Glaube, Liebe, Hamburg: Und ich bin immer noch hier

Im Nachhinein bin ich froh, dass sein Flieger nicht von Hamburg aus gegangen ist. Ich hätte vor ihm gestanden und ihn mit verheulten Augen angesehen, er hätte in seiner emotionalen Unbeholfenheit versucht, irgendwas Tröstendes zu sagen. So was wie: „Ach, es sind doch nur zwei Jahre.“ Genau, zwei Jahre – Tausende Kilometer zwischen uns! Schon seit ein paar Wochen liegt mir beim Gedanken daran eine halbe Weltkugel im Magen. Anfangs waren wir Freunde, schnell wurden wir zu Liebenden, dann zu Entfremdeten, um am Ende wieder Freunde sein zu können. Seit er weg ist, ist die Stadt nicht mehr dieselbe. Mit jedem Menschen, der hier in mein Leben tritt und es dann wieder verlässt, manchmal schleichend heimlich, ein anderes Mal mit einem lauten Knall, verändert sich ein Stück von ihr. Ich bin danach meistens erst einmal damit beschäftigt, die Trümmer wegzuräumen oder versuche zumindest die Lücken wieder zu füllen, welche die Person hinterlassen hat.

Manche Umzüge fühlen sich an wie Geburtstage, andere wie Beerdigungen.

Manche Umzüge fühlen sich an wie Geburtstage, andere wie Beerdigungen. Das haben die Lieblingsfreundin und ich festgestellt, während wir trübsinnig auf dem Boden in ihrem leergeräumten Zimmer auf der Veddel hockten, weil sie Hamburg zwischenzeitlich den Rücken kehren musste. Sie ist zurückgekommen, an einem Sommertag, an dem wir abends aufgekratzt über den Dom liefen und uns dafür feierten, dass wir wiedervereint sind, in der Stadt, mit der uns so viel verbindet. In meiner naiven Vorstellung wünsche ich mir solch einen Moment mit jedem Menschen, der mir am Herzen liegt.

Hamburg-Glaube-Liebe-Freunde

Ok, vielleicht bin ich nicht besonders gut im Abschied nehmen. Zu Schulzeiten fielen meine beste Freundin und ich uns schluchzend in die Arme, als meine Eltern mich in den Ferien für vier Wochen in den Familienurlaub verfrachten wollten. Aber, ach Hamburg, so international bist du doch gar nicht! Bist eher bodenständig als Jetset - und dafür lieb ich dich! Wie kommt es dann, dass ich seit meiner Ankunft hier trotzdem schon so viele Freunde hab kommen und gehen sehen? Im Studium waren es die Erasmus-Studenten, die bloß ein kurzes Abenteuer mit dir suchten, später Feierbekanntschaften, denen du nur gut genug für ein Praktikum warst, Freunde von Freunden, die in dir nicht das suchten, was sie vorfanden. Und ich bin immer noch hier. Bin ich nicht auch schon viel zu lange da? Bin ich überhaupt noch auf der Suche oder habe mich mit dieser alles ausfüllenden Okayness abgefunden, die du mir en masse bietest?

Bist eher bodenständig als Jetset - und dafür lieb ich dich!

Das sind die Momente, in denen es über mich kommt. Dann erscheinst du schöne Stadt mir wie der traurigste Ort der Welt. Ich nehme nur noch die negativen Seiten an dir wahr. Der Himmel über deinem Hafen ist ein grau-modriger Tümpel, auf den Straßen von St. Pauli stinkt es nach Pisse und vor meiner Haustür liegen nicht nur zerbrochene Flaschen, sondern auch gebrochene Menschen. Und überhaupt: Alle machen sie ihre spannenden Erfahrungen sonstwo auf der Welt und ich bleibe kleinlaut hier zurück und hab nicht viel mehr als die zerfeierten Wochenenden. Oh, dabei hab ich sie manchmal doch so satt, die brennenden Nasen, die gierigen Münder, die teilnahmslosen Augen und die polternden Herzen!

Zum Glück gehen diese Phasen meist schnell wieder vorbei. Denn eigentlich habe ich mich doch ganz kuschelig eingerichtet, hier in meiner kleinen Alltagsroutine. Es dauerte seine Zeit, aber über die Jahre habe ich mir ein Netz aus Freund- und Bekanntschaften gewebt, das mich immer wieder auffängt, wenn ich falle. Ich freu mich heimlich, wenn mich der Plattenladen-Besitzer wieder erkennt und grüßt. Ich lächle, wenn mich Neuankömmling im Club in der Kloschlange ansprechen und Anschluss suchen. Und dein Sommer vorm Altonaer Balkon, Hamburg, ist immer noch umwerfend.

Hamburg-Glaube-Liebe-Freunde

Neulich habe ich dich kurzzeitig für eine andere Stadt verlassen. Eine, die größer ist als du und wilder, verrückter, heißblütiger. Ich hätte bei ihr bleiben können, habe den Abschied ganz lange heraus gezögert. Bin erst langsam durch die Sicherheitskontrolle geschlendert, als das Gate schon schließen sollte. Der Flieger hätte ohne mich abheben können und ich hätte wieder vor ihr gestanden – lachend in der offenen Tür, mit dem Backpack auf den Schultern im Sonnenlicht. Aber am Ende bin ich doch gerannt. Und stattdessen stehe ich wieder hier, frierend mit dem Rücken zur Wand.

Also ich hab ja schon mein Dockville-Ticket – nein, auf's Reeperbahn Festival gehe ich dieses Jahr nicht – was machst du an Silvester? – das Alstervergnügen interessiert mich jetzt eher weniger – oh, schon wieder Dom – gib nochmal zwei Schnaps – verdammt, es ist Schlagermove, ich muss weg!

Vielleicht bin ich zu feige, vielleicht zu bequem, vielleicht ist aber auch einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen. Solange feier ich die Feste mit dir weiter wie sie fallen. Also ich hab ja schon mein Dockville-Ticket – nein, auf's  Reeperbahn Festival gehe ich dieses Jahr nicht – was machst du an Silvester? – das Alstervergnügen interessiert mich jetzt eher weniger – oh, schon wieder Dom – gib nochmal zwei Schnaps – verdammt, es ist Schlagermove, ich muss weg! Aber irgendwann, Hamburg, kommt der Tag, an dem ich nicht bloß für ein Wochenende einer deiner fragwürdigen Veranstaltungen entfliehe. Auch nicht nur für ein paar Wochen oder Monate. Dann bin ich nicht mehr diejenige, die hinterherblickt aus traurigen Augen. Stattdessen stehe ich im Flughafen auf der anderen Seite der verglasten Front und winke dir zu.


Bilder: Nikolai | flickr, Alexander Habich | flickr, Nikolai | flickr
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