Glaube, Liebe, Hamburg: Mein Wille geschehe (nicht)
Ich lese diese Artikel. Die, die von der Unfähigkeit irgendeiner (also meiner) Generation sprechen. Der Unfähigkeit zu lieben, sich einzulassen und sich zu entscheiden. Ich lese diese Texte seit vielen Jahren. Und in all dieser Zeit habe ich immer genickt. Ja, ja, stimmt. Das erlebe ich ja auch manchmal. Dass sich die anderen nicht einlassen, nicht entscheiden können. Besonders: die bösen Männer. Die können sich seit Tinder und / oder seit 2001 schon nicht mehr entscheiden, oder seit wann es diese Generation jetzt genau gibt, wer weiß das schon so genau.
Ich habe immer genickt, ich habe immer an die anderen dabei gedacht, an die arme, bemitleidenswerte, große Masse anonymer Trottel, die nicht mehr lieben können. Und dann, zackbumm, Vorhang auf, herzlich willkommen auf der Bühne: Ich. Denn: All die Jahre habe ich niemals daran gedacht, dass ich das ja sein könnte. Dass ich gemeint sein könnte. Nicht „die anderen“. Ich. Ich bin gemeint.
Ich bin es, wenn ich mal wieder vor jemandem sitze und erkläre, dass ich mich leider auf gar nichts einlassen kann. Ich bin es, wenn ich sage: Ja, also heute ist okay, aber keine Ahnung, was in 3 Monaten ist. Ich bin es, wenn ich jemanden umso mehr mag, desto weniger er sich auf mich einlassen kann. Denn das ist ja sicheres Gebiet, da lauert ja keine Gefahr. Hauptsache: Mein Wille geschehe (wenn ich weglaufe) oder mein Wille geschehe nicht (damit ich nicht weglaufen will).
All diese Texte über das „wir“, das für mich immer „die anderen“ war: Alles Quatsch. Aber: Ich war nicht immer so. Ich bin es (auch – aber nicht nur!) wegen anderer geworden. Irgendwann zwischen „Ich möchte gerade keine Beziehung, aber wir können uns natürlich trotzdem wie ein Paar verhalten“ und Tinder-Dates, irgendwann zwischen Menschen, die an gar nichts mehr glauben, andere aber das Gegenteil glauben lassen, irgendwann zwischen Mitte Zwanzig und jetzt. Und natürlich: das waren auch hier nicht „die anderen“. Nicht nur jedenfalls. Aber sie waren es eben auch, die, das sage ich jetzt mal so unschön und wenig poetisch: die, die mir den Glauben an so etwas wie sich-auf-jemanden-einlassen und bei jemandem bleiben kaputt gemacht haben.
Natürlich hätte ich besser aufpassen müssen. Ich hätte besser wählen müssen oder früher gehen, andere Schlüsse ziehen können und all das. Aber die Wahrheit ist: Menschen, die Angst vor Bindung und Nähe haben suchen dieselben trotzdem. Und machen damit andere Menschen irgendwann zu sich selbst. Menschen, die eigentlich an so etwas wie Dauer und Verlässlichkeit glauben, aber immer wieder erleben, dass das irgendwie nicht passiert. Die dann in den Therapie-Zimmern dieser Welt sitzen, in den Bars und in WG-Küchen und sich fragen, was mit ihnen eigentlich falsch ist. Bis sie eben selber genau so werden. Und das Spiel weitergeht.
Vielleicht wäre ein Anfang, mit dieser Eigenschaft (der beinahe panischen Angst vor Nähe und Bindung) nicht zu kokettieren, sondern sie als das zu sehen, was sie ist: Angst. Und etwas, das als Konsequenz hat, dass man (also ich, ja ich!) mit anderen vorsichtiger umgehen muss. Denn ja, von mir aus ist jeder für sich selber verantwortlich, aber ein bisschen Verantwortung trägt man eben doch auch für andere. Das glaube ich zumindest. Und wenn man das glaubt, dann achtet man vielleicht ein wenig mehr auf den anderen. Dann achtet man ihn eben auch mehr. Denn kaputte Menschen machen andere Menschen kaputt. Und das „wir“ ist eigentlich ein riesiges „ich“, ein egozentrisches, schreiendes, kindisches „ich“, das das Spielzeug erst will, wenn es ihm weggenommen wird.
Die Lösung ist also vielleicht nicht, einfach immer weiter Menschen durchzuprobieren, bis man sehr, sehr alt ist und einsehen muss, dass das zu gar nichts führt. Sondern sich der Angst bewusst zu werden und ihr ins Gesicht zu spucken, sich Zeit zu lassen und das eigene, ekelhaft große Ego nicht über die Gefühle eines anderen zu stellen. So kann man vielleicht gesunden. Aber dazu müsste man eine Bindung eingehen, die die wichtigste, tiefste von allen ist: die zu sich selbst. Die zu den eigenen Ängsten, Monstern und Dämonen, zu all dem, das flüstert, dass weglaufen jetzt einfacher wäre. Aber: wir haben ja alle Zeit der Welt. Und mit „wir“ meine ich selbstverständlich mich.