Glaube, Liebe, Hamburg: Hi, I'm bi
Mit mir Filme oder Serien zu schauen, ist die Hölle. Zum Teil, weil ich sehr, manchmal ein bisschen zu sehr, emotional in die Story verwickelt werde, zum anderen, weil ich ständig darüber sprechen muss, wie heiß ich die Charaktere finde. Nicht alle, aber mehr als der Durchschnitt der Menschen, mit denen ich Filme schaue. Das liegt daran, dass ich natürlich das männliche Eyecandy gebührend feire. Dabei hört es allerdings nicht auf. (Auch, wenn Jensen Ackles aus Supernatural mich Tag und Nacht anrufen dürfte. I mean, hot damn.)
Irgendwann fragte ich mich, ob das "normal" sei, was ich beim Anblick dieser Frauen dachte.Katharina Fuchs
Als Emilia Clarke als Daenerys bei Game of Thrones nackt den Flammen entstieg, bekam ich zugegebenermaßen erst einmal ziemliche Atemnot. Und natürlich, Emilia Clarke ist eine wunderwunderwunderschöne Frau und für mich als Frau ist es gesellschaftlich ja auch irgendwie okay, das zu sehen und zu sagen.
Aber da war eben nicht nur sie. Da waren andere Schauspielerinnen, andere Frauen im Bus, in der Bahn, im Supermarkt, bei Festivals. Irgendwann fragte ich mich, ob das "normal" sei, was ich beim Anblick dieser Frauen dachte. Ob es "normale" Wertschätzung eines ästhetischen weiblichen Körpers sei - oder eben mehr. Ich wollte das so gerne wissen, so gerne Gewissheit.
Erste Schritte, viele Fragen
Irgendwann stellte ich bei Tinder ein, dass mir auch Frauen angezeigt werden sollten. Ich meldete mich bei OkCupid an und saß vor der Rubrik "sexual orientation" - ratlos.
Es gibt all diese Labels: "questioning", "heteroflexible" oder schlicht "bisexual". Und ich kreuzte die ersten beiden an, obwohl vor allem das erste zutraf. Ich hatte so viele Fragen, ich war regelrecht der Inbegriff von "questioning": Mochte ich Frauen wirklich so wie Männer? Konnte ich das? Waren manche Frauen einfach so schön, dass jede und jeder bei ihrem Anblick dieses Kribbeln spürte?
Oder war da doch dieser klitzekleine, an mir kratzende Teil von mir, der ziemlich laut "#YESHOMO" brüllte?Katharina Fuchs
Ich hatte schon immer viele LGBTQ-Menschen in meinem Freundeskreis - war ich einfach offener für die Idee, auch Frauen attraktiv zu finden? War das der Grund, warum mich #nohomo so nervte? Hätte ich hinter einen Satz wie "Beyoncé ist die schönste Frau der Welt und sie soll bitte Jay-Z verlassen, um mit mir geinsam Blue Ivy großzuziehen!" ein #nohomo setzen können? Oder war da doch dieser klitzekleine, an mir kratzende Teil von mir, der ziemlich laut "#YESHOMO" brüllte?
Meine Mutter hatte mir damals mit 14 gesagt, dass es meiner Familie egal sei, wen ich mit nach Hause brächte - ob Junge oder Mädchen - so lange ich glücklich mit dieser Person sein. Ich wusste das noch, jetzt brannte es mir schmerzhafter im Gedächtnis als all die Jahre davor. War das ein Satz gewesen, wie man ihn eben so sagt, weil man ein gutes Elternteil sein möchte? War er ernst gemeint?
Lähmung ohne Antwort
All diese Fragen und mir fehlte der Mut, sie zu beantworten. Ich drückte mich davor, drückte mich vor mir selbst. Datete Männer, in der Hoffnung, sie könnten die Antwort sein - oder mich zumindest die Fragen vergessen lassen. Es war nicht so, dass ich Angst davor hatte, Frauen zu mögen. Oder vor der Reaktion meines Umfelds. Okay, davor vielleicht ein bisschen. Ich hatte vielmehr Angst davor, den ersten Schritt zu tun. Knapp 1,8 Millionen Menschen in Hamburg, circa 50% davon weiblich. Ein riesiger Pool an Menschen - und mir fehlte der Mut, auch nur den kleinen Zeh einzutauchen. Das ärgerte mich, es verwirrte mich und es trieb mich in den Wahnsinn. Ich versuchte, zu ignorieren, zu warten, zu beschwichtigen. Und dann explodierte ich.
Und, wie war's?Katharina Fuchs
Ich hielt es keine Sekunde länger aus, in dieser gottverfluchten Ungewissheit zu leben. Ich matchte mehrere Frauen bei Tinder, eine von ihnen fragte mich direkt nach einem Date. Ich sagte ihr, dass das mein erstes Date mit einer Frau werden würde. Es war okay. Es war eigentlich alles viel zu okay, viel zu einfach. Vor dem Treffen starb ich fast vor Aufregung, machte mich zurecht, fragte Freunde und Freundinnen um Rat, bis diese fast genauso aufgeregt waren wie ich. Noch nie hatten sich so viele Menschen für eines meiner ersten Dates interessiert.
Am nächsten Morgen blinkte mein Handy wild vor neugieriger Nachfragen. Zuerst wusste ich gar nicht, was ich auf die Frage "Und, wie war's?" antworten sollte. Irgendwann entschied ich mich für folgende Erklärung: "Es war schön. Die beste Entscheidung seit langem. Als wäre in mir drin ein Puzzleteil an seinen Platz gefallen - und jetzt passt alles irgendwie besser zusammen."
Hi, I’m bi.
Ein guter Freund reagierte mit dem Satz "Das steht dir irgendwie", als hätte ich mein Interesse für Frauen angezogen wie einen neuen Hut. Aber ich wusste, was er meinte. Ich schaute plötzlich anders in den Spiegel. Ich sah mein Spiegelbild und dachte: "Ja, das bist du“. Ich fand mich plötzlich selbst ziemlich okay - und war plötzlich auch vollkommen d’accord damit, bi zu sein. All diese aufgestauten Gedanken endlich auszuleben, hatte irgendwo in mir einen Schalter umgelegt und mich ganz gemacht.
Ich wählte ich die Eminem-Taktik.Katharina Fuchs
Also wählte ich die Eminem-Taktik („Erzähl’ es allen, bevor es ein Gerücht oder gegen dich verwendet wird!“) und weihte alle ein. Alle reagierten positiv. Meine Mutter war nicht unbedingt begeistert, aber sie enterbte mich auch nicht. Zum Glück. Allerdings war mir die „Einwilligung“ anderer an diesem Punkt relativ egal. Mein bester Freund sagte den weisen Satz: „Du alleine liebst, nicht die anderen. Lass dir das nicht wegnehmen und konzentriere dich darauf, glücklich zu sein.“ Und er hatte so recht.