Glaube, Liebe, Hamburg: Freiraum verteidigen
Als Künstler hat man es nicht leicht: Kein geregeltes Einkommen, keine Planungssicherheit und kein bezahlbarer Raum. Warum tut man sich das dann überhaupt an? Warum zu Teufel entscheidet man sich dazu, diesen Weg einzuschlagen? Es ist eigentlich recht einfach, denn diese Entscheidung, die gibt es gar nicht. Wer sich als Künstler begreift, der tut das, weil er es tun MUSS. Und dazu gibt es eben keine Alternative. Mich hat interessiert, inwieweit Hamburg als Stadt, das Leben als Künstler beeinflusst und wie wichtig eigentlich Sicherheit für ein solches Leben ist. Ich habe mich also mit Paul, Sänger und Gitarrist der Band TRÜMMER, getroffen. Ein Interview.
Ich gehe noch schnell beim Kiosk vorbei und bringe (natürlich) ein Sixpack Bier und eine Schachtel Kippen mit. Vorbereitung ist alles. “Wo ist die Euphorie?”, singt Paul in der aktuellen Trümmer-Single. Und so steht es auch in rotem Lack an seiner Schlafzimmerwand. Ja, wo ist sie denn? Woher nimmt man Euphorie für einen Beruf bzw. eine Berufung, von der man – auch aufgrund astronomisch hoher Mieten – nicht leben kann? Paul wohnt keine 50 Meter von der Reeperbahn entfernt. Seine Wohnung wurde ihm vor kurzem gekündigt. Ausziehen will er aber trotzdem nicht. Er hat Widerspruch eingelegt und guckt jetzt, was passiert. “Zur Not wird eben besetzt.”, hat er in einem anderen Interview erzählt.
In seiner Wohnung, in der es Schimmel und Mäuse geben soll (ich habe leider keine Mäuse entdecken können), läuft 70er Soul. Mag ich.
“Wie lebt es sich denn als Musiker direkt an der Reeperbahn? Ist das was Besonderes oder wäre es dir egal auch in Norderstedt oder so zu wohnen?”
“Nee, ich würde nicht in Norderstedt wohnen. Warum denn auch? Dieses ganze St. Pauli-Ding ist natürlich einerseits ein Mythos, aber andererseits ist es auch eine Form von Wahrheit. Ich finde es schon inspirierend – also da rauszugehen, auf die Straße, und diesen ganzen Schmutz zu haben, diesen Dreck zu haben. Allerdings ist das aber auch immer mehr am verschwinden. Es ist hier ja schon teilweise so eine Art St. Pauli-Museum geworden, die Reeperbahn. Ich wünsche mir manchmal ein St. Pauli, das es gar nicht mehr gibt. Ich habe so eine Idealvorstellung von etwas, das ich gar nicht selbst erlebt habe. Ich glaube, dass dieser Freiraum, den dieses Viertel einmal dargestellt hat, immer mehr am verschwinden ist und dass man den mit aller Kraft verteidigen muss.”
Nun ist es aber so, dass die Probleme, die Hamburg hat – Gentrifizierung, Club-Sterben etc. – in allen anderen Großstädten Europas genauso existieren. Auch in Berlin ist es nicht anders, doch eben durch die schiere Größe nicht so zu spüren wie in Hamburg, wo alles sehr geballt und zentriert ist. Aber irgendwann wird es in Berlin, Köln oder München genauso große Aufschreie geben. Alles eine Frage der Zeit.
"Glaubst du, dass Hamburg eher Motor oder eher Hindernis ist?"
“Es ist beides. Es ist total ambivalent. Ich meine, zum Teil hast du natürlich in Hamburg den Vorteil, dass du viele Leute, die in der Musik arbeiten, die Musiker sind, dass die sich geballt in einem Raum befinden oder manchmal sogar so geballt, dass die alle am selben Tresen sitzen. Das ist der Vorteil, dass es Kontakt gibt zwischen den verschiedenen Szenen. Aber nochmal: Es fehlt einfach an Räumen und das ist einfach ein Problem, das die Stadt mitzuverantworten hat. Es ist so gesehen ein permanenter Kampf, aber das kann einem auch total viel Energie geben, um überhaupt irgendwas zu machen.”
Kampf, Energie, Euphorie… Durch Pauls Sätze zieht sich immer wieder dieser kleine revolutionäre Gedanke: Wir müssen was verändern. Paul ist Rio Reiser Fan, was natürlich wenig überraschend ist. “Mach kaputt, was dich kaputt macht” würde er vermutlich unterschreiben und doch ist für der Diskurs mit der Gegenseite ebenso wichtig, wie der Wunsch nach Veränderung.
“Ich glaube, es geht einfach um die Art und Weise, wie Kultur am besten funktioniert. Und zwar wenn die Leute, die das machen, auch direkt die Infrastruktur dafür bereitstellen. Und Hamburg hat das, zumindest früher, in seinen Strukturen begünstigt.”
"Das Aufbauen solcher Strukturen geht heute ja eigentlich einfacher, oder?"
"Aber es geht ja um Grundlebenshaltungskosten. Weißt du, wenn du einfach schon 50% oder 60% deines Geldes, was du überhaupt am Start hast, dafür verwenden musst, dass du deine Wohnung zahlen kannst, dann bleibt eben nicht viel Zeit übrig, weil du eben arbeiten musst, um dir das überhaupt leisten zu können. Und dann bleibt am Ende keine Zeit mehr für die Kunst."
Paul hat vor einiger Zeit für ein halbes Jahr in Berlin gelebt. “Vermutlich wäre ich dageblieben”, sagt er, wäre nicht seine Band hier und die ganzen Strukturen, die sie sich erarbeitet haben. “Ich bin hier ja aus einer ‘Angepisstheit’ weggezogen – wie viele andere auch. Das Problem ist aber auch, dass die Kunst-Szene in Berlin sich so dermaßen durchprofessionalisiert hat, dass du da letzten Endes genau das gleiche Problem hast.”
"Du hast gesagt, dass du dich nach einem St. Pauli sehnst, dass es nicht mehr gibt. Meinst du, diese Entwicklung ist aufzuhalten?"
“Klar. Das sieht man ja an der Initiative Esso Häuser, die 100% Sozialwohnungen im Neubau gefordert haben, was sie leider nicht durchsetzen konnten, aber es immerhin geschafft haben, dass die Hälfte der Wohnungen sozial bereitgestellt werden. Das muss man sich mal vorstellen: Da hat eine kleine Gruppe von Menschen es geschafft, einen großen Investor, der in finanzieller Hinsicht viel stärker ist, durch dauernden, kreativen Protest dazu zu bringen, dass man in den Dialog kommt. Und das finde ich so krass.”
"Das ist aber ganz schön romantisch, oder? Dass die, die sich auflehnen, dann auch wirklich etwas bewegen können..."
"Ja, man braucht ja eine gewisse Form von Romantik, wenn man politisch ist. Du brauchst ja irgendwas, an das du glaubst."
"Aber selbst, wenn man das aufhalten kann, dann sind die ja alle schon hier. Die Musical-Fraktion, meine ich. Glaubst du das das reversibel ist?"
“Ich glaube, es geht einfach um Selbstbewusstsein und dass man seine Wünsche selbstbewusst formulieren muss. Man muss sich fragen: Welche Möglichkeiten habe ich, im Rahmen meines Lebens, um das tatsächlich zu verwirklichen? Es geht ja auch nicht darum, das TUI Operettenhaus zu schließen. Sowas hast du in London ja auch. Das gehört einfach zu einer Großstadt dazu: Quatsch-Kultur. Aber du brauchst immer das Gegengewicht.”
"Aber die Frage ist doch: Wo soll das denn stattfinden?"
“Zu allererstmal: In unseren Köpfen. Das müssen wir erstmal ernstnehmen, was wir überhaupt wollen. Und sich eben nicht kleinkriegen lassen, sich eben nicht vertreiben lassen, nicht aufgeben.”
“Was glaubst du: Verliert Hamburg, wenn die Künstler ausweichen müssen auf Wandsbek, Norderstedt, Wilhelmsburg oder noch schlimmer: Berlin?”
“Die Stadt wird einfach irgendwann wie so eine süddeutsche Kleinstadt werden: Gemütlich, ruhig, kuschlig und ab und zu kommt dann der Schlagermove, wo alle dann mal ein bisschen mitfeiern können. Ich glaube, dass die Stadt ihren eigenen Charakter verlieren wird, ihr eigenes Potential. Das ist ja das Verrückte: Man brüstet sich mit einer Lebendigkeit, mit Künstlern, aber verhindert die ganze Zeit, dass das wirklich stattfindet. Die Stadt zerstört was sie ausmacht.”
"Es gibt ja eine Reihe von Bands, die andauernd so ein Wohlgefühl zum Ausdruck bringen. Das Interessanteste ist ja wirklich gerade Helene Fischer, die so erfolgreich ist; die auch bei jungen Leuten erfolgreich ist, weil sie denen ein Sicherheitsgefühl gibt. Das brauchen Leute scheinbar, aber das ist meiner Meinung nach genau das Falsche. Sicherheit. Was will ich denn mit Sicherheit?"
"Ich weiß es nicht. Aber es fahren ja momentan alle auf dieses, ich sage mal,' Yolo-Gehabe' ab. In etwa: Cro, Andreas Bourani, Julia Engelmann... Es heißt nur: "Alles ist cool", "die Sonne scheint und jetzt gehen wir alle raus" und "Baby, mach dir nie mehr Sorgen um Geld" und "Ein Hoch auf uns"..."
"Das finde ich wirklich ärgerlich. Dieses Lied "Ein Hoch auf uns". Unfassbar ärgerlich. Das sind so Durchhalte-Parolen. [...] Meiner Meinung nach leben wir seit dem 11. September in so einer Dauerkrise. Das ganze Weltbild hat sich verändert. Eine Krise löst die nächste ab und deshalb glaube ich, wünschen sich die Leute irgendein Gefühl von Sicherheit, irgendeinen Rückzugsort. Viel richtiger wäre es doch eigentlich, sich zu öffnen und sich das einzugestehen, dass die Welt im Umbruch ist und eben auch selbst im Umbruch zu sein."
"Ist Sicherheit denn für dich selbst kein Faktor? Eine Bekannte von mir, die auch Künstlerin ist, hat mir letztens gesagt, dass sie Sicherheit braucht in ihrem Leben und sonst eben nicht kreativ sein kann."
"Ich finde das ganze Konzept falsch. Besonders und gerade als Künstler brauchst du keine Sicherheit. Ich glaube einfach, der Weg als Künstler, ist ein unsicherer Weg, der nicht planbar ist. Es gibt planbare Künstler-Karrieren, aber da kommt dann eben Silbermond bei raus. Und das wollen wir ja nicht. Wir wollen ja den Widerspruch abbilden, den Schmerz und den ganzen Dreck. Und um das alles überhaupt erstmal fühlen zu können, brauchst du keine Sicherheit."
"Das heißt Unsicherheit ist Antrieb?"
“Total. Die Platte, die wir aufgenommen haben, die ist ja auf der einen Seite sehr wütend, aber trotz dessen ist es größtenteils eine sehr positive Platte. Es geht ja bei uns auch ganz viel darum: Wir wissen, es ist schlecht, es ist scheiße, aber wenn wir uns ernst nehmen und unsere Vorstellung von einer anderen Welt, dann gibt’s die Möglichkeit das zu realisieren. Das Problem, das es ja ganz oft bei kritischer Musik gibt ist, dass man es sich gemütlich macht in seiner Anti-Haltung und das finde ich eben auch zu wenig.”
“Gerade die Frage “Wo ist die Euphorie?” löst doch Aufbruchstimmung aus.”
“Ja, ganz genau. Das ist das aller, aller, allererste Anliegen dieser Band: Aufbruchstimmung.”
DAS DEBÜTALBUM "TRÜMMER" ERSCHEINT AM 22.08. BEI [PIAS].
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