Glaube, Liebe, Hamburg: Start-Up-Rant

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Ich finde, wir sollten über Menschen reden, die in Startups arbeiten.

Ihr wisst schon, Startups: diese jungen, hippen Firmen mit den stylish-bunten geometrischen Logos und Kickstarter-Kampagnen. Der „3. Deutsche Startup-Monitor“ (DSM), eine bundesweite Studie unter Gründer*innen zum Thema, definiert sie als „Unternehmen, die jünger als 10 Jahre, mit ihrer Technologie und/oder ihrem Geschäftsmodell (hoch) innovativ sind und ein signifikantes Mitarbeiter- und/oder Umsatzwachstum haben oder anstreben“.

Ich definiere sie als „Macho-Spielwiese, die viel zu sehr gehyped wird“.
Katharina Fuchs

Kurzer Disclaimer: Wenn du Steve Jobs für den Messias unserer Zeit hältst und deine Freizeit (sofern sie existiert) damit verbringst, auf Menschen herabzuschauen, die nicht wie du die beste Idee aller Zeiten umsetzen und damit die Welt verändern, dann wird dieser Artikel dich ärgern. Aber das soll er auch. Weil es genug Menschen gibt, die Menschen wie dir Zucker in diverse Körperöffnungen blasen.

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Alle lieben Startups

Die Wirtschaft liebt Startups. An meiner Sparkassenfiliale hängt mittlerweile sogar ein Plakat von einer "Startup-Beraterin". Du schaffst Arbeitsplätze, herzlichen Glückwunsch, du bist ein guter Bürger. Wirtschaftspolitiker beömmeln sich regelmäßig vor Freude über all die geschaffenen Arbeitsplätze, all den Gründerspirit, all die Innovation. Dass all das in einer Blase geschieht, die im Stile der Gründerzeit des letzten Jahrhunderts auch ganz schnell wieder platzen kann - das wird lieber selten bis gar nicht erwähnt.

Dass die Startup-Szene Startups liebt, ist natürlich Grundvoraussetzung.
Katharina Fuchs

Ich war zwar noch nie in einem Swinger-Club, aber so viel Arschkriecherei wie in der Startup-Szene kann ich mir eigentlich sonst nur dort vorstellen. Ich möchte hiermit in keinster Weise andeuten, dass alle Interaktionen innerhalb der Startup-Szene auf Orgien hinauslaufen. Das würde ja an Majestätsbeleidigung grenzen - und das will man heutzutage nun wirklich tunlichst vermeiden. Leider wird jedwede nicht-enthusiastische Äußerung gegenüber Gründern oft genau so verstanden: Viele Menschen in der Startup-Szene halten das, was sie tun, für eine Art höheren Dienst an der Menschheit, an dem jede Form von Kritik vollkommen unberechtigt ist. Auch, wenn das, was sie tun, in der Liga eines Onlineversandes für  Boxen mit Bio-Hundefutter spielt.

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Natürlich, ein, zwei Leute werden das bestimmt super finden. Aber wird es wirklich so revolutionär sein wie Facebook oder Google? Ähm, nun ja. Die Antwort kann man sich wohl denken. Das ist auch okay, es kann ja nicht jeder das nächste Google gründen. Aber verdammte Axt, warum muss man denn dann so tun? Ja, wer selbstständig ist, muss meistens gerade anfangs mehr Zeit und vor allem Leidenschaft in seine Arbeit stecken, aber daraus eine dermaßen abartige Leistungskultur zu machen, in der „Freizeit“ ein Wort ist, das nach Möglichkeit aus dem Startup-Wortschatz verbannt werden sollte und „Selbstoptimierung“ nicht nur über allem steht, sondern vor allem übertrieben wird - das ist so schwachsinnig. Das ist so kurzsichtig und egozentrisch, dass ich all diese Menschen nehmen und schütteln möchte, um sie von ihrem ekelhaften Macho-Trip herunter zu holen.

Startups retten nicht die Welt

Ihr habt eine Firma gegründet, nicht das Heilmittel für AIDS und Krebs gleichzeitig entdeckt. Nicht einmal Menschen, die tagtäglich im Labor stehen und genau daran forschen, bilden sich dermaßen viel auf ihre Arbeit ein. Neue Ideen alleine machen euch nicht zu einem besseren Menschen.

 

Ist diese Szene wirklich so progressiv, wenn Berliner Startups ihren weiblichen Angestellten bis zu 25% weniger bezahlen als den männlichen?
Katharina Fuchs

Und wenn man sich einmal anschaut, wie beispielsweise Frauen in der Startup-Szene teilweise behandelt werden, dann gibt das noch viel weniger Anlass zur Arroganz. Laut DSM werden Startups in Deutschland „nur zu 13 % von Frauen gegründet. Im allgemeinen Gründungsgeschehen sind diese mit 43,3 % wesentlich stärker vertreten.“ Über die Gründe dafür lässt sich streiten, aber ein bisschen Selbstreflexion wäre hier auf jeden Fall weniger fehl am Platz, als sich permanent gegenseitig verbal einen runterzuholen und so zu tun, als wäre diese kleine Exklusivgemeinschaft das Weltoffenste seit Mahatma Gandhi. Ist diese Szene wirklich so progressiv, wenn Berliner Startups ihren weiblichen Angestellten bis zu 25% weniger bezahlen als den männlichen? Nur mal zum Vergleich: Das ist ein größerer Unterschied als im deutschen Unternehmensdurchschnitt.

Ich habe schon miterlebt, wie Frauen aus nicht wirklich nennbaren Gründen aus Gründer-Teams vergrault wurden. Ich war bei einer Startup-Veranstaltung, bei der sich nicht einmal die Mühe gemacht wurde, die Damen-Klos überhaupt auszuschildern.  Wer das als offene und frauenfreundliche Umgebung einordnen will, dessen Weltbild braucht dringend ein ausgiebiges Lifting.

Startups drehen sich im Kreis

Meine Mutter, eine Finanzbeamtin, schlägt regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie mal wieder etwas Neues über Startups liest, hört oder erzählt bekommt. Das hat mehrere Gründe. Der erste hat damit zu tun, wie gern Startups sich gegenseitig "pushen": Da entwickelt eine Firma ein Produkt, das niemand wirklich nutzt - es sei denn, man hat ein Startup. Praktisch natürlich, aber auch irgendwie konträr zu der allgegenwärtigen Gründer-Prämisse, mit seiner Idee "die Welt zu verändern“ - ergo ein großes Publikum zu erreichen. Get it together. Ihr existiert nur, weil eure Blase es euch ermöglicht.

Interessanterweise sind die beiden wichtigsten Geldquellen deutscher Startups nämlich „Family and Friends“ und Business Angels - in dieser Reihenfolge. Will heißen: Freunde (häufig aus der Szene), Verwandte und Investoren, die in vielen Fällen selbst aus der Gründerszene kommen, pumpen das nötige Geld in die „revolutionären“ Ideen der Startup-Szene. Das ist ein dermaßen großer Circlejerk, dass mir ein Freund, der selbstständig ist, das Startup-Label aber dezidiert ablehnt, kürzlich folgendes sagte: "Weißt du Kaddi, das sind Leute, die sich einbilden, die geilste Idee der Welt zu haben. Und dann fragst du die, was sie eigentlich für einen Business-Plan haben, und erntest nur leere Blicke! Mit solchen planlosen Idioten will ich mich doch nicht auf eine Stufe stellen!"

Macht mehr aus euren Startups!

Das ist schade. Das ist ein Verlust für eine Szene, die so viel mehr sein könnte als ein exklusiver, arroganter und teilweise erschreckend naiver Zirkel von Machos mit Heldenkomplex, die immer die besten sein müssen. Niemals anhalten, damit sie keiner überholt. Und dann mit fünfzig einen Herzinfarkt kriegen und sich wundern, wieso. Aber egal, denn dann ist das große Ziel ja bestenfalls schon erreicht. Denn letztendlich (und da kann man mir noch so viel vom gemeinschaftlichen Spirit der Szene erzählen) geht es doch nur darum, CEO zu sein und sich das auf die Visitenkarte schreiben zu können. Sonst würde man doch nicht, wenn man eine Idee hat, die ein anderes Startup bereits umsetzt, diese verwerfen und nach einer neuen suchen, statt bei besagtem Startup an der Idee zu arbeiten. Und das ist okay.

Es ist okay, nach ganz oben zu wollen. Aber dann hört gefälligst auf, das als weltverbessernd zu verkaufen, wenn so viele Möglichkeiten für Offenheit und Diversität ungenutzt bleiben. Seid verdammt nochmal einmal ehrlich und hinterfragt euch selbst. Hinterfragt, wie und wieso die Dinge in eurer Szene so laufen. Vielleicht nicht so heftig und so wütend wie ich, aber tut das mal. Vielleicht könnte ich Startups dann auch wieder das „innovativ“ in ihrer Definition abkaufen. Denn eigentlich kann ich nur sagen: More power to you. Mach’, worin du gut bist und worauf du Bock hast. Aber mach’ es ehrlich und unprätentiös. Und hör’ bitte, bitte endlich auf, Steve Jobs zu zitieren und Startups zu gründen, die man nicht ohne ein anderes Startup erklären kann. Niemand braucht „Instagram für Pferdefotos“. Niemand.

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