Warum Neujahr der schlimmste Tag des Jahres ist
Ja, das Ende jedes Jahres ist anstrengend, belastend und emotional auslaugend. Doch für mich gibt es keinen furchtbareren Tag als Neujahr.
Während andere dem Neubeginn entgegenfiebern, bereitet mir die endlose Weite eines frischen Jahres, das vor mir liegt, großes Unbehagen. Nach Vollgas geben und jeden Tag Freund*innen oder Familie sehen im Dezember, legt sich im Januar plötzlich ein grauer Schleier über alles. Die Feste sind gefeiert, der Bekanntenkreis igelt sich ein und man hat wahnsinnig viel Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Und darin liegt vermutlich die Krux: Ich fühle mich an Neujahr völlig überfordert mit meinen eigenen Gedanken. Das neue Jahr drängt sich mir auf und fragt: "Wohin willst du beruflich?", "Warum nimmst du dir nicht mehr Zeit für dich?", "Wie viel Urlaub ist dieses Jahr drin?", "Wie schaffe ich es mehr zu sparen?" und "Pflege ich meine Freundschaften genug?" sind nur einige der Gedanken, die in meinem Kopf, solange herumschwirren, bis er förmlich platzt.
Die lange Liste an guten Vorsätzen fühlt sich nicht nach Neustart an, sondern wie eine Reihe an Vorwürfen an mich selbst.
Dass man an Neujahr zudem meist verkatert ist und sich vor lauter Klößen und Plätzchen unfit fühlt, hilft dem Ganzen auch nicht. Im Gegenteil, ich beginne das neue Jahr nicht motiviert, sondern niedergeschlagen. Die lange Liste an guten Vorsätzen (wenn auch nur gedanklich notiert) fühlt sich nicht nach Neustart an, sondern wie eine Reihe an Vorwürfen an mich selbst.
Denn sie klingt wie eine Aufzählung all dessen, was ich in den letzten Monaten und Jahren anscheinend falsch gemacht habe. So wird aus "Gesünder essen" eher ein "Ich esse einfach viel zu schlecht, warum bekomme ich es nicht hin, jeden Samstag auf dem Markt frisch einzukaufen und selber zu kochen." Und "Mehr Zeit für mich nehmen" liest sich wie "Du schaffst es nie Nein zu sagen".
New Year, New Me? Eher New Year, New Fear.
Natürlich weiß ich, dass der 1. Januar einfach nur der Tag ist, der auf den 31. Dezember folgt und sich rational gesehen, rein gar nichts verändert – außer die Jahreszahl. "Neu beginnen" kann man außerdem jeden Tag, nicht nur zu Beginn eines neuen Jahres – oder es einfach sein lassen.
Denn ganz klar: Von einem auf den anderen Tag alles verändern, ist absoluter Schwachsinn. Verstehe ich auch am 31. Dezember. Aber am 1. Januar scheint mein Kopf einen selbstzerstörerischen Hebel umzulegen, der sich auch frühestens im Februar wieder lösen lässt. Und so sehe ich dem Januar jedes Jahr mit einem leichten Grauen entgegen.
Fuck you, Winterblues!
Um diesem Teufelskreis, der von dem ewigen Hamburger Grau natürlich zu 100 Prozent unterstützt wird, entgegenzuwirken, habe ich mir zum neuen Jahreswechsel folgendes vorgenommen: jedem Instagram-Account, der irgendwelche Januar-Weisheiten beschwört und mir damit ins Gewissen pikt, sofort zu entfolgen. Und zweitens: Ich werde es mir erlauben, genau einen guten Vorsatz zu formulieren und ihn mir fest vorzunehmen. Nämlich, daran zu glauben, dass alles genau so, wie es ist, verdammt gut ist.