Glaube, Liebe, Hamburg: Ich bin eine Zugezogene.
Dass Hamburg eine wundervolle Stadt ist, steht eigentlich nicht wirklich zur Debatte. Hamburg ist eine wundervolle Stadt. Weniger abgefuckt und chaotisch als Berlin, nicht so frisch poliert wie München, mit allem Charme einer Großstadt und doch an manchen Orten einfach ein großes Dorf. Hamburg ist eine wundervolle Stadt und deswegen wohne ich hier. Was mich sehr glücklich macht, denn das war nicht immer so.
Ja, hiermit oute ich mich: Ich bin eine von "denen"
Von denen, die ab und zu immer noch lächeln müssen, wenn eine Möwe vorbeifliegt. Die bei jedem Franzbrötchen genüsslich seufzen und für die der Hafenblick manchmal immer noch das Nonplusultra der Schönheit ist. Ich bin zugezogen. Aus Süddeutschland. Also eine von den ganz schlimmen Zugezogenen.
Wenn ich sage, ich sei "zuhause", dann kommt es ab und an durchaus vor, dass ich gefragt werde, was genau ich damit denn jetzt meine. Für viele ist es selbstverständlich mein süddeutsches Heimatdorf, das ich Zuhause nennen darf. Vor allem meine Familie hegt daran gar keinen Zweifel. Ich bin zuhause, wenn ich sie besuche, und nicht zuhause, wenn ich in Hamburg bin. Wenn ich in meinem Heimatdorf allerdings zu Besuch bin, ertappe ich mich trotzdem dabei, wie ich sage, dass ich mein Zuhause vermisse. Mein Zuhause in Hamburg, um genau zu sein.
Ich bin weniger Hamburgerin als mein Mitbewohner
Mein Zuhause in einer Wohnung mit einem Mitbewohner, der schon sein ganzes Leben hier wohnt und den ich manchmal sehr darum beneide. Für ihn ist es selbstverständlich, Hamburg Zuhause zu nennen. Irgendwie hat er auch ein Recht darauf. Aber ich? Ich liebe diese Stadt, sonst wäre ich nicht hier. Und trotzdem bin ich weniger Hamburgerin als mein Mitbewohner, der zum Beispiel "sapschen" sagt und mich damit verwirrt. Ich wäre gern Vollblut-Hamburgerin, aber leider bin ich das nur im Herzen. Leider, denn da ist nicht nur die Sprachbarriere, sondern noch ein ganz anderes, größeres Hindernis: Nicht weit von meiner Wohnung wird gebaut, das sagte ich bereits. Und genau das ist mein Problem.
Gebaut wird nämlich auf dem ehemaligen Zeise-Parkplatz, und das geht nicht nur mir, sondern so ziemlich dem ganzen Viertel von Herzen auf die Eier(-stöcke). Eigentlich sollten dort Wohnungen entstehen, die zuständige Firma beschloss aber kurzerhand, dann doch lieber Büros bauen zu wollen. Das ist deshalb ein uncooler Move, weil es erstens unehrlich ist und Ottensen zweitens ein bisschen mehr Wohnraum bestens gebrauchen könnte. Und warum das?
Wegen Menschen wie mir.
Wegen Menschen wie mir gibt es die Gentrifizierung
Wegen Menschen wie mir platzen einige Viertel aus allen Nähten, steigen die Mieten, ist es langsam normal, 4€ für einen Kaffee zu bezahlen. Ich bin Teil des Problems "Gentrifizierung". Was paradox ist, da ich mich genau darüber sehr, sehr gerne lustig mache oder aufrege. Klar, steigende Mietpreise sind auch nervig. Biomamis und überteuerte Miniboutiquen überall werden irgendwann lachhaft. Kaffee für vier Euro ist eine Frechheit und was ist an allem Schuld? Der Zeise-Parkplatz. Und ich.
Und vielleicht ergibt es jetzt Sinn, dass es sich irgendwie zwiegespalten anfühlt, mit einem Koffer voller Dinge aus einem Urlaub in meinem "alten" Zuhause an der Zeise-Baustelle vorbeizulaufen. Zu meinem neuen Zuhause.
Ich schleppe Mitbringsel meiner Familie vom Bahnhof zur Wohnung und denke darüber nach, ob ich eigentlich ein Recht auf dieses Doppelleben habe.
Darf ich in der Südpfalz Rieslingschorle trinken und in Hamburg Astra? Darf ich beides gleich gern mögen? Darf ich Pfälzisch hassen, Hamburger Dialekt lieben, aber keins von beiden richtig sprechen? Darf ich wütend über Gentrifizierungsprozesse sein, wenn ich sie doch selbst auslöse? Darf ich mir mein Zuhause aussuchen, Hamburg?
Darf ich hier zuhause sein?
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Bilder:
Titelbild: © Max Scharff
Beitragsbilder: © Sarah Schafer