Clubs von gestern: Hasenschaukel (2004-2016)
Es ist schon ein Weilchen her, länger vermutlich als der Kiez Kiez genannt wird, dass darauf echte Feuer die Stuben erwärmten und ein wenig auch die Herzen darin. Wobei für nostalgische Verklärung hier gar kein Anlass besteht: Feuer schmutzen, Feuer stinken, Feuer verpesten die Luft und sie zu schüren ist mühsam bis lästig. Es sei denn, das Feuer brennt gar nicht heiß, sondern optisch. Wie in einem Club, dessen Name allein bereits mehr wärmt, als es ein offener Kamin mit echten Holzscheiten statt flackerndem Bildschirm täte: die Hasenschaukel.
dieses bonbonbunte Idyll betulicher Feierkultur im Auge des Partyorkans
Hach, entfährt es manchem Stammgast gewiss schon beim bloßen Gedanken an dieses bonbonbunte Idyll betulicher Feierkultur im Auge des Partyorkans. Vor gut zwölf Jahren, als ein alteingesessenes Etablissement nach dem anderen unter die Aufwertungsräder kam und systemgastronomischer Ersatz à la „Herzblut St. Pauli“ die Messlatte des klugen Amüsements weit unter Bordsteinhöhe senkte – ausgerechnet in der sturmumtosten Silbersackstraße eröffnete seinerzeit zwischen Vorglühkiosk und Billardcafé ein Club der ruhigeren See: Westerngitarrenpop, Folkzeugs, gerne zum Mitsingen, meist ohne Verstärker verständlich, meist ohne Eintritt erhältlich.
Lyrik in der Puppenstube
Mehr als ein Jahrzehnt lang kreiste im puppenstubenartig pink dekorierten Live-Club der puppenstubenpuppenartig pink dekorierten Anja Büchel und ihres kaum weniger auffälligen Partners Tanju Börü der Hut, wenn die unverbrauchten Frischlinge des Songwritings zu ebener Erde Bühnenluft schnupperten – oder als alte Hasen erneut ihre Nasen hineinsteckten. Wie Gisbert zu Knyphausen. Der Liedermacher spielte sein erstes Konzert vor einer Handvoll Besuchern der Schaukel, sein achtes hingegen mit Menschentraube hinter der Panoramascheibe. Das war 2014, als nicht nur dieser gestandene Star seinem Sprungbrett ein paar Soli-Gigs spendierte.
Zinsen, Miete, eine Dauerbaustelle vor der Tür – all dies hatte dem unkommerziellen Musikkonzept noch mehr zugesetzt. Gut, auch die Hasenschaukel wollte natürlich Geld verdienen; davon zeugte allein schon der stattliche Flaschenbierpreis. Trotzdem gab es im innenarchitektonischen Mix aus Barbiewelt und Bahnhofswartesaal eine Atmosphäre der Subsistenzwirtschaft, die den Touristenrutschen ringsum vorwiegend wesensfremd ist.
Die große weite Welt
Allein der Raucherraum – legendär! Keine pflichtbewusst abgetrennte Besenkammer wie so oft, sondern stinkgemütliche Plüschpolsterzone, in der man nicht mal rauchen musste, um die nächtliche Dosis Nikotin abzukriegen. Bis in den Toilettentrakt folgte hier alles einem Gesamtkonzept exaltierter Behaglichkeit. An den Plattentellern wurden bisweilen nur Bands desselben Anfangsbuchstabens gespielt. Und als sich der amerikanische Lokalmatador Dave Doughman für den Ausflug seines ortsansässigen Indierockduos Swearing at Motorists fürs anstehende SXSW-Festival in Austin/Texas warmspielte, bekam man am Rande der Reeperbahn jenes Gefühl von großer weiter Welt vor der eigenen Tür, das die Marke Hamburg sonst allenfalls simuliert.
Diese Mischung hatte vor allem mit den Betreibern zu tun. Wirte und Booker, DJs und Buchhalter, Putzkolonne und Tresenpsychiater in einem, waren Anja und Tanju trotz Nebentätigkeiten gefühlt 24 Stunden vor Ort. Einem, dessen historische Wandbekachelung beim Renovieren hinter mehreren Mörtel- und Tapetenschichten zum Vorschein kam und sorgsam ins verspielte Interieur integriert wurde. In grauer Vorzeit war die Hasenschaukel offenbar ein Ladengeschäft. Welcher Art genau, bleibt bis heute Spekulation. Irgendetwas Frisches vermutlich, Tendenz Bäckerei.
Gesundheit und Gentrifidingsbums
Ein betriebsames Ambiente, liebevoll in Feierabendwärme verwandelt von zwei Barveteranen, die in ihrer äußerlichen Exzentrik selbst Teil der Einrichtung waren. Anja Büchel jedenfalls fiel zwischen der Spielzeugdekoration am Kaminfernseher kaum weiter auf – hätte sie nicht diese raumgreifende Persönlichkeit: hingebungsvoll resolut, von großer Leidenschaft für ihr öffentliches Wohnzimmer getrieben, Barfrau mit Leib und Seele wie die sagenhafte Erna im Silbersack wenige Häuser weiter. Beide waren seltsam aus der Zeit gefallen, beide unverwüstlich. Beinahe, leider.
ohne Anja, ohne Tanju, ohne Feuer. Ohne uns!
Denn elf Jahre nach Ernas Tod war für Hamburgs „Club des Jahres 2014“ kurz vor Weihnachten 2016 endgültig Schluss. Kostendruck und Gentrifidingsbums waren diesmal zwar nicht alleinverantwortlich; es ging, so heißt es, auch um die Gesundheit der Besitzer, Persönliches also. Allein der Nachfolger jedoch verweist aufs Große Ganze der Entfremdung des Kiezes von sich und seinen Menschen: Ein schnöseliger Nachtclub voll fancy Drinks für fancy People namens The Mad Hatter, betrieben von einem Szenewirt aus der Innenstadt. Alles sehr gediegen, alles sehr elegant, mit den alten Kacheln, aber ohne Eigensinn, ohne Aberwitz, ohne Hasen, ohne Schaukel, ohne Sound, ohne Anja, ohne Tanju, ohne Feuer.
Ohne uns!
Die Artikel für unsere Serie "Clubs von gestern" hat Jan Freitag verfasst. Sie sind auch auf seiner Seite www.freitagsmedien.com nachzulesen, wo sie zuerst erschienen sind. Weitere Folgen der Serie findest hier.