Glaube, Liebe, Hamburg: Deckung hochhalten!
"Deckung hochhalten!", ruft der Trainer und ich halte mir die geballten Fäuste vors Gesicht. Meine Arme brennen, aber der imaginäre Gegner soll keine Chance bekommen, mich mit einem unerwarteten linken Haken zu erwischen. Fäuste geballt, Deckung bleibt oben. Du sagst nette Dinge zu mir und eigentlich fände ich das schön. Eigentlich. Aber du erinnerst mich an etwas, nur was, kann ich nicht festmachen. Es macht mich unruhig. Du fragst, warum ich denn so zu dir sei. Ich weiß es nicht, denke ich, und gebe dir irgendeine schnippische Antwort. Wie automatisch geht das, wie von selbst. "Deckung hoch!", und meine Fäuste fliegen zurück vor mein Gesicht.
Du fragst, ob alles okay sei. Ich sage ja. Ob ich dir böse sei. Nein. Nicht dir. Wenn du manche Dinge so sagst, weiß ich aber doch, woran sie mich erinnern. Oder eher an wen. Wenn du mir sagst, dass du so schlecht Rücksicht nehmen kannst, bist du blond und trägst Brille und ich habe Angst vor dir, weil du der letzte warst, der mich wirklich traf. Wenn du mir sagst, dass du Leute oft unabsichtlich verletzt, hast du riesige Füße und dunkles Haar und verwirrst mich zutiefst. Wenn du mir sagst, dass Liebe dir schwer fällt, bist du groß, schlaksig und der Erste, der mich in Unsicherheit stürzte. Und dann sagst du, dass du immer abhaust, wenn du Angst bekommst, und bist sie alle auf einmal. Dein Fluchtinstinkt weckt meinen Kampfinstinkt und irgendwo in meinem Kopf dröhnt es "Deckung hoch!"
Zwischen dir und mir sind meine Fäuste und noch tausend andere Dinge. Unsichtbare Gegner. Und ich versuche, sie zu besiegen, zu treffen, bevor sie mich erwischen, weil ich weiß, wie weh es tut, wenn sie es tun. Du erinnerst mich mit jedem Wort daran. Aber du siehst meine unsichtbaren Gegner gar nicht, du hast noch nie einen ihrer Schläge abbekommen. Sie sind mein Tyler Durden in dutzendfacher Ausführung, aber statt mir selbst bist du es, den meine Schläge treffen. "Deckung hochhalten!"
Meine Deckung ist viel zu oft Attacke und ich wusste lange nicht, wie weh das tut. Zu beschäftigt war ich mit den Gegnern, die unsichtbar zwischen mir und anderen standen und mir eine solche Angst einjagten, dass ich wie wild Schläge verteilte. Dabei treffe ich Menschen wie dich und will das doch eigentlich gar nicht. Aber mein Herz hat den Satz meines Trainers auswendig gelernt. Nach jedem Treffer meiner unsichtbaren Gegner konnte es ihn ein bisschen besser. "Deckung hochhalten!" Mein Herz und ich, wir haben Angst vor gemeinen linken Haken. Aber vielleicht ist es manchmal nötig, die Deckung fallen und die Fäuste sinken zu lassen. Auch wenn mir das eine Scheißangst macht. Aber meine Deckung sollte Menschen wie dich nicht davon abhalten, mir diese Angst zu nehmen.
Bilder: Candy Szengel Film & Photography