Glaube, Liebe, Hamburg: Wir müssen über nackte Menschen sprechen

Lakritze sind eine seltsame Süßigkeit, zu der ich beim besten Willen keine so intensive Liebe aufbauen kann wie viele Norddeutsche. Lakritzschnecken waren schon bei den Kindergeburtstagen meiner Jugend die unbeliebtesten Belohnungen für geschlagene Töpfe und den letzten Stuhl vor Jerusalem. Vielleicht fand' ich sie deshalb eigentlich immer ganz okay - dieses "Sympathischer Außenseiter"-Phänomen, wisst ihr? Aber Salmiak? Bevor ich nach Hamburg zog, wusste ich nicht einmal, was zum Teufel das ist. Macht auch nichts, schmeckt mir nämlich nicht besonders gut. Nein, Lakritze und ich haben keine besonders enge Beziehung.

Generell hat das schwarze Gold nicht den besten Ruf - vielleicht ist das der Grund für die Plakate, die diesen Artikel inspirierten: Ein Imagewechsel für Lakritze. Wer momentan zum Beispiel am Bezirksamt Eimsbüttel den Bus wechseln muss, kann ihnen nicht entgehen: Weißer Hintergrund, vorne rechts eine Tüte Lakritze, gehalten von einer Männerhand, die zu einem männlichen Oberkörper hinten links im Bild gehört. Ich schreibe Oberkörper, denn man sieht nur diesen. Kein Kopf, keine Beine. Dafür ist der Oberkörper nackt. Ich könnte schwören, dass das bis vor ein paar Wochen noch nicht so war, aber auf der Lakritztüte steht "extra stark". Haha. Versteht ihr? Ein muskulöser, männlicher Oberkörper und Lakritze. Beide stark. Ha. Ha. Lakritz-Imagewechsel geglückt? Meh.

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Als Mensch in der Kreativbranche bekomme ich von so viel Mangel an Kreativität und Innovation immer ein wenig Kopfschmerzen. Dass nicht nur die Plakate dämlich, flach und unkreativ sind, sondern auch der auf der Website beworbene "neue TV-Spot", den ich mir zur Recherche ansehen wollte, schlicht nicht existiert, hebt meine Meinung von diesem Unternehmen und seiner PR-Abteilung nicht unbedingt. Was mich aber eigentlich so stört an dieser Sache, ist natürlich der nackte Oberkörper. Was mich noch ein bisschen mehr stört, ist, dass er mir so auffällt. Nicht zwingend, weil er nackt ist, sondern vielmehr, weil er nicht weiblich ist. Hilfe! Etwas wird ohne Zuhilfenahme eines dicken Dekolletés beworben? Was ist nur mit der Werbebranche passiert? (Achtung, die letzten Sätze werden von einem sanften Flackern der unvergessenen Ironielampe untermalt!)

Es ist, aus Gründen, die sich mir nicht wirklich erschließen, eine lange gepflegte Tradition in der Werbung, nackte Körper als Verkaufsargument zu benutzen. Gerne auch bei Produkten, die so wenig mit Nacktheit zu tun haben, wie es nur irgendwie geht. Ich erinnere mich immer gerne an die Plakate eines Supermarktes, mit denen eine neue Linie von "Deluxe"-Lebensmitteln beworben wurden. Weißer Hintergrund, im Vordergrund das jeweilige "Deluxe"-Lebensmittel und irgendwo daneben, dekorativ, eine lustvoll schauende, definitiv nackte Frau. Was zum Teufel hat eine nackte Frau mit gottverdammtem Camembert zu tun? Das ist erstens unlogisch und zweitens absolut unhygienisch!

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Die Antwort lautet: Nichts. Aber sie ist so dekorativ! Frauen und ihre Körper dienen gerade in der Werbung viel zu oft als Dekoration. Dieses Video zeigt, wie absurd das eigentlich ist - und fasst das Problem unter dem Hashtag #WomenNotObjects zusammen. Frauen sind verdammt nochmal keine Dekoobjekte. Das hat mittlerweile auch der deutsche Werberat erkannt, der Anfang diesen Jahres mehrere deutsche Unternehmen rügte, weil ihre Anzeigen unnötig sexistisch waren und teilweise sogar Gewalt gegen Frauen bagatellisierten oder ermutigten. Die Reaktion der Unternehmen? Not impressed.

Das ist ekelhaft und nicht okay, vor allem, da diese Objektifizierung sich so selektiv gegen Frauen richtet. Das Lakritz-Beispiel fiel mir deshalb so sehr auf, weil es ungewohnt war. Ein nackter Mann auf einem Plakat ist ein viel seltenerer Anblick, als eine nackte Frau. Er ist nicht so "normal". Wie absurd es wirkt, wenn man junge, hübsche, dünne Frauen in einem Werbespot durch durchschnittlich gebaute Männer mittleren Alters ersetzt, spricht Bände:

Das soll kein Plädoyer dafür sein, die Methode aus dem Video ab jetzt auf alle Werbespots und Plakate anzuwenden. Kein Geschlecht sollte medial zum Objekt stilisiert werden, denn das ist kein gesundes Klima für einen respektvollen Umgang miteinander. Es spricht aber Bände, wenn Unternehmen sich scheinbar nicht anders "zu helfen wissen", als ihre Produkte mit nackten Körpern zu verkaufen. Warum stichfeste Verkaufsargumente oder kreative Kampagnen, wenn doch "Sex sells" ein althergebrachtes Mantra ist? Weil es 2016 ist. Weil immer mehr Menschen und damit potenzielle Käufer und Käuferinnen der beworbenen Produkte sich Gedanken darüber machen, wie diese beworben werden. Weil immer mehr Menschen verstehen, dass das nicht okay ist. Weil mehr Menschen auch mediale Gleichstellung verlangen.+Nach diesem Artikel hoffentlich noch mehr.


Titelbild: Maria Kotylevskaja Photography
Sallos
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