „sechs Monaten Grundeinkommen in Höhe von € 1.000 für alle freiberuflichen Kreativschaffenden“ packt.

#ichwillkeingeldzurück

Das dürfte die Staatskassen zwar womöglich überfordern, doch während Kultursenator Carsten Brosda angeblich schon an Modellen arbeitet, „wie die wirtschaftlichen Folgen so gut wie möglich abgefedert werden können“ und erwartet, „dass sich dabei auch der Bund seiner nationalen Aufgabe bewusst ist“, signalisiert die zuständige Staatsministerin der Bundesregierung Bereitschaft durch „Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen“. Monika Grütters‘ Versprechen: „Ich lasse sie nicht im Stich"!

Genau das erhofft sich die Branche übrigens auch vom Publikum. Die Situation bedeute „für alle Beteiligten massive finanzielle Einbußen und damit einhergehend eine akute Existenzbedrohung“, schreibt etwa das Übel & Gefährlich auf seiner Homepage. Unter den Hashtags #ichwillkeingeldzurück oder #solidaritätmitfreienkünsterInnen bitten Clubs jeder Größenordnung deshalb darum, sich bezahlte Tickets nicht zurückerstatten zu lassen. Das Molotow verkauft aktuell Tickets für eine Veranstaltung ohne Konzert oder Publikum, mit denen ihr sie finanziell unterstützen könnt. Läden von Knust bis Mojo verkaufen zwar gerade mehr Merchandise-Produkte und erfreuen sich auch sonst gehörigen Zuspruchs; noch besser wäre es aber, wenn die Gäste einen Teil dessen spenden, was sie normalerweise bis zum Ende der Schließungen für Partys, Konzerte, Bier investiert hätten, und es nach Wiedereröffnung umso mehr krachen lassen – oder wie lässiges Kopfnicken in Hamburg halt heißt…

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